Han Kang: “Die Vegetarierin”

Han Kang: “Die Vegetarierin”

Als im Mai bekannt wurde, dass der Roman “Die Vegetarierin” den Man Booker International Prize in diesem Jahr bekommen hat, war mein Interesse geweckt.
Schon allein der Titel klang gut und Literatur aus Südkorea hatte ich bisher so gar nicht auf dem Schirm.

Doch ich mußte mich gedulden, denn in deutscher Sprache ist dieses Buch gerade erst erschienen. Ich habe es bereits gelesen und kann sagen: Das Warten hat sich definitiv gelohnt!
Liebe Murakami-Fans: Hier kommt Euer neues Lieblingsbuch.

Yong-Hye lebt mit ihrem Ehemann in Südkorea. Sie ist eine stille, zurückhaltende und eher unscheinbare Frau, was ihrem Mann sehr recht ist, denn deshalb hat er sie schließlich geheiratet.
Eine Liebesheirat war es definitiv nicht. Er wollte eine Frau, für die er keine intellektuellen Hochleistungen vollbringen mußte. Ihr Mangel an Ausstrahlung kam ihm sehr gelegen, konnte sie so auch nichts von ihm erwarten. Sie hatte ja schließlich auch nichts zu bieten.

Herausforderungen hat er noch nie gemocht und umgab sich schon in seiner Kindheit gerne mit Kindern, die jünger waren als er selbst, damit er den Chef spielen konnte. In der Uni führte er sein Verhalten fort, indem er eine Universität wählte, die unter seinem Niveau lag. So konnte er problemlos besser sein als andere, ohne sich anstrengen zu müssen.
Daher ist er bei der Wahl seiner Gattin nur konsequent.

Yong-Hye redet nicht viel, schimpft nie, wenn er sehr spät nach Hause kommt und bedrängt ihn nicht damit, dass sie auch einmal ausgehen möchte. Für ihn das perfekte Leben.
Bis zu dem Zeitpunkt, als er seine Frau eines nachts in der Küche inmitten des Kühlschrankinhalts vorfindet und sie damit beginnt, alles in den Müll zu werfen.
Auf die Frage hin, was das solle, antwortet sie nur: “Ich hatte einen Traum.”
Das ist an sich eigentlich keine bemerkenswerte Sache, doch in diesem Falle ist dieser Traum das zentrale Ereignis im Leben der beiden, denn Yong-Hye wirft alles weg, was tierischen Ursprungs ist: Sie ist Vegetarierin geworden.

Eine sehr konsequente Vegetarierin, denn sie weigert sich fortan auch mit tierischen Produkten zu kochen, was ihrem Gatten, der es gewohnt ist, alles zu bekommen, was er möchte, große Probleme bereitet.
Auch beginnen sich die Machtverhältnisse im Hause zu verschieben – doch das ist erst der Anfang….
(Wenn man es genau nimmt, so ist sie nicht Vegetarierin, sondern Veganerin geworden, zumal sie ja auch keine Eier etc. zu sich nimmt. Aber vielleicht dachte man sich, dass der Titel “Die Vegetarierin” ein breiteres Publikum ansprechen würde, als “Die Veganerin”. Aber das ist jetzt nur eine Vermutung und wir wollen ja jetzt mal nicht kleinlich sein.)

Han Kang ist mit diesem Buch ein Knaller gelungen. Auf den Punkt formuliert, schnörkellos und mit unglaublichen Ideen wartet sie hier auf. Nie weiß man, wo die Reise hingehen wird und ist verblüfft darüber, auf welch großen Ideenschatz die Autorin auf nur 190 Seiten zurückgreift.
Das muß man sich stets vor Augen halten: Dieses Buch hat wirklich nur 190 Seiten – allerdings hatte ich nach der Lektüre das Gefühl einen richtig dicken Wälzer gelesen zu haben. Ein unglaubliche intensives Buch, mit einer eigentlich simplen Idee – eine Frau stellt ihre Ernährung um.
Was aber Han Kang daraus macht ist weit mehr als einfach nur originell. Mehr möchte ich jetzt auch gar nicht verraten, denn ich glaube, je weniger man über dieses Buch weiß, umso intensiver und überraschender ist das Leseerlebnis.

Dieses Buch ist bereits 2007 in Südkorea erschienen und ich frage mich, weshalb es neun Jahre gedauert hat, bis es für den hiesigen Markt entdeckt worden ist. Aber eigentlich ist es ja auch egal, denn Hauptsache, es gibt dieses brillante Werk auch in deutscher Sprache.
Ich glaube, dass alle Murakami-Fans dieses Buch lieben werden, denn der Schreibstil hat mich etwas an eben diesen Autoren erinnert. Die Handlung allerdings ist ungleich grotesker, aber genau das ist es, was diesen Roman so gut macht.
Da bleibt mir nur noch zu sagen: Bitte lesen und genießen.

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ISBN: 978-3-7466-3333-6
Verlag: Aufbau
Erscheinungsjahr: 2017
Übersetzung:  Ki-Hyang Lee
Preis: 10,00 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2016 ebenfalls bei Aufbau erschienen.


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15 thoughts on “Han Kang: “Die Vegetarierin”
Wortlichter

Die Idee finde ich richtig klasse. Da ist schriftstellerisch sicher einiges möglich.
Ich glaube auch, dass die Veganerin nicht so gut klingt. Dass das Buch jetzt erst übersetzt wird, liegt vielleicht daran, dass erst in den letzten Jahren das Thema Massen tauglich geworden ist. Ich kann mich noch erinnern, dass es vor ca. 10 Jahren extrem schwer war Produkte ohne Gelatine und Milchersatz zu finden. Damals musste man für sowas noch ins Reformhaus oder in den Bio-Laden gehen. Heute gibt es sogar vegane Eigenmarken in den Supermärkten. Jetzt ist es ganz normal vegetarisch oder vegan zu leben, selbst die meisten Cafés und Restaurants haben sich darauf eingestellt. Es gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung.
Liebe Grüße, Anja

    Friederike

    Ciao Anja,

    das Thema hat wirklich sehr an Bedeutung gewonnen. Da muß ich mir nur unsere Kochbuchabteilung ansehen :).
    Was ich mir auch vorstellen könnte ist, dass es sich um eine Übersetzung aus dem Koreanischen handelt, einer Sprache, die nicht so „gängig“ ist, wie zum Beispiel die Englische. Aber das ist auch nur so eine Vermutung.

    Viele Grüße,
    Friederike

Christina

Hach, ich habe jetzt noch mehr Lust auf dieses Buch, schon die ganze Zeit reizt es mich. Danke, dass du in der Rezension nicht zu viel vorweg genommen hast! Und ich muss sagen, dem Verlag ist auch das Cover wirklich toll gelungen. Viele Grüße, Christina

Friederike

Ciao Christina,

da hast Du völlig Recht, das Cover alleine schon macht Lust aufs Lesen!

Viele Grüße,
Friederike

Marion

Um das Buch schleiche ich auch seit Monaten herum…
Zum Titel: Ich glaube, dass ich, als das Buch den Man Booker International bekommen hat, gelesen habe, dass im Koreanischen nicht zwischen Veganer und Vegetarier unterschieden wird. Deshalb wurde der Titel dann wohl auch einfach als Vegetarierin/Vegetarian übernommen. Ob es stimmt, kann ich aufgrund mangelnder Sprachkentnisse leider nicht sagen.

Friederike

…nicht schleichen…lesen :).
Dass im Koreanischen nicht zwischen diesen beiden Ernährungsformen unterschieden wird finde ich hochspannend!
Vielen Dank!

Viele Grüße,
Friederike

Klappentexterin

Liebe Friederike,

es war spannend deine Leseeindrücke zu erkunden, die so ganz anders als meine sind.

Der Anfang konnte mich noch anziehen, weil sich das Buch in der Tat wie Murakami anlas. Aber dann, schon nach wenigen Seiten, huschte der Murakami-Eindruck davon. Und ich klappte das Buch nach 30 Seiten enttäuscht zu. Wenngleich Murakami düstere Elemente in seinen Geschichten einwebt, empfinde ich sie bei ihm wesentlich heller. Und nicht so erdrückend wie bei Ki-Hyang Lee. Auch sprachlich ist mir Murakami näher und bereitet viel mehr Lesevergnügen.

Mir scheint, dies ist ein Buch, das man entweder voller Faszination aufsaugt oder vorher fragend zuklappt. Aber seine Leser wird es in jedem Fall finden. Und ich schaue mir das Spektakel nun aus der Ferne an.

Herzlich grüßt
Klappentexterin

    Klappentexterin

    Ich meinte natürlich Han Kang. 😉

    Friederike

    Liebe Simone,

    Ich finde unsere beiden unterschiedlichen Lesearten hochspannend!
    Han Kang ist in der Tat eine „Murakami in düsterer Form“, wie ich es jetzt mal formulieren würde.
    Ein leichter, unbeschwerter Titel ist es bestimmt nicht, aber mich ziehen solche Bücher ja immer an :).

    Viele Grüße,
    Friederike

    thomas schalt

    Liebe Simone.Bücher kann man nicht nach 30 Seiten beurteilen.Du solltest neugierig bleiben und weiterlesen.Dann kommst Du zu den Passagen, die Du nie wieder vergessen wirst.Es geschehen ungeheuerliche Dinge, die Dich überraschen und Dir den Atem nehmen werden.Dich erwarten sinnliche, erotische und farbige Bilder, die Dich ergreifen werden, denen Du Dich nicht entziehen kannst, obwohl das Geschehen verstörend ist und die Handelnden zerstört. Aber die Zerstörung fasziniert trotz aller Traurigkeit.Es ist nicht zu fassen, was Worte auf Papier bewirken können, mehr als alle lauten Bilder in den Filmen!Das hier ist große Literatur und viel leichter zu lesen als Kafka oder Murakami, aber genauso großartig.Laß Dich darauf ein, auch wenn es weh tut!
    Thomas

Martina

Ein superschönes, verstörendes Buch. ich habe schon lange nicht mehr ein Buch gelesen das mir von Seite zu Seite besser gefallen hat.

Pingback: Die Vegetarierin von Han Kang – Eine Rezension
Gesa Martens

Habe das Buch bis zu der grausamen Tötung des Hundes gelesen, hat mir gereicht.
Nichts für sensible Gemüter und Veganer, hatte Alpträume.

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