Paul Auster: “Winterjournal”

Paul Auster: “Winterjournal”

Da ich die zeitgenössische amerikanische Literatur sehr schätze, ist es kaum verwunderlich, dass ich Paul Auster sehr gerne lese.
“Unsichtbar” zum Beispiel fand ich richtig gut, aber “Winterjournal” ist für mich schlichtweg großartig. So nah bin ich einem Autoren selten gekommen, denn Paul Auster schreibt hier über den Menschen, den er am besten kennt: Über sich selbst.

Diese Innenschau beginnt Auster mit der “Inventarisierung” seiner Narben, denn “jede einzelne Narbe ist die Spur einer verheilten Wunde, und jede einzelne Wunde war das Ergebnis einer unerwarteten Kollision mit der Welt.”
Des Weiteren erzählt er zum Beispiel davon, wie die uralte Weisheit “Lass keine Gelegenheit zum Pinkeln aus” von einer Generation seiner Familie zur nächsten weitergereicht worden ist und von seiner eigenen Erfahrung mit der Nichtbeachtung selbiger, was sehr amüsant ist.

Auch lässt er uns an den Gründen teilhaben, aus denen er sich nie wieder in ein Auto setzen wird, an seinem Herzinfarkt, welcher sich als Speiseröhrenentzündung herausstellte und er erzählt uns von seinen insgesamt 21 Wohnungen, in denen er im Laufe seines Lebens gelebt hat.
Einige davon waren in Frankreich, denn Frankreich hatte es ihm angetan, aber schlussendlich zog es ihn dann doch nach New York, wo er bis heute zusammen mit seiner Frau, der Schriftstellerin Siri Hustvedt, die ich sehr verehre, lebt.

“Winterjournal” wollte ich schon so lange lesen und bin froh, dass ich es nun endlich zur Hand genommen habe.
Ich finde es sehr beeindruckend, wie Paul Auster mit seinem Leben umgeht, wie er keine Scheu hat auch wirklich Persönliches in Schriftform zu bringen und uns zum Beispiel zu erzählen, dass er schon immer eine “beständige Sehnsucht nach Mädchen” hatte.

Das begann bereits in ganz jungen Jahren: Im Kindergarten schon war er ganz versessen aufs Küssen, aber trotz seiner ständigen Jagd nach Mädchen in der Highschoolzeit waren seine “erotischen Abenteuer erschreckend brav und lahm”.
An solchen Momenten bzw. Erkenntnissen läßt Paul Auster teilhaben und das ist einfach wunderbar.

Es gibt so manche Biografie die nach dem Strickmuster geformt ist: Und dann traf ich den und den und schrieb in dieser Zeit das und das. Dies ist bei vorliegendem Werk nicht der Fall. Zum Glück!
Es ist mehr als eine Biografie, es ist ein intimer Bericht, ein Blick ins Innere eines fühlenden Menschen. Ein Einblick, der vielleicht so intensiv ist, weil Auster die zweite Person singular, das Du, als Erzählform wählt, was in der Literatur relativ selten ist.

Mir fallen jetzt konkret nur zwei weitere Beispiele für diese direkte Ansprache im Roman ein (es gibt aber sicherlich viel mehr) und zwar Vendela Vidas “Des Tauchers leere Kleider” (eines meiner Lieblingsbücher des Jahres 2016) und “Schnell, dein Leben” von Sylvie Schenk, das ich erst kürzlich gelesen habe und das mich sehr begeistert hat.

Diese spezielle Form der Anrede macht etwas mit mir als Leser, ich erlebe die Texte intensiver und genau diese Intensität, gepaart mit Austers eher kühlen Schreibstil ist es, die “Winterjournal” zu einem besonderen Leseerlebnis für mich gemacht hat.
Wirklich beeindruckend.

» zur Leseprobe*


ISBN:  978-3-499-25950-0
Verlag: Rowohlt
Übersetzung: Werner Schmitz
Erscheinungsjahr: 2015
Seiten: 256
Preis: 12,00 €


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7 thoughts on “Paul Auster: “Winterjournal”
Literaturreich

Mir gefiel dieser Ansatz, über sich anhand von Leitthemen und Lebensorten zu schreiben auch außerordentlich gut.

    Friederike

    Ja, das ist mal etwas anderes. Hast Du „Bericht aus dem Inneren“ auch schon gelesen?

    Viele Grüße,
    Friederike

Literaturreich

Bin ich noch nicht dazu gekommen. Liegt aber noch hier. Da ich im März zu einer Auster Lesung gehen werde, habe ich vor, das noch zeitnah zu lesen. Kennst du es? Herzliche Grüße, Petra

    Friederike

    Ich auch nicht, aber es liegt schon hier…wie bei Dir :).
    Ich wünsche Dir viel Spaß bei der Lesung – Paul Auster zu erleben ist sicherlich ein Ereignis!

    Viele Grüße,
    Friederike

Connie

Liebe Buchbloggerin,

auch ich bin ein großer Fan des Ehepaares Hustvest/Auster und habe gerade meinen Artikel zum „Winterjournal“ fertig. Ich verlinke deinen Artikel weil ich glaube, es ist für den Leser bereichernd, mehrer Ein- oder Ansichten zu lesen.

Ich war übrigens auf der Lesung „Damals“ von Siri Hustvedt in Frankfurt. Genial!

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