Jenny Erpenbeck: „Gehen, ging, gegangen“

Jenny Erpenbeck: „Gehen, ging, gegangen“

Richard ist emeritierter Altphilologe und wohnt in Berlin. Seine Frau ist vor fünf Jahren gestorben, Kinder hat er keine, aber eine Handvoll Freunde mit denen er sich ab und an trifft. Richtig unglücklich scheint er nicht zu sein.

Was ihm vielleicht fehlt, ist eine Aufgabe im Leben. “Er weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis er sich daran gewöhnt hat, Zeit zu haben. Sein Kopf jedenfalls arbeitet noch, so wie immer. Was fängt er jetzt mit dem Kopf an? […] Auch das, was man Bildung nennt, alles, was er weiß und gelernt hat, ist von nun an nur noch sein Privateigentum.”

Als er eines Tages in den Nachrichten von Männern hört, die vor dem Roten Rathaus in Berlin in den Hungerstreik getreten sind, wundert er sich. Erst vor Kurzem ist er an diesem Ort gewesen und hat diese Männer nicht wahr genommen. Warum nicht?
Als er ein paar Tage später in der Zeitung eine Ankündigung liest, dass die Männer aus Afrika sich nun in einer Kreuzberger Schule bzw. einem Altenheim befinden, und dort Anwohner und Flüchtlinge zur Beratung der Lage zu einem Treffen geladen sind, beschließt er hin zu gehen.
Nach diesem Treffen denkt er sehr viel nach und beginnt einen Fragenkatalog zu entwerfen, den er den Männern aus Afrika gerne vorlegen würde.Schließlich werden die Fragen für ihn so drängend, dass er selbst zum Altenheim geht und beginnt die Männer zu interviewen. Hier erfährt er von ihren Schicksalen, ihrer Flucht übers Meer nach Italien, von den Problemen mit der Bürokratie und davon, dass sie alle keine Arbeitserlaubnis in Deutschland bekommen. Sie bekommen Deutschunterricht und bald wird Richard gefragt, ob er nicht den Unterricht für die Fortgeschrittenen übernehmen möchte, wozu er schließlich einwilligt. Nach und nach lernt er die Männer kennen und zu manchen entwickelt sich so etwas wie Freundschaft. Doch wo soll das alles hin führen, wenn doch eigentlich von vorne herein klar ist, dass sie Deutschland wahrscheinlich früher oder später verlassen müssen?

Jenny Erpenbeck hat sich an ein Thema gewagt, das aktueller nicht sein könnte. Zunächst war ich sehr euphorisch, dann jedoch begann ich mir die Frage zu stellen, ob man aus diesem Thema denn nicht mehr hätte machen können. Mir ist das Ganze manchmal irgendwie zu linear, zu offensichtlich und dringt nicht tief genug in die Materie ein. Das Buch an sich ist sehr flüssig geschrieben und bis zum letzten Drittel war ich auch ganz angetan, zumal es Jenny Erpenbeck gelingt, empathisch zu sein, ohne Mitleid erregen zu wollen, was, wie ich finde, schon eine Leistung ist.
Allerdings muss ich leider sagen, dass ich mir sprachlich etwas mehr erhofft hatte. Jenny Erpenbeck ist eine tolle Autorin und stand ja schon mit “Aller Tage Abend” auf der Longlist, ein Buch, das von den Kritikern und den Lesern gleichermaßen gefeiert worden ist.
Ich hatte bei “Gehen, ging, gegangen” den Eindruck, dass sie unter ihren Möglichkeiten bleibt, was ich sehr schade finde.

Nichtsdestotrotz bin ich sehr gespannt darauf, ob wir Frau Erpenbeck am 16. September auf der Shortlist sehen werden.

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Weitere Rezensionen dieses Titels gibt es bei lustauflesen.de, literaturleuchtet und Literaturen.


ISBN: 978-3-8135-0370-8
Verlag: Knaus
Preis: 19,99 €


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