Delphine de Vigan: “Nach einer wahren Geschichte” 

Delphine de Vigan: “Nach einer wahren Geschichte” 

Delphine de Vigans Buch “Das Lächeln meiner Mutter”, hat mich sehr berührt.
De Vigan beschreibt darin das Leben ihrer Mutter und besonders die Beziehung zu ihren Kindern, die nicht immer einfach gewesen ist. Einfach war auch die Mutter nicht und ihr Selbstmord hat die Familie sehr belastet.

Darüber wie es ihr erging, nachdem “Das Lächeln meiner Mutter” in Frankreich veröffentlicht worden ist, schreibt Delphine de Vigan nun in ihrem neuen Buch “Nach einer wahren Geschichte”.

Wie sie viel Mitgefühl bekommen hat, ihr aber auch von einigen Menschen Verärgerung entgegen schlug. Verärgerung darüber, dass de Vigan zum Beispiel die Namen der Familienmitglieder nicht verändert hat.

Allerdings ist das nur der Beginn der “Wahren Geschichte”, denn eigentlich geht es um etwas anderes. Es geht um L. Eine Frau, die Delphine auf einer Party kennen lernt, sich blendend mit ihr versteht und die sich langsam, raffiniert und sicher in ihr Leben schleicht.

Mehr möchte ich zum Inhalt eigentlich auch gar nicht sagen und ich würde mir wünschen, ich hätte vor der Lektüre dieses Buches den Klappentext nicht gelesen, denn er offenbart eine ganze Menge.
Daher mein Rat an alle potenziellen Leser: Einfach nach dem Aufreißen der Plastikfolie den Umschlag zur Seite legen und direkt mit dem Lesen beginnen. Denn dieses Buch ist noch besser, wenn man so wenig wie möglich über den Verlauf der Handlung weiß.

Ein wichtiges Thema im Roman ist das Schriftsteller-Sein, die Schreibblockade und die Theorie, dass Leser heutzutage wahren Geschichten klar den Vorzug gegenüber reiner Fiktion geben.
Dieser These stehe ich sehr kritisch gegenüber. Denn wäre dies der Fall, wären dann nicht die Biografie-Abteilungen, die Reiseberichte und die Titel, die unter der Regalbeschriftung “Schicksalsberichte” stehen nicht viel umfangreicher, als die reinen Belletristik-Abteilungen? Dies ist nicht der Fall. Wäre dies so, hätten die Verlage schon längst reagiert, beobachten sie den Markt doch sehr intensiv.

Natürlich werden obige Buchgruppen viel nachgefragt und gerade mit fortschreitenden Alter steigt, meiner Beobachtung nach, das Interesse an Biografien.
Das habe ich letztens bei mir selbst festgestellt. Früher hätte ich nie zu einer Biografie gegriffen, doch nachdem ich “Berlin 1936” von Oliver Hilmes gelesen hatte, war ich angefixt und habe gemerkt, wie spannend wahre Geschichten sein können.

Ein Körnchen Wahrheit oder ein realer Hintergrund  tun einer Geschichte jedoch, wie ich finde, immer gut.
So fand ich es hoch interessant in zum Beispiel “Die Hochzeit der Chani Kaufman” mehr über das Judentum in der heutigen Zeit zu erfahren und in “Was ich euch nicht erzählte” mehr über die Situation der Asiaten in den USA der 70er Jahre.
Aber vollkommen “echt” muß eine Geschichte für mich nicht sein.  Aber ich schweife ab.

Zurück zu Delphine de Vigans Buch. Was ich sehr spannend finde, ist die Art und Weise, wie sie das Schriftstellerleben beschreibt. Wie sie an Ideen herangeht, wie sie diese in bestimmten Heften notiert und in welche verzweifelte Lage sie gerät, als diese Hefte verschwunden sind.
Das ist für sie viel schlimmer, als die Tatsache, dass mit den Notizen auch ihr Geldbeutel verloren ist.
Des Weiteren beschreibt sie ihre Schreibblockade sehr realistisch. Was macht jemand, der seinen Beruf einfach nicht mehr ausüben kann und zwar nicht wegen der äußeren Umstände, sondern aufgrund der Inneren.
Wenn er quasi selbst Schuld ist an der Misere und sich die Frage stellen muß, wie diese Krise zu bewältigen ist.

Aber das ist nur die eine Seite dieses Buches. Der noch spannendere Teil befasst sich mit der Frage, wie es zu dem Punkt kommt, an dem man sich vollkommen von einem anderen Menschen beeinflussen läßt.
Wie man dem anderen Zugang zum eigenen Leben gibt und nicht merkt, dass das mit dem “Ich meine es nur gut mit Dir” nichts mehr zu tun hat, sondern komplett obsessiv ist.
Das ist gut gemacht, auch wenn ich gestehen muß, dass mir die Hauptfigur manchmal auf die Nerven ging und ich denke, dass es nicht schlecht gewesen wäre das Ganze hier und da etwas zu straffen.

Der Schluß der Geschichte jedoch hat mir imponiert, denn Delphine de Vigan zieht hier alle Register. Bei manchen Büchern geht es mir so, dass ich nach einiger Zeit nicht mehr so richtig weiß, wie das Buch ausgegangen ist. Vielleicht, weil der Schluß mich einfach nicht beeindruckt, oder befriedigt hat. Oder weil das Ende bei vielen Büchern einfach nicht wichtig ist.
Das Ende von “Nach einer wahren Geschichte” jedoch, wird mir sicher in Erinnerung bleiben.

» zur Leseprobe

P.S. Eine Verfilmung dieses Romans unter der Regie von Roman Polanski ist in Vorbereitung.


ISBN: 978-3-8321-6425-6
Verlag: Dumont
Erscheinungsjahr: 2017
Seiten: 352
Übersetzung: Doris Heinemann
Preis: 11,00 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2016 ebenfalls bei Dumont erschienen.


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9 thoughts on “Delphine de Vigan: “Nach einer wahren Geschichte” 
Silvia

Mich hat das Buch sehr begeistert!

Juliane

Liebe Friederike,
auf meinem Blog gibt es auch eine Rezension zu „Nach einer wahren Geschichte“: https://poesierausch.com/2016/08/17/delphine-de-vigan-nach-einer-wahren-geschichte/
Ich finde es sehr interessant, dass du noch einmal ganz andere Aspekte beleuchtet hast als mein Schreibkollege Stefan. Eine schöne Rezension! 🙂

    Friederike

    Liebe Juliane,

    da hat Stefan wirklich eine sehr beeindruckende und interessante Besprechung geschrieben! Bitte grüße ihn doch ganz herzlich von mir.
    Wir sehen in der Tat manche Dinge anders. Spannend!

    Viele Grüße,
    Friederike

Inga

Hallo!

Ich bin auf das Buch auch schon aufmerksam geworden, habe es mir aber noch nicht gekauft – das sollte ich wohl sehr bald mal nachholen.

Viele Grüße!
(www.schonhalbelf.de)

Pingback: [Rezension] Delphine de Vigan – Nach einer wahren Geschichte | Aig an taigh
Mariette

Ich habe den Roman schlecht lektoriert gefunden. Vielleicht hatte ihr Verlag Komplexe, ihr die Straffung des Plots „zuzumuten“, weil …. Delphine de Vigan ist mit keinem Geringeren als dem frz. „TV-Medien-Literaturpapst“ Francois Bresnil liiert.
Ich habe einfach viel fades Geblubbere überblättert.

Amelie Nothomb würde niemals ihre Leser so quälen. Wenn verwundert es, dass Bresnil Nothomb in seinem Literaturmagazin ständig anstänkert.

Also ganz klar für mich: Bresnil und de Vigan finde ich toxisch einschläfern. Aber durchaus fotogen die beiden … 🙂

Friederike

Oh, das ist interessant! Vielen Dank für diese Hintergrundinformationen. 🙂

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