Miranda July: “Der erste fiese Typ”

Miranda July: “Der erste fiese Typ”

Cheryl ist Single, Anfang vierzig und hat ihr ganz eigenes System: Sie besitzt nur einen Teller, eine Gabel, ein Messer und eine Tasse. So vermeidet sie, dass sich das ungespülte Geschirr in der Spüle ansammelt, denn “Was man nicht hat, kann sich nicht aufstapeln”.
Das wäre jetzt ja noch einigermaßen nachvollziehbar, aber Cheryl praktiziert eine minimalistische Vermeidungsstrategie: “Bevor Sie einen Gegenstand weit von seinem angestammten Platz entfernen, denken Sie daran, dass sie ihn auch dorthin zurückbringen müssen – ist es das wirklich wert? Könnten Sie das Buch nicht auch lesen, während Sie neben dem Regal stehen und den Finger in der Lücke halten, in die Sie es nachher wieder schieben werden?”
Dass Cheryl vollkommen WG-untauglich ist, versteht sich von selbst.

Cheryl arbeitet in einem Frauen-Selbstverteidigungsstudio, welches seine Haupteinkünfte aus dem Verkauf von Fitness-DVDs bezieht. In dieser Firma arbeitet auch der 20 Jahre ältere Phillip, in den Cheryl verschossen ist.
Kleine Frotzeleien erhellen ihren Alltag. Für sie ist klar, dass Phillip und sie zwei alte Seelen sind, die schon in der Steinzeit zusammen waren. Dass Phillip das nicht so sieht, zeigt sich spätestens, als er Cheryls Segen zu seiner Beziehung mit einer 16jährigen haben möchte.

Als ob das nicht genug für Cheryl wäre, ergibt es sich, dass die Tochter ihres Chefs bei ihr einzieht. Cheryl konnte ja schlecht nein sagen, es ist ja schließlich ihr Chef. Doch nicht genug damit, dass Cheryl jetzt in einer WG wohnt, nein. Clee ist keine gewöhnliche Mitbewohnerin, die sich in Rücksicht übt – Clee ist eine “Granate” mit einer enormen Oberweite, stark über das Normalmaß gebräunt und nicht gerade mit guten Manieren ausgestattet.
Sie beginnt auf dem Sofa zu residieren und schaut von morgens bis abends fernsehen. Zwei Welten treffen aufeinander.
Als Clee schwanger wird, bessert sich das Verhältnis zwischen den beiden Hauptakteurinnen zwar (wenn man das so nennen kann), aber weniger skurril wird es auch nicht….

So “normal” der Plot im Obigen auch klingt, dies ist kein normales Buch, denn Miranda July ist keine gewöhnliche Autorin.
In “Der letzte fiese Typ” ringen Frauen miteinander, werden Schnecken bestellt, die entfliehen und es gibt einen Gärtner, der vielleicht obdachlos ist und zum Inventar gehört.
Dies ist das zweite Buch, welches von Miranda July auf Deutsch veröffentlicht worden ist. Ihr Debüt gab sie mit “Zehn Wahrheiten” einer Sammlung von Kurzgeschichten.
Doch Miranda July ist weit mehr als eine Autorin – sie ist  Künstlerin, Regisseurin, Drehbuchschreiberin, Schauspielerin, und Musikerin.

Schon als Teenie gründete sie ihr erstes Magazin und schrieb ihr erstes Theaterstück. Später drehte sie viele Kurzfilme, während sie bei einem Schlüsseldienst für Autotüren Geld verdiente. Von 1998 bis 2000 entwickelte sich Miranda July zur Performance Künstlerin, deren Werke unter anderem im Institute of Contemporary Arts in London und im Guggenheim Museum in New York gezeigt wurden.
Ihr erster abendfüllender Film “Me and You and Everyone We Know” wurde beim Sundance Film Festival gezeigt und nicht nur das. Dieser Film eröffnete auch 2005 die Filmfestspiele in Cannes und erhielt eine “Caméra d´Or” für das beste Debüt. Währenddessen schrieb sie Kurzgeschichten für die sie den Cork City-Frank O’Connor Short Story Award bekam und die zum Bestseller wurden.

So schillernd, wie ihr Leben ist auch ihr Schreibstil. Scheinbar verspielt und leicht kommt dieser daher, doch darunter lauert eine große Ernsthaftigkeit.
Cheryl ist vordergründig ziemlich verrückt, aber weshalb ist sie das? Liegt das nicht an den Erwartungen, die an eine Single-Frau in der heutigen Welt gestellt wird? Ist sie wirklich so verschroben – ein Einzelfall, oder ist es nicht vielmehr so, dass wir alle solche Einzelfälle sind und Macken haben?
Sind wir nicht alle ein bisschen so wie Cheryl, manchmal unsicher und zu reflektierend?

Ich finde, Miranda July hat mit Cheryl eine Figur geschaffen, die eine gehörige Portion an Identifikationsmöglichkeiten in sich trägt. Sie versucht zum Beispiel immer schon weg zu sein, wenn der “obdachlose Gärtner” bei ihr zu Hause erscheint, was ja morgens um sieben gar nicht so einfach ist. Sie vermeidet Konfrontationen und geht jedem möglichen Konflikt aus dem Weg.
Dass es natürlich etwas übertrieben wirkt, dass sie manchmal einfach drei Stunden durch die Gegend fährt, bis der Gärtner wieder weg ist, ist klar, macht sie aber sehr sympathisch. Manchmal parkt sie auch ein paar Straßen weiter und schläft im Wagen – eine Reaktion, die natürlich sehr überzeichnet ist, aber – jetzt mal ehrlich: Hätten wir das nicht in irgendeiner Situation in unsrem Leben auch gerne mal getan und uns aber nicht getraut, weil man uns dann für verrückt gehalten hätte?

Miranda July schreibt einfach herrlich, hat unglaublich viele Ideen und ist sehr kreativ.
Deshalb mochte ich “Der erste fiese Typ” sehr und werde mich bald daran machen, ihre Kurzgeschichten zu lesen.

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ISBN: 978-3-462-05033-2
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr: 2017
Übersetzung: Stefanie Jacobs
Preis: 10,99 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2015 ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.


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2 thoughts on “Miranda July: “Der erste fiese Typ”
Silvia

Nach diesem Cover hätte ich nie gegriffen.
Aber es scheint sich ja richtig zu lohnen!

Das Bücher-Magazin war auch voll des Lobes!

Friederike

Das Cover ist definitiv ein Wagnis, aber ein sehr gelungenes wie ich finde – dem Inhalt entspricht es so überhaupt nicht, aber Miranda July an sich ist ja so eine bunte Persönlichkeit, dass ich das mit dem Cover irgendwie gut finde. Es passt zu ihr.

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