Siri Hustvedt: “Die gleissende Welt”

Siri Hustvedt: “Die gleissende Welt”

Als der neue Roman von Siri Hustvedt angekündigt wurde, war ich richtig aus dem Häuschen und als ich las, dass die Geschichte in der Kunstszene New Yorks angesiedelt ist, freute ich mich noch mehr darauf. Ich hatte hohe Erwartungen und ich wurde nicht enttäuscht: Noch immer bin ich ganz berauscht von dieser Lektüre.

Es geht um die Künstlerin Harriet Burden, die einige Werke geschaffen und auch schon ausgestellt hat. Es gab ein, zwei sehr wohlwollende Kritiken, aber so richtig bekannt wurde sie als Künstlerin nicht. Eher als Ehefrau von Felix Lord, einem sehr einflussreichen (und nicht monogamen) Sammler und Kunsthändler. Allerdings hat er seine Frau nie gefördert, denn seiner Meinung nach, sähe das so aus, wie Vetternwirtschaft. Dabei ist es doch ein offenes Geheimnis, dass Beziehungen in dieser Szene eine nicht unbedeutende Rolle spielen.
Aber noch etwas anderes treibt Harriet um: Sie ist sich sehr sicher, dass ihr Werk Beachtung gefunden hätte, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf wagt sie nach dem Tod ihres Mannes ein Experiment: Sie findet, beziehungsweise überzeugt, drei jungen Künstler, die an ihrer statt als Künstler auftreten und ihre Werke in der Öffentlichkeit präsentieren. Der Plan ist eine spätere Enthüllung und somit Demaskierung der Kunstwelt, welche von Männern dominiert ist.
Die ersten beiden Ausstellungen haben nur mäßigen Erfolg, doch die Dritte schlägt so richtig ein, woraufhin Rune (der junge Künstler) sich weigert, Harriet als wahre Künstlerin zu enthüllen…

Dieses Buch handelt nicht nur von der Kunst, es ist eine ebensolche – mit einem kunstvollen Überbau: Harriets Geschichte wird nicht nach und nach erzählt, es ist eher eine Collage in der wir in ihr Leben und ihre Seele blicken dürfen.
Am Anfang steht eine Einführung über Harriet Burden, denn ein Buch soll über sie geschrieben werden, in welchem (unter anderem) Auszüge aus ihren 24 Notizbüchern,  Interviews mit Kunstsachverstädigen, Erinnerungen der Tochter, Textauszüge ihres Sohnes (der Schriftsteller geworden ist) sowie Berichte über Rune, den Künstler, der die Demaskierung verweigerte, abgedruckt werden sollen, um sich dem verkannten Genie Harriet Burdens zu nähern.
Diese Art des textlichen Collagierens alleine schon ist beeindruckend und die Tagebücher Harriets offenbaren, dass Siri Hustvedt eine hervorragende Essayistin ist und in vielen Bereichen brillieren kann. Ihre Themen sind vielfältig: Literatur, Philosophie, Geschichte, Psychologie und Neurowissenschaften. Dieses Wissen läßt Siri Hustvedt so einfließen, dass man glaubt, eine Art intime Biografie einer Künstlerin zu lesen, die wirklich existiert hat. Eine hochintelligente Künstlerin wohlgemerkt und ich muß gestehen, dass ich ihrem Kunstdiskurs nicht immer folgen konnte. Doch dies ist auch gar nicht wichtig, was Hustvedt in ihrem Text auch selbst bemerkt, in dem sie zwei Interviewpartner anmerken läßt, dass sie die Texte Harriet Burdens in einer Fachzeitung auch nicht verstehen. Ein wunderbar humoristischer Schachzug, welcher impliziert, dass der Dialog um die Kunst vielleicht manchmal zu hochgeschraubt formuliert wird.
Mir allerdings hat es viel Spaß gemacht mich in diese Moderne-Kunst-Welt einzulesen, denn ich hatte das Gefühl, dass meine grauen Zellen so richtig gefordert werden und ich wirklich auch Wissen aus diesem Buch ziehen kann.

Sich einen Künstler erschaffen und dann über ihn zu schreiben, finde ich hochspannend. Der Autor William Boyd zum Beispiel hat diesen Kunstgriff auch in seiner fiktiven Romanbiografie “Eines Menschen Herz” angewandt und mit seinem Projekt: “Nat Tate” auf die Spitze getrieben. Er erfand den Expressionisten “Nat Tate”, schrieb ein Buch über ihn und alle Welt fiel darauf herein.
In seinem Buch über Tate präsentierte Boyd Zeitzeugen, fingierte Begegnungen mit Picasso und malte Tates Bilder einfach selbst. Alle glaubten ihm und man war schon drauf und dran die Kunstgeschichte umzuschreiben. Tates Werke wurden sogar bei Sotheby´s verkauft und ich denke, dass Boyd einen riesengroßen Spaß bei dieser Aktion gehabt haben muss.

So weit geht Siri Hustvedt nicht. Harriet Burden bleibt eine fiktive Figur, aber wenn man “Die gleissende Welt” liest, glaubt man wirklich, dass diese Künstlerin existiert hat.
Ich jedenfalls bin hin und weg von diesem Buch und hoffe sehr, dass Siri Hustvedt bald nachlegen wird.

» zur Leseprobe


ISBN:  978-3-499-26837-3
Erscheinungsjahr: 2016 (Taschenbuch)/2015 gebundene Ausgabe
Übersetzung: Uli Aumüller
Verlag: Rowohlt
Preis: 10,99 €


Das könnte Dir vielleicht auch gefallen:

4 thoughts on “Siri Hustvedt: “Die gleissende Welt”
buchlieberin

Ich habe bald Geburtstag. Dieses Buch steht auf meiner Wunschliste ganz oben!!!

Friederike

Das ist ein Top-Wunsch! 🙂

Sandra

Ich habe das Buch gerade ausgelesen. 490 Seiten in knapp anderthalb Wochen, das ist ein sehr guter Schnitt für mich und spricht für „Die gleißende Welt“: Das war so ein Buch, bei dem ich wirklich bedauert habe, zum Ende zu kommen.
Ich finde, Siri Hustvedt schafft es, das Thema und die komplexen künstlerischen und (kunst-)theoretischen Hintergründe brillant aufzubereiten. Und genial, die Geschichte um „Harriet Burden“ als Material- bzw. Textsammlung zu präsentieren. Dadurch haben mich Siri Hustvedts literarische, kunsthistorische, philosophische und wissenschaftliche Verweise nicht im Mindesten gestört. Das alles fügt sich flüssig in den Text und in das Porträt „Harriet Burdens“ ein: Ich persönlich hatte nie das Gefühl, plakativ belehrt zu werden.

Kurz gesagt: tolles Buch, ganz klare Leseempfehlung!

    Friederike

    Liebe Sandra,

    es freut mich sehr dass Dir dieses Buch auch so gut gefallen hat! Vielen Dank für Dein Statement.

    Viele Grüße,
    Friederike

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Archive