Celeste Ng: “Was ich euch nicht erzählte”

Celeste Ng: “Was ich euch nicht erzählte”

Eigentlich hatte ich hinter diesem Titel einen Kriminalroman vermutet. Doch nach ein paar gelesenen Seiten war klar, dass der Tod Lydias nur Beiwerk ist, denn dieses Buch ist ein kritischer Gesellschaftsroman, der uns eine Familie zeigt, die gegen die gesellschaftlichen Konventionen, die in den 70er Jahre in Amerika herrschen, verstößt: Lydias Mutter ist eine Amerikanerin, ihr Vater ein Chinese.

James ist der Sohn eines chinesischen Ehepaares, dem es eigentlich nicht erlaubt war in die USA einzuwandern. Im Schmelztiegel Amerika hatte man Angst, dass die “bunte Mischung” etwas “zu gelb” werden könne. Folglich bedienten sich die Chinesen, die nach Amerika auswandern wollten, eines Tricks, zumal es nur den Kindern bereits in Amerika lebender Chinesen erlaubt war, nach Amerika nachzukommen.
So nahm James´ Vater, als er noch in China lebte, den Namen seines verstorbenen Nachbarn an und reiste mit seiner Frau zu seinem “Vater” in die USA. Natürlich mit der ständigen Angst, dass der Schwindel aufgedeckt und er wieder nach China zurückgeschickt werden würde.

Doch dies war nicht der Fall und so kam es, dass James als Amerikaner geboren wurde, was sein Äußeres nicht vermuten ließ. Dies führte zu großen Problemen in der Schule, da er der einzige anders Aussehende war und sich ständig bemühte normal zu sein, um nicht noch mehr aufzufallen. Was natürlich nicht funktionierte. James blieb ein Außenseiter. Leicht war diese Kindheit mit Sicherheit nicht.

Inzwischen hat James geheiratet ein “All-American-Girl”: Marylin, deren Mutter von der Wahl ihrer Tochter schockiert war. Sie ahnte schon, dass die Kinder dieser Verbindung Probleme mit der Integration haben könnten, was sich leider als wahr herausstellen wird.

Marylin hingegen möchte anders sein, als die anderen. Sie möchte hervorstechen, besser sein und es zu etwas bringen. Ganz entgegen den Vorstellungen ihrer Mutter, die Hauswirtschaftslehrerin ist und für die der Haushalt und die Zufriedenheit der Familie das höchste Gut darstellt.
Dass Marylin letzten Endes drei Kinder bekommt und ihre Träume nicht verwirklichen kann, ist eine Ironie des Schicksals. Dass sie ihre Träume, Ärztin zu werden, auf ihre Tochter projiziert, ist jedoch sehr tragisch. Denn Lydia möchte ihrer Mutter unbedingt gefallen – auch, wenn ihr die naturwissenschaftliche Materie so gar nicht liegt.

Das große Thema dieses Buches ist der Wunsch danach, akzeptiert und geliebt zu werden.
James versucht dies sein ganzes Leben lang, doch sein Äußeres läßt seine Bemühungen auf Widerstand stoßen. Da hilft es auch nicht, dass er Professor wird und sich dem amerikanischsten aller Themenkomplexe zuwendet: Den Cowboys. Er wird immer “Der Asiate” bleiben.

Seinen Kindern (neben Lydia hat James noch eine weitere Tochter und einen Sohn) fällt die Integration ebenfalls schwer, doch sie wollen dem Vater gefallen, dem es so wichtig ist, dass sie viele Freunde haben und beliebt sind. Sie wollen seinen Erwartungen entsprechen und beginnen dem Vater etwas vorzuspielen, um ihn zufrieden zu stellen.

Dieses Buch ist so ganz anders, als ich vermutet hatte – im positiven Sinne.
Celeste Ng beschreibt hier keine Mörderjagd, sondern gewährt uns tiefe Einblicke in das Leben einer nicht ganz gewöhnlichen amerikanischen Familie.
Natürlich habe ich mitgefiebert, was mit Lydia passiert sein könnte, doch darauf lag nicht das Hauptaugenmerk. Vielmehr habe ich genossen, dass mein Horizont bezüglich der Gesellschaft der USA in den 70er Jahre erweitert wurde.
Das alleine wäre schon Grund genug für mich, dieses Buch zu schätzen, doch hinzu kommt, dass Celeste Ng sehr einfühlsam schreibt und ihre Personen psychologisch tiefgründig erforscht.
Das macht dieses Buch so bemerkenswert.

Die Autorin selbst wuchs in den USA auf, studierte in Harvard und schrieb Erzählungen und Essays für diverse Magazine. “Was ich Euch nicht erzählte” ist ihr erster Roman – eine Verfilmung ist bereits in Planung.

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Ich finde es immer sehr interessant zu erfahren, welche Bücher ein Autor selbst gerne liest.
Celeste Ng hat uns an ihrer derzeitigen Lieblingsbücher-Liste teilhaben lassen:

Einige dieser Titel, wie zum Beispiel „Wer die Nachtigall stört“, “Der Gott der kleinen Dinge” und “Der große Gatsby” sind natürlich bekannt. Auf andere, wie zum Beispiel “Sehr blaue Augen” von Toni Morrison, bin ich neugierig geworden und eine interessiert mich besonders: Elena Ferrantes “Meine geniale Freundin”, obwohl ich schon kritische Stimmen vernommen habe. Ich werde es lesen und berichten.

Danke für diese Inspiration Celeste Ng.


ISBN: 978-3-423-14599-2
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2017
Übersetzung: Brigitte Jakobeit
Preis: 10,90 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2016 ebenfalls bei dtv erschienen.


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3 thoughts on “Celeste Ng: “Was ich euch nicht erzählte”
Pingback: Celeste Ng – Was ich euch nicht erzählte – bibliotaph
juneautumn

Danke fürs Augenmerk auf dieses Buch – ich bin auf jeden Fall angefixt! Und vielen Dank für die Verlinkung!
Liebe Grüße,
Miriam

Friederike

Immer sehr gerne :).

Viele Grüße,
Friederike

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