Das Literarische Quartett-Die Sendung vom 24.Juni 2016-Ein Kommentar

Das Literarische Quartett-Die Sendung vom 24.Juni 2016-Ein Kommentar

Es ist Samstag Mittag, ich habe mir gerade die Aufnahme des Literarischen Quartetts vom gestrigen Abend angesehen und es ist etwas Unfassbares geschehen: Ich habe mich nicht aufgeregt!
Es war insgesamt eine harmonische Sendung, ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal erleben werde. Wunderbar. Selbst Maxim Biller hat sich stark zurückgenommen. Vielleicht lag es ja an der Auswahl der Bücher, die mir sehr gut gefallen hat.
Mit meinen Tipps, wer welches Buch empfehlen wird, lag ich jedenfalls richtig daneben – in allen vier Fällen. Aber ich freue mich sehr, überrascht worden zu sein.

Juli Zeh: Unterleuten

Unterleuten von Juli Zeh

Zu meiner Verwunderung stellt nicht Christine Westermann, sondern Volker Weidermann dieses Buch vor, in dem es um ein Dorf in Brandenburg geht, in dem die Gemüter hochkochen, als Windräder in die Landschaft gebaut werden sollen.

Damit, dass Maxim Biller nichts Gutes an “Unterleuten” finden wird, hat Volker Weidermann schon gerechnet. Und so ist es auch, denn Biller weiß gar nicht, was er an diesem Buch am schrecklichsten findet. Die Autorin möge ihre Figuren nicht, es gäbe keinerlei Entwicklung und es würden keine Grenzen überschritten.
“Langweilig, zäh, übelste Krimiprosa” – so Maxim Biller und ich muß sagen, mit dieser Aussage habe ich auch gerechnet. “Unterleuten” ist einfach kein Buch für Biller. Es unterhält prima, ich habe mich bestens amüsiert, aber Billers Ansprüchen kann es nicht gerecht werden, aber das war von vorneherein klar.

Was er, wie ich finde zu recht, kritisiert ist, dass ein Buch im Quartett besprochen wird, das schon lange auf den Bestseller-Listen steht. Er sehe da den Sinn nicht. Da muß ich ihm zustimmen. “Unterleuten” ist ein tolles Buch, aber ich hätte jetzt auch nicht gewußt, wie ich dieses Buch in einer Runde diskutieren soll. Das gibt der Stoff einfach nicht her.  Meiner Ansicht nach will dieses Buch einfach unterhalten. Das aber macht es großartig.

Christine Westermann ging es wie mir, sie hatte unglaublich viel Spaß am Lesen dieses Buches. Sie sagt, dass sie immer dachte, Juli Zeh sei zäh. Dies müsse die jetzt revidieren. Sie habe so viel Vergnügen daran gehabt, wie Juli Zeh die Figuren aufeinanderhetze. Es sei einfach schön, wenn Bücher unterhalten.

Thea Dorn hat sich ebenfalls zwei Tage lang amüsiert, doch stellt sie sich die Frage, was ihr das Buch erzählen wolle. Die Figuren seien ihr nicht verrückt genug, denn man merke immer, dass eine kontrollierte Autorin dahinter stecke.
Sie spüre den Glutkern nicht und möchte gerne lesen, mit was die Autorin ringe. Das sei Literatur und dieses Ringen spüre sie in diesem Falle nicht. Sie habe sich gut unterhalten, aber mehr stecke einfach nicht dahinter.

Dem widerspricht Weidermann, der gleich 20 Glutkerne sieht, es gehe um die Liebe zu den Figuren und um die Sehnsucht des heutigen Menschen nach dem Landleben. Das zeige auch die Tatsache, dass Bücher wie “Altes Land” sehr lange auf der Bestseller-Liste stünden.

Ich muß gestehen, dass ich nicht so ganz verstehe, warum Juli Zeh keinen wirklich guten Ruf zu haben scheint. Ich fand bisher alles, was ich von ihr gelesen habe wirklich gut.
“Treideln” zum Beispiel habe ich sogar zwei Mal gelesen. Das ist mir in meinem Leben zuvor nur ein einziges Mal mit einem Buch so gegangen.

Ich habe jedenfalls sechs wunderbare Tage in “Unterleuten” verbracht und möchte die Lektüre keinesfalls missen. Hier geht es zu meiner Besprechung.

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Jonas Karlsson: Das Zimmer

Das Zimmer von Jonas Karlsson

Die zweite Überraschung für mich war, dass nicht Maxim Biller, sondern Christine Westermann diesen Titel ausgewählt hat. Damit, dass  “Das Zimmer” ihm jedoch gar nicht gefallen habe, hätte ich nie gerechnet, bietet es doch gerade eine Steilvorlage für einen Kafka-Vergleich.
(Kurz zum Inhalt: Es geht um einen Einzelgänger, der in einem Büro arbeitet, sich nicht wohl fühlt, ein geheimes Zimmer findet, das außer ihm sonst niemand sieht und dort sehr produktiv arbeiten kann.)

Maxim Biller stellt sich die Frage, warum denn alle Autoren immer so schreiben wollen wie Kafka, oder Mann. Er habe sich bei diesem Buch völlig gelangweilt. Die Sprach sei zwar “nicht so schlimm, wie bei Juli Zeh” aber dieses “Kafka-light-Thema” sei ihm unerträglich. Im Buch gehe es in Wahrheit darum, wie Menschen im Kapitalismus funktionieren. Hier werde einfach nur Politik gemacht, wogegen man bei Kafka ins Surreale quasi hineingezogen werde.

Volker Weidermann sagt, dass der Held verrückt sei und in dem er funktioniere den anderen die Möglichkeit gebe ihn und seine Krankheit anzuerkennen. Der Held bringt den Wahnsinn in die Behörde, die anderen müssten den Wahnsinn simulieren. Allerdings kritisiert er, dass außer der Hauptfigur alle weiteren nur reine Staffage seien.

Thea Dorn vermisst, dass ihr das Buch an Herz und Nieren geht und es gehe ihr wie bei Juli Zeh, denn sie könne auch in diesem Falle die Frage, was ihr der Autor damit sagen wolle, nicht beantworten.
Christine Westermann findet es spannend, wie sich alle den Kopf des Autors zerbrechen, sie habe sich jedenfalls bestens unterhalten.

Trotz der Tatsache, dass alle außer Christine Westermann nicht wirklich angetan von “Das Zimmer” waren, hat es mich überrascht, wie ruhig und sachlich argumentiert worden ist. Die üblichen Streitereien blieben aus. Das hat mir sehr gut gefallen und obwohl das Buch nicht gut weggekommen ist, möchte ich es sehr gerne noch lesen.
Auch, weil Marina von literaturleuchtet so begeistert war.

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Lucia Berlin: „Was ich sonst noch verpasst habe“

Lucia Berlin

Laut Thea Dorn ist dieses Buch eine der schönsten Wiederentdeckungen überhaupt und deshalb habe sie dieses Buch für diese Sendung ausgewählt. Das glaube ich ihr gerne. Hier liegt es auch schon parat und ich freue mich sehr darauf.
Lucia Berlin hat ein sehr bewegtes Leben gehabt. Sie ist ca. 200 Mal umgezogen, wurde vom Großvater, der Alkoholiker war missbraucht, hatte selbst vier Kinder von fünf Männern (überspitzt formuliert) und war selbst fast Alkoholikerin.
Insgesamt hat sie nur ca. 80 Kurzgeschichten geschrieben, was nicht wirklich viel ist und diese sind erst 11 Jahre nach ihrem Tod veröffentlicht worden.

Antje Ravic Strubel hat die Erzählungen im Deutschen zusammengestellt und das sei ihr aufs Beste gelungen, so Dorn. Durch die Reihenfolge käme eine ganz andere Dynamik zustande, als in der englischen Fassung.
Berlins Erzählungen sind winzige Momentaufnahmen einer Frau, sie selbst am Abgrund steht. Sie schaue dem dreckigen Leben ins Maul und es gelänge ihr niemals zynisch zu werden. Bewunderswert.

Maxim Biller eröffnet die Diskussion mit einem großen Lob: Dieses Buch sei das Beste, das je im Literarischen Quartett besprochen worden sei. Jedes Erzählungsende sei erstaunlich und auch er hebt hervor, dass die Autorin nie zynisch werde und dabei die dramaturgische Spannung halte.
Wenn Hemingway eine Frau gewesen wäre, hätte sie so geschrieben. Wenn Lucia Berlin vom Alkoholismus schreibe, wolle man als Leser selbst gleich zum Glas greifen. Großartig.

Volker Weidermann lobt den unglaublichen Humor und Christine Westermann ergänzt, dass alle Geschichten zusammen eigentlich einen Roman ergeben würden.
Dann habe ich allerdings die “Stumm-Taste” des Fernsehers bedient, denn ich wollte nicht mehr über die einzelnen Geschichten erfahren und wie ich gemerkt habe, wurde im Quartett ziemlich viel verraten, was ich schade finde. Man muß ja nicht ganze Erzählungen erzählen, man kann ja auch nur andeuten, aber das gelingt dem Quarttet nicht oft und ich glaube den drei Kritikern, außer Christine Westermann, ist es wichtiger, das Buch auseinander zu nehmen. Das ist ja strenggenommen auch ihr Beruf, nur finde ich es für den Zuschauer, der das Buch noch lesen möchte schade. Da muß ich Christine Westermann recht geben.

Lucia Berlin liegt jedenfalls schon hier, ich freue mich sehr darauf.
Wer mehr wissen möchte: Birigt von Sätze und Schätze hat dieses Buch bereits gelesen.

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Jörg Magenau “ Princeton 66″

magenau

Maxim Biller ist derjenige, der dieses Buch ausgewählt hat, das strenggenommen ein Sachbuch ist. Es geht um die vorletzte Tagung der Gruppe 47 in Princeton in den USA.
Die Treffen dieser losen Vereinigung deutscher Nachkriegsautoren waren nationale Ereignisse. Viele liebten die Gruppe 47, viele hielten diese Treffen aber auch für literaturmafiöse Veranstaltungen.

Magenau, so Biller, erzählt uns diese Tagung wie einen Roman, der deutlich macht, dass die Gruppe 47 sich selbst überlebt hat und langsam neue Literaten kommen. Allen voran Handke, der bei diesem Treffen zum Star wird. Mit ihm beginnt die Stilrichtung der Innerlichkeitsprosa.
Volker Weidermann ergänzt, dass Handke mit seinem Auftritt eine große Regel der Gruppe gebrochen habe, die besagt, dass es bei den Gesprächen nur um den Text zu gehen habe.

Biller hebt hervor, dass Magenau nicht verurteilt, dass er einfach davon erzählt wie ehemalige Hitlerjungs und Wehrmachtssoldaten darüber schweigen was alles geschehen ist und gleichzeitig nach dem Krieg große Antifaschisten sind.
Weidermann führt uns noch einmal vor Augen, dass da wirklich Autoren in die USA gefahren sind, ohne sich in kleinster Weise für die amerikanischen Autoren und die dortige Literatur zu interessieren und dass das Judentum und die Geschehnisse im 2. Weltkrieg nicht thematisiert worden sind.

Stilistisch genüge dieses Buch einem weit höheren Anspruch, als die vorherigen, so Thea Dorn, die allerdings auch kritisiert, dass der Auftritt Gabriele Wohmanns im Buch mit “endlich spricht eine schöne Frau” kommentiert wird.
Des Weiteren stellt sie sich die Frage, ob Magenau da nicht etwas beerdige, was nicht schon längst beerdigt sei. Das wisse man ja alles schon.
Ja, ok, wenn man sich damit befasst hat, dann weiß man das, aber ich glaube für jeden Leser, der noch nicht so genau informiert ist, wird dieses Buch ein Gewinn sein.
Christine Westermann sieht das übrigens genauso.

Auch ich habe nach wie vor Lust auf dieses Buch, es ist bestimmt hochspannend.

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Das ist etwas, dass mir nach dem Anschauen der Sendung nur selten passiert ist: Ich habe noch Lust, die Bücher der Sendung zu lesen. Ich erinnere mich daran, wie die drei mir Zeruya Shalevs “Schmerz” kaputtgeredet und das Ende verraten haben. Aber ich habe dazugelernt: Es gibt Stummtasten, welch ein Segen.

 

Zum Schluß gibt es noch etwas Neues: Die vier Kritiker haben Sommer-Buchtipps für uns!

Wobei ich finde, dass sich hinter den Empfehlungen jetzt nicht so wirklich Urlaubsbücher verbergen. Ich jedenfalls würde Homer nicht am Strand lesen, aber der Wille ist da und das ist gut.

Homer: „Odyssee“

Odyssee von Homer

Empfohlen wird diese besondere Übersetzung von Thea Dorn.

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Hans Fallada: „Kleiner Mann – was nun?“

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Neuausgabe des Romans inklusive der bei der Erstausgabe gestrichenen erotischen Stellen.
Empfohlen von Volker Weidermann.

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Holger Gertz: “Das Spiel ist aus”

Das Spiel ist aus von Holger Gertz

Christine Westermann hat wohl daran gedacht, dass EM ist und stellt ein Fußballbuch vor. Das hätte ich mich jetzt in der Runde ehrlich gesagt nicht getraut.

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Henryk Grynberg: “Der Sieg”

der_sieg

Ein Buch über die antisemitischen Bewegungen in Polen nach dem zweiten Weltkrieg.
Empfohlen von Maxim Biller.

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4 thoughts on “Das Literarische Quartett-Die Sendung vom 24.Juni 2016-Ein Kommentar
Tina

Hallo Friederike,

mir ging´s diesmal genauso – die gewohnte Aufregung blieb aus, diese Sendung hat richtig Spaß gemacht und Frau Dorn war ein bereichernder und sehr eloquenter 🙂 Gast. Herrn Biller fand ich sogar recht amüsant und „sein“ Buch hat sofort mein Interesse geweckt, wie auch alle weiteren vorgestellten Titel.

Ich lese deine Beiträge zur Sendung immer sehr, sehr gerne, sie machen das Literarische Quartett noch runder. 🙂 Vielen Dank dafür!

Herzliche Grüße
Tina

    Friederike

    Liebe Tina,

    vielen Dank.
    Ja, Thea Dorn empfand ich auch als ungemeine Bereicherung für die Runde und bin gespannt auf das nächste Mal.

    Viele Grüße,
    Friederike

Thomas

Hallo Friederike,
ich hatte die Hoffnung ja bem Quartett auch schon fast aufgegeben, daher war ich diesmal genauso positiv überrascht. Vier interessante Bücher, Herr Biller hat sich sehr zurückgenommen und es wurden tatsächlich mal Argumente ausgetauscht. Da mich ja immer die Begründungen der Literaturprofis zu ihren Meinungen interessieren haben mir die Beiträge von Volker Weidermann und insbesondere Thea Dorn sehr gut gefallen. Diesmal daher ein echter „Mehrwert“ für die Zuschauer. Ich hoffe, dass war kein einmaliger Ausrutscher.
Liebe Grüße
Thomas

    Friederike

    Das hoffe ich auch!

    Viele Grüße,
    Friederike

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