Am Tag der Literaturnobelpreisverkündung bin ich traditionell aufgeregt und hoffe immer sehr, dass es ein Autor sein wird, der ein paar Bücher geschrieben hat und die wir im besten Fall sogar in der Buchhandlung vorrätig haben.
Daher habe ich mich gestern Mittag sehr gefreut, als ich erfuhr, dass der dass der Literaturnobelpreis in diesem Jahr an Kazuo Ishiguro geht.
Seinen Roman “Alles, was mir geben mussten”* las ich, als ich ich gerade meine Ausbildung begonnen hatte und für ein halbes Jahr in der Taschenbuchabteilung war.
Damals gab es jeden Monat einen neuen “Azubi-Taschenbuchtipp” und mein allererster Tipp war “Alles, was wir geben mussten”, denn ich hatte dieses Buch in einer Nacht durchgelesen und war hin und weg.
In diesem Roman geht es um Jugendliche, die in einem Internat in England leben und ein ganz normales Leben führen. Sie schließen Freundschaften, ärgern sich über Alltägliches, doch man hat immer das dumpfe Gefühl, dass etwas nicht stimmen kann: Sie bekommen nie Besuch und scheinen auch keine Eltern zu haben.
Sehr schnell erfährt der Leser dann, weshalb dies so ist. Die jungen Menschen sind nur dazu da, um ihre Organe zu spenden.
Die kristallklare Prosa Ishiguros hat mich tief berührt und emotional stark mitgenommen.
Ein Wahnsinnsbuch.
Dann empfahl mir mein Kollege Oskar “Was vom Tage übrig blieb“* und ich dachte: Prima, das wird noch so ein Knaller.
Doch die Geschichte um einen britischen Butler war ganz anders und ich hatte das Gefühl das Werk eines vollkommen anderen Autoren zu lesen.
Der Schreibstil passte zum Sujet: Stevens ist Butler in einem Herrenhaus und hat sein Leben voll und ganz seiner Tätigkeit verschrieben. Als eine neue Haushälterin angestellt wird und sich ihm zu nähern versucht, ist er entrüstet und weist sie ab. Jahre später begreift er erst, was er getan und vielleicht gefühlt hat.
Dieser Roman ist wunderbar geschrieben, keine Frage, doch hatte ich etwas anderes erwartet und daher eine wahnsinnig hohe Erwartungshaltung – und das geht meistens nicht gut.
Das ging mir zum Beispiel bei Ayelet Gundar-Goshens Roman “Löwen wecken” auch so. Mir war im Vorfeld so viel vorgeschwärmt worden, dass der Roman eigentlich von Anfang an gar keine Chance hatte, meinen Erwartungen gerecht zu werden. Schade eigentlich.
Gerade lese ich übrigens Gundar-Goshens neuen Roman „Lügnerin“ und bin hellauf begeistert.
Den nächsten Ishiguro Roman las ich zu einer Zeit, als ich mich nicht richtig konzentrieren konnte und wahrscheinlich war auch das ein Fehler. Es handelte sich um sein sehr umfangreiches Werk “Die Ungetrösteten”* .
Ryder ist Pianist und gerade auf Konzertreise, als ihn ein Page im Hotel um einen sonderbaren Gefallen bittet. Ryder wollte eigentlich nur seine Ruhe haben, doch lässt er sich breitschlagen. Er soll die Tochter des Pagen Gustav treffen und zwischen ihr und ihrem Vater vermitteln.
Als er Sophie schließlich trifft, begrüßt sie ihn, wie einen guten Freund und Ryder zweifelt plötzlich daran, dass er die Frau wirklich noch nie gesehen haben soll. Er ist sehr verwirrt und stellt sich die Frage, ob er Sophie vielleicht von früher kennt.
Als er den Ort des Treffens verlässt verschwimmen die Grenzen zwischen Phantasie und Realität und Ryder trifft auf viele Freunde, Bekannte und auch Tote, die sich von ihm Erlösung erhoffen.
Ich muss gestehen, dass ich dieses Buch nicht zu Ende gelesen habe, es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Aber vielleicht fange ich jetzt ja noch einmal an.
In meinem Regal steht es jedenfalls.
2015 erschien dann “Der begrabene Riese”* und da eine meiner Kolleginnen so begeistert war, begann ich ebenfalls zu lesen.
Dieses Buch spielt im 5.Jahrhundert in England. Das Land ist verwüstet, denn die Briten und Angelsachsen liefern sich erbitterte Kämpfe.
Beatrice und Axel sind ein Paar und gelten im Dorf als Außenseiter. Sie spüren, dass die anderen sie nicht vor Ort haben möchten und sie als Belastung empfunden werden. Daher beschließen die beiden ihre Heimat zu verlassen, um ihren Sohn zu finden, den sie schon lange nicht mehr gesehen haben.
Ishiguro schildert ihre Reise, während der sie merken, dass sich das Land verändert. Das Gleichgewicht verschiebt sich und auch in ihrer Beziehung ist nicht mehr so, wie es einmal war.
Auch hier ist es so, dass ich dieses Buch leider nicht zu Ende gelesen habe. Es ist sicher gut, aber ich konnte mich nicht darauf einlassen. Ich glaube, es lag am Thema. Diese Mischung aus phantastisch und historisch war nicht meins.
Vielleicht lag es auch daran, dass ich mir fest vorgenommen hatte, es toll zu finden.
Und da ist sie wieder, die Sache mit der Erwartungshaltung.
Aber ich gebe nicht auf. “Damals in Nagasaki”* möchte ich auf jeden Fall noch lesen und gerade habe ich zu meiner Überraschung festgestellt dass ich “Als wir Waisen waren”* im Regal stehen habe. Dass ich dieses Buch besitze, wusste ich gar nicht. Vielleicht ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl…
Eins ist mir jedenfalls bewusst geworden: Ishiguros große Begabung ist die stilistische und thematische Vielseitigkeit. Kein Buch ist wie das andere. Es gibt ihn nicht, den “Ishiguro-Sound”.
Murakamis Werke kann man blind gereicht bekommen und merkt nach ein paar Seiten: Aha! Ein Murakami. Genauso verhält es sich mit John Irving.
Ishiguro ist ein sehr feinsinniger Erzähler, dessen Werke sprachlich allesamt brillant sind. Mit jedem Buch zeigt er eine neue sprachliche, als auch thematische Facette mit der man nicht rechnet.
Das ist eine enorme Leistung. Alleine dafür hat er den Nobelpreis verdient.
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