Katharina Hartwell: “Der Dieb in der Nacht”

Katharina Hartwell: “Der Dieb in der Nacht”

“Seit Donnerstagnachmittag wir der 19-jährige Felix Heller vermisst. Felix verließ am 22. August gegen 17 Uhr die Tankstelle am Ortseingang Dornheim. Felix hat blondes, gelocktes Haar, ist etwa 1,85 m groß und schlank. Als er zuletzt gesehen wurde, trug er khakifarbene Shorts, ein dunkelblaues Polohemd und weiße Turnschuhe der Marke Asics.
Hinweise nimmt der Kriminaldienst der Dornheimer Polizei unter der Nummer 03323 89231 entgegen.”
So beginnt der Roman “Der Dieb in der Nacht”, der der Frage nachgeht, wie die Hinterbliebenen ein Jahrzehnt später mit Felix Verschwinden zurechtkommen.

Paul zum Beispiel, sein bester Freund. Jedenfalls sieht Paul Felix als solchen.
Ob er es wirklich war, oder ob Paul sich etwas einredet und einfach nur sehr wünscht? Man weiß es nicht.
Jedenfalls ist Paul in Prag, um einen Auftrag zu erfüllen und trifft abends in einer Kneipe auf jemanden, der genau das gleiche Muttermal hat, wie Felix.
Er sieht zwar nicht unbedingt so aus, wie Felix, aber er bewegt sich so. Er nennt sich Ira Blixen und schon bald stellt sich heraus, dass er vor zehn Jahren sein Gedächtnis verloren hat und sich an absolut nichts aus der Zeit davor erinnern kann.
Auch sagt er von vorne herein, dass er nicht glaubt, Felix zu sein – taucht aber dann doch unvermittelt bei Paul zu Hause in Deutschland auf. Er hat die Hoffnung, sich vielleicht doch zu erinnern, die Hoffnung zu erfahren, wo er her kommt und wer er wirklich ist.

Louise ist Felix Schwester und sie ist zunächst erschüttert, als sie von Paul erfährt, dass ihr Bruder möglicherweise wieder aufgetaucht ist, vor allem, als sie feststellt, dass Ira nicht so aussieht, wie sie sich einen erwachsenen Felix vorstellt.  Dieser Ira kann nicht ihr Bruder sein…oder vielleicht doch?

Katharina Hartwell erzählt eine Geschichte vom Hoffen, vom Wunschdenken und von verzweifelten Menschen, deren Leben sich an jenem 22. August vollkommen verändert hat und seither stagniert. Weder Paul und Louise wissen viel mit sich anzufangen. Louise bäckt ab und an Cupcakes für eine Suppenbar, aber Leben kann sie davon natürlich nicht. Ihre Mutter schießt ihr Geld zu.
“Ich wollte irgendwas mit Menschen machen. Helfen. Ihnen sagen, was sie tun sollen” sagt Louise. Woraufhin ihre Mutter antwortet: “Dann solltest Du vielleicht Horoskope schreiben”.
Ich denke aus diesem Dialog kann man ganz gut herausleben, wie die Beziehung der beiden ist – nicht gerade die Beste.

Paul war der Ziehsohn von Louises Mutter, zumal er mit seinen eigenen Eltern nicht so wirklich zurechtgekommen ist. Er redet sich die gemeinsame Zeit mit Felix Familie schön, besonders die Zeit, in der sie “Freunde” geworden sind. Wobei es eher so war, dass Paul so sein wollte wie Felix und ihm bedingungslos nacheiferte, zum Beispiel bei der Auswahl der Lektüre. Was Felix interessierte, las auch Paul.
Aber ist das Freundschaft? Ist das nicht eher sehr einseitig?

Nach und nach erfahren wir, wie das Verhältnis zwischen Paul und Felix wirklich gewesen ist und das ist sehr spannend. Genauso spannend ist die Frage, wer Ira Blixen wirklich sein könnte – wenn er doch so stark davon überzeugt ist, nicht Felix zu sein, warum nistet er sich dann bei Paul ein, beginnt Sachen zu stehlen und Offensichtliches zu leugnen?

Das Einzige, was mich nicht vollkommen zufrieden gestellt hat, war das Ende des Romanes, was der Tatsache, dass dies ein sehr gutes Buch ist, allerdings keinen Abbruch tut. Denn Katharina Hartwell schafft es, dass wir ganz tief mit den Emotionen der Protagonisten mitleben, mit ihrer Trauer, ihrer Melancholie und mit ihrer Unsicherheit.
Diese Tiefe ist wirklich herausragend und alleine dafür schätze ich die Autorin sehr.

Katharina Hartwell hat sich für dieses Buch von Fall Frédéric Bourdin inspirieren lassen, einem Betrüger, der sich für den 1997 verschwundenen Nicholas Barclay ausgab und einige Monate bei Barclays Familie lebte, obwohl offensichtlich war, dass er nicht ihr Sohn sein konnte: Er hatte braune Augen. Nicholas Barclay hatte blaue.
Ein DNA Test brachte dann Klarheit und Nicholas Barclay ist bis heute unauffindbar.

Über diesen Fall gibt es übrigens auch einen Doku-Thriller, den DIE ZEIT besprochen hat.

» Zur Leseprobe


ISBN:  978-3-8333-1083-6
Verlag: Berlin Verlag
Preis: 10,00 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2015 ebenfalls im Berlin Verlag erschienen.


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2 thoughts on “Katharina Hartwell: “Der Dieb in der Nacht”
Vanessa

Hallo Friederike,

eine schöne Rezension. Das Buch steht im Moment noch auf meiner Wunschliste, aber ganz weit oben. Ich hoffe ja, dass jemand so gnädig ist und mir das Buch zum Geburtstag schenkt 😀
Ich habe „Das fremde Meer“ von Katharina Hartwell so geliebt. Die Autorin hat einen ganz wundervollen Schreibstil.

LG, Vanessa

Friederike

Ciao Vanessa,

mir geht es genauso wie Dir-nur in umgekehrter Reihenfolge. Ich habe die Lektüre von „Das fremde Meer“ noch vor mir und freue mich sehr darauf. Ich wünsche Dir viel Spaß beim Lesen!

Viele Grüße,
Friederike

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