Will Hill: “After the Fire”

Will Hill: “After the Fire”

Ein spannender Roman zum Thema Macht und Machtmissbrauch, der auf einer wahren Begebenheit basiert.

Moonbeam hat überlebt.
Dieses Glück hatten nicht viele Mitglieder der “Heiligen Kirche der Legion Gottes”, einer Glaubensgemeinschaft die sich in der Wüste abgeschottet hat.
Viele Brüder und Schwestern sind gestorben, als die Polizei vor dem Zaun des Areals stand und sie sich weigerten, ihre Waffen zur Seite zu legen. Aber hatten diese Menschen überhaupt eine andere Möglichkeit, als das Feuer zu eröffnen?

Jahrelang war ihnen eingetrichtert worden, dass die Menschen außerhalb des Zauns “Diener der Schlange” seien. Diener, die den “Gottelegionären” (die als einzige nach dem richtigen Glauben leben) Fürchterliches antun würden, sollten sie das Areal je verlassen.
Dass es bald zur alles entscheidenden Schlacht zwischen den Dienern der Schlange und der Legion Gottes kommen würde, war allen bewusst.

Deshalb ließ Father John, der Prophet der Gemeinschaft, durch den Gott sprach, alle Mitglieder hart trainieren.
Jeder musste fähig sein, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu kämpfen, um die Schlacht zu gewinnen – und (als Belohnung sozusagen) in den Himmel aufzufahren.
Alle anderen, alle Zweifler, alle die nicht wirklich alles im Kampf gäben, würden “in alle Ewigkeit […] durch das Höllenfeuer kriechen” müssen.

Nun, im Himmel ist Moonbeam nicht. Aber in der Hölle anscheinend auch nicht.
Die Siebzehnjährige ist in einer psychiatrischen Klinik, zusammen mit sechzehn Kindern, die die Ereignisse überlebt haben.
Mit eigenen Augen gesehen hat Moonbeam die anderen Kinder jedoch nicht. Sie müsste den Worten des Psychiaters Dr. Hernandez Glauben schenken, der dies behauptet.
Aber das kann sie nicht, denn er ist ein “Diener der Schlange” und “Diener der Schlange” lügen, sobald sie nur den Mund aufmachen. Das ist Moonbeam eingetrichtert worden, seit sie drei Jahre alt ist.
Bisher hat Moonbeam sich geweigert mit Dr. Hernandez zu sprechen. Zu einen, weil sie einem “Diener der Schlange” nicht vertrauen kann. Zum anderen, weil sie selbst das eine, oder andere zu verbergen hat….

Das Thema Sekten bzw. Glaubensgemeinschaften interessiert mich, seit ich als Kind “Niemand darf dich hören” von Robin Klein (nur noch antiquarisch erhältlich) gleich mehrfach gelesen habe.
Danach folgten unter anderem “The Girls” von Emma Cline, “Unorthodox” von Deborah Feldman, Patricia Dunckers “Der Komponist und seine Richterin” und Jenna Miscavige Hills „Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht“* (eine hochinteressante Biografie, deren deutscher Titel mir allerdings zu reißerisch ist).
Die Stilrichtungen dieser Bücher sind sehr unterschiedlich, doch in ihnen allen geht es eigentlich um eins: Um Macht und Unterwerfung.

In Emma Clines “The Girls” geht es um Evie, die 14 Jahre alt ist, sich sehr unsicher fühlt und in der Gruppe um Charles Manson das findet, was sie sich sehnlichst wünscht: Aufmerksamkeit.
Bei Moonbeam in “After the Fire” ist die Lage anders. Sie hat sich nicht dazu entschieden, ihr Leben bei der “Legion Gottes” zu verbringen. Denn ihre Mutter und ihr Vater haben sich der Gruppierung angeschlossen, als sie noch ein kleines Kind gewesen ist.
Damals war das Leben in der Legion allerdings wesentlich lockerer. Es ging darum, gemeinsam mit Gleichgesinnten den richtigen Weg im Leben zu finden.
Doch dann übernahm Father John das Ruder und führte sehr strenge Regeln ein. Einkaufsausflüge in die Stadt wurden zum Beispiel gestrichen, um keinen Kontakt zu den “Diener der Schlange” zu haben.
Auch der Besuch einer Schule und das Fernsehen wurde verboten. Zum Schutz der Gotteslegionäre versteht sich.

Wenn schon erwachsene Menschen an Father John und seine Regeln glaubten, wie sollte dann ein Kind bzw. eine Jugendliche wie Moonbeam daran zweifeln?
Für Moonbeam ist das eingeschränkte, strenge Leben in der Legion normal. Wie soll ein Kind die Tatsache durchschauen, dass es Father John nur darum geht, seine Allmachtsphantasien auszuleben?
Er ist doch der Prophet und Gott spricht durch ihn. Und an Gottes Wort zu zweifeln wäre ja eine nicht zu verzeihende Sünde .

Aber Moonbeam hat, im Gegensatz zu den Kindern, die in der Legion geboren worden sind, ein Leben “davor”.
Eine vage Erinnerung an eine Zeit, in der sie mit ihrer Mutter in einem ganz normalen Haus gelebt hat.
Eine Erinnerung an ein Leben jenseits des Zauns, der die Legionäre vor allem da draußen beschützt…

Will Hill gelingt es, Moonbeams aufkommende Zweifel an der “Legion” und ihren Regeln sehr spannend darzustellen. Das liegt unter anderem auch an der Art des Aufbaus.
Die Kapitel, in welchen Moonbeam sich mit ihrem Psychiater und einem FBI-Agenten austauscht, wechseln sich mit Kapiteln in denen Moonbeam vom Leben in der Sekte erzählt ab.
Daher erfahren wir auch so einiges über die Tricks, die Father John anwendet, um Druck auszuüben.
Zum Beispiel ist ihm bewusst, wie viel Macht das Schweigen besitzt. Außerdem weiß er, dass es hilfreicher ist, einen “ungehorsamen” Menschen nicht selbst zu bestrafen, sondern jemanden, der diesem sehr nahe steht.

“After the Fire” ist ein fiktiver Roman, der jedoch auf einer wahren Begebenheit beruht.
Der “Belagerung von Waco”, bei der im April 1993 82 Mitglieder der “Branch Divinians” starben. Wie im Roman handelte es sich bei den “Branch Divinians” um eine Sekte, die an die Apokalypse glaubt und einen Anführer hat, der sich als “rechtmäßiger Prophet” bezeichnet.

Wer “After the Fire” noch lesen möchte, dem empfehle ich sich vorab nicht über die “Belagerung von Waco” zu informieren, zumal einige Handlungen des Romans vorweggenommen werden könnten.
Für alle anderen geht es hier zum Spiegel-Artikel zu diesem Thema.

Die Tatsache, dass es dieses große Feuer, die Belagerung von Waco wirklich gegeben hat (was ich allerdings erst am Ende des Buchs erfahren habe), hebt für mich den Roman auf eine andere Ebene.
Inzwischen habe ich schon einiges über den Fall der “Branch Divinians” gelesen und die Lektüre von “After the Fire” war der Auslöser dafür.
Ich mag es sehr, wenn dies einem Roman gelingt und ich mehr als spannende Lesestunden mitnehmen kann.

Des weiteren freue ich mich immer, wenn ich beim Lesen AHA-Erlebnisse habe. Wenn ich zum Beispiel auf Geschehnisse, oder Themen stoße, die ich aus anderen Büchern kenne.
So ging es mir, als ich kürzlich den Bericht “Mindhunter” des FBI-Profilers John Douglas las. In diesem Buch schreibt er von seinen spannendsten (ja, ok, auch grausamsten) Fällen. Und auch hier taucht sie auf: Die Belagerung von Waco. Moonbeams Geschichte, die (neben vielen anderen Fällen) als Beispiel für Macht und Machtmissbrauch aufgeführt wird.

Der Verlag empfiehlt “After the Fire” ab 14 Jahren Jahren. Hier möchte ich anmerken, dass die Gewalt, die innerhalb der Sekte angewandt wird, sehr explizit geschildert ist. Ich persönlich würde das Buch vielleicht eher ab ca. 15/16 Jahren empfehlen, aber es kommt auch immer auf den jeweiligen Jugendlichen an.
Es handelt sich meiner Ansicht nach ohnehin um einen All-Age-Titel, den ich sowohl in die Jugendbuchabteilung, als auch in die Erwachsenenabteilung stellen würde, zumal es sich um ein thematisch hochinteressantes und spannendes Buch handelt.
Und Spannung kennt nach oben hin keine Altersgrenze.

» zur Leseprobe*


ISBN: 978-3-423-65032-8
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2020
Übersetzung: Wolfram Ströle
Seiten: 480 €
Preis: 15,95 €


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