Die Weihnachts-Literaturbeilage der ZEIT 2016: Die wichtigsten Bücher des Winters

Die Weihnachts-Literaturbeilage der ZEIT 2016: Die wichtigsten Bücher des Winters

Was mich immer freut ist, wenn mich Literaturbeilagen auf Bücher aufmerksam machen, die ich noch gar nicht kenne. Bei der aktuellen ZEIT Ausgabe ist dies der Fall, denn die Romane von Fil Tägert, Dmitrij Kapitelman und Albrecht Selge hatte ich bisher überhaupt nicht auf dem Schirm. Wie gesagt, bisher.

Das sind meine Highlights:

Fil Tägert: “Mitarbeiter des Monats”

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Dafür, dass mir Fil Tägert nicht bekannt war, muß ich mich anscheinend nicht schämen. Jedenfalls lese ich dies aus Tex Rubinowitz Artikel (Rubinowitz selbst ist übrigens Bachmann-Preisträger und sein Roman Irma ist soeben als Taschenbuch erschienen) heraus.
Denn der Künstler, Bühnenkomiker und Cartoonist tritt so gut wie ausschließlich in Berlin auf und hat viele Einladungen, seine Bühnenkunst doch einmal in anderen Bundesländern zu präsentieren, abgelehnt. Da ich im Süden Deutschlands lebe, wird man mir diese Unkenntnis wohl verzeihen. Hoffe ich.

“Mitarbeiter des Monats” ist jedenfalls laut Rubinowitz “Das lustigste Buch des Jahres, wenn nicht des Jahrfünfts.” Wolle man Tägerts Humor mit dem eines anderen Künstlers vergleichen, so käme wohl am ehesten Helge Schneider in Frage, der sich seine Pointen auch erst auf der Bühne einfallen läßt – oder eben nicht.
Das klingt doch gut!

Thema des Romans ist eine Westberliner Jugend in den 80er Jahren.
Und dieses Mal geht es nicht um ein orientierungsloses Leben, an dessen Ende die Wende steht, oder die Loveparade. Es geht um ganz normale Menschen.
Nick arbeitet bei McDonald´s und spielt in einer Punkband, die allerdings über das Probenstadium niemals hinaus kommt. Er verliebt sich, denkt über den Sinn des Lebens nach, macht dies und das und lernt keine berühmte Persönlichkeit kennen.
Sehr relaxed. Wunderbar. 

Bücherherbst hat diesen Roman bereits gelesen und besprochen.

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Albrecht Selge: “Die trunkene Fahrt”

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Als ich mir gerade das Cover von Albrecht Selges erstem Roman „Wach“ aufrief, dachte ich, ja stimmt, das hast Du schon mal gesehen. Mehr aber auch nicht und ganz ehrlich, sein neuester Roman “Die trunkene Fahrt” sagte mir gar nichts.  Das hat sich durch die Besprechung von David Hugendick gerade geändert. 

“Die trunkene Fahrt” ist eine Art Roadnovel, dem Pendant des Roadmovies, und keine Buchsaison vergehe, ohne mindestens eine Neuerscheinung die sich dieses Genres bedient, so Hugendick.
Stimmt. Man denke nur an “Tschick” und vielleicht auch an Terezia Moras Roman “Das Ungeheuer”, für welchen sie den Deutschen Buchpreis 2013 bekommen hat.
Eine Art „Urmutter“ der neueren Roadnovels dürfte wohl “On the Road” von Jack Kerouac sein und wenn ich jetzt noch ein bisschen nachdenke, fallen mir bestimmt noch einige weitere ein.
Allen Roadnovels ist eins gemein: Das Lebengefühl des Zurücklassens, des Wegfahrens. Man setzt sich ins Auto, fährt, alles wird anders, neu und der Sinn des Lebens rückt in greifbare Nähe, so sagt auch Hugendick.
Wenn das doch bloß so einfach wäre. Wir würden alle nur noch Auto fahren…

In Selges Roman geht es um vier Freunde (einen Musikkritiker (übergewichtig), einen Pianisten, einen Jurastudenten (einfältig) und einem Gymnasiallehrer, der sich überall auskennt, also manchmal…), die sich gemeinsam in einen Fiat Panda quetschen und durchs Land gondeln.
Fiat Panda – ja, den habe ich bildlich vor Augen, habe ich doch viele Fahrerlebnisse mit einer roten Ausgabe dieses Gefährts gemacht. Da kommen nostalgische Gefühle auf, die aber hier überhaupt nichts zur Sache tun.

Weiter im Text. Die vier unterhalten sich über Gott und die Welt, vor allem aber über Musik, was auch daran liegt, dass der Autor selbst Experte im Bereich der klassischen Musik ist. Näheres zu seiner Affinität kann man in seinem Blog hundert11 – Konzertgänger in Berlin erfahren.

Getrunken wird auf der Fahrt übrigens auch und so werden die Dialoge immer abstruser bis schließlich ein fünfter Passagier zusteigt.
Ob die fünf jemals heil zurückkommen? Wir werden es erfahren.

» zur Besprechung des Romans im SPIEGEL

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Dmitrij Kapitelman: “Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters”

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Wenn auf der Verlagsseite des Romans die Schriftstellerin Lily Brett mit den Worten „Der schmerzliche und unheimlich komische Versuch, einen Vater zu verstehen, der nirgends richtig hingehört.“ zitiert wird, ist die Sache für mich schon gebongt, zumal ich ein großer Lily Brett Fan bin. Was sie empfiehlt kann eigentlich nur gut sein, bzw. mir gefallen. 

Dimtrijs Vater fühlt sich in Deutschland ebenso wenig heimisch, wie zuvor in der Ukraine. Der Sohn der seinen Vater sehr liebt, überlegt sich, dass dieser vielleicht über seine jüdische Identität zu sich und zur Ruhe finden könnte. Und vielleicht kann sich Dimtrij da ja direkt anschließen, denn er ist zumindest zur Hälfte Jude – zur anderen Ukrainer.

So machen sie sich auf den Weg und Dimtrij ist einerseits sehr erleichtert, als er erfährt, dass er auch ohne eine jüdische Mutter Staatsbürger Israels werden könne, weiß aber andererseits nicht, wie er mit dem Alltagsrassismus den Arabern gegenüber umgehen soll.
Dies ist jedenfalls weit mehr, als ein einfacher Reisebericht, so der ZEIT-Autor Jens Jessen.
Ich denke mitzureisen würde sehr lohnen.

KulturErnten hat dieses Buch bereits gelesen und besprochen.

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Mathias Enard: “Der Kompass”

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Hingegen viel gehört habe ich von Mathias Enards Roman “Der Kompass”, was vielleicht auch daran liegt, dass er mit dem  renommierten Prix Goncourt im letzten Jahr ausgezeichnet worden ist.

Der Autor selbst hat viele Jahre im Mittleren Osten (Damaskus, Teheran…) gelebt, bevor er durch seinen Roman “Zone” international bekannt wurde.
Das Besondere an diesem Werk, in dem es um einen Kriegsveteranen des Jugoslawienkriegs geht, ist, dass der Text komplett ohne Punkte auskommt. Ein 500 Seiten umfassender Extrem-Monolog sozusagen.
Constanze von Zeichen & Zeiten hat diesen Roman bereits gelesen und besprochen.

In “Kompass” geht es um Sarah (Französin) und Franz (Österreicher) und um das, was sie miteinander verbindet: Eine unglückliche Liebesbeziehung und der Orient, den beide bereits aus Studiengründen (beide sind Orientalisten) ausgiebig bereist haben.
“Wer also etwas über die islamische Welt erfahren möchte […]der lese “Kompass” “, so der ZEIT-Autor Ijoma Mangold. Denn hier erfahren wir, dass “Die Spuren des Westens im Osten und die des Ostens im Westen zu entdecken” sind.
Allerdings sei „Kompass“ kein politischer Roman im vordergründigen Sinne, so Mangold, sondern auch ein Wissenschaftsroman, aus welchem man unglaublich viel mitnehmen könne.
Das glaube ich gerne.

Wer noch tiefer in die Thematik eintauchen möchte, der kann vielleicht auch zu “Licht aus dem Osten – Eine neue Geschichte der Welt” von Peter Frankopan greifen, denn auch hier geht es darum, dass Orient und Okzident historisch viel enger miteinander verbunden sind, als wir es vielleicht glauben.

» zur Besprechung des Romans in der NZZ

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2 thoughts on “Die Weihnachts-Literaturbeilage der ZEIT 2016: Die wichtigsten Bücher des Winters
Kulturrausch Devi

Fil Tägerts „Mitarbeiter des Monats“ habe ich gelesen und ich hab mich köstlich amüsiert. Es ist definitiv kein Buch für die Ewigkeit, aber Humor hat es und der ist teilweise echt derbe. Der Protagonist ist an manchen Stellen ein echt armes Würstchen. Das Schöne ist, dass es sowas wie ein Happy End auch gibt, was nicht ätzend ist.

Friederike

Oh, prima! Danke!

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