Was war denn das?!
Das war eine unterhaltsame Ausgabe des neuen Literarischen Quartetts. Woran es lag – je nun, es lag an Thomas Glavinic und das ist in diesem Fall nicht unbedingt als Lob zu verstehen, denn Glavinic machte nicht nur Christine Westermann, Maxim Biller und Volker Weidermann ratlos, sondern auch mich.
Ich frage mich, weshalb er zugesagt hat, Gast dieser Sendung zu sein, zumal man den Eindruck gewinnen konnte, er habe sich gar nicht wirklich darauf vorbereitet.
Er konnte seine Schrift nicht lesen und kokettierte damit, fand keine passenden Worte und wirkte irgendwie selbstgefällig, ohne aber wirklich irgendwas zu den zu besprechenden Büchern beizusteuern. Er meinte, daß es schwer für ihn sei, Autorenkollegen zu kritisieren. Das kann ich auch vollkommen verstehen. Das ginge mir genauso. Allerdings frage ich mich dann, weshalb er dann an der Sendung teilgenommen hat.
Vom Unterhaltungswert her, fand ich diese Sendung gut. Betrachte ich das Ganze allerdings unter der Frage, ob es den vier Kritikern gelungen ist, mich für die Bücher zu begeistern, so muß ich mit einem sehr eingeschränktem nein antworten. Das ist sehr schade.
Thomas Melle: “Die Welt im Rücken”
Volker Weidermann hat dieses Buch, das er als Bekenntnisbuch und schwarzes Memoir vorstellt, ausgewählt, in welchem der Autor die Fiktion pausieren läßt und über sein wahres Leben schreibt. Über seine Manische Depression.
Weidermann sagt, Melles Buch sei klinisch genau, poetisch, wunderbar humorvoll. Es ginge darum zu verstehen, woher die Krankheit käme, wie man aus ihr herausfinden könne und dass Literatur zur Heilung beitragen könne.
Dabei sei zu bemerken, dass der Autor nicht so wenig brauche, wie unser Mitleid.
“Die Welt im Rücken” ist übrigens für den Deutschen Buchpreis nominiert, was Maxim Biller als katastrophal empfindet. Er fand es auch katastrophal dieses Buch für das Quartett lesen zu müssen und weiß nicht, ob er über das Buch sprechen soll, wie ein Literaturkritiker, oder ob er es eher wie einen Patientenbericht betrachten soll.
Daß Wahnsinn so langweilig sein könne, hätte Biller nie gedacht – in diesem Buch gäbe es keine dramaturgische Linie und keine Poesie. Das Buch berühre ihn nicht, ihm fehle der universelle Schmerz.
In Bezug auf die fehlende dramaturgische Linie stimmt Thomas Glavinic Maxim Biller zu. Er finde das Buch allerdings gut und lustig, vor allem die Art und Weise, wie Melle mit seiner Krankheit umgehe, nämlich mit Humor.
Allerdings sei es etwas länger her, dass er es gelesen habe und so verliert Glavinic sich in einem allgemeinem Blabla und meint unter anderem, dass er eben seine Handschrift nicht mehr lesen könne. Glavinic sagt auch weiterhin irgendwas und irgendwann sind alle ratlos. Ich auch.
Christine Westermann hingegen hofft, dass Thomas Melle den Deutschen Buchpreis gewinnt, denn sie war geradezu hingerissen von diesem schonungslosen Werk, was Maxim Biller gleich als puren Voyeurismus bezeichnet, woraufhin Westermann ihm dezent Kollegenneid unterstellt.
Volker Weidermann schließt mit den Worten, dass er an Melles Buch die unglaubliche Offenheit schätze. Das Buch habe gefetzt und ihn weggefegt.
Hier ist mir etwas passiert, was noch nie geschehen ist. Ich stimme mit Maxim Billers Meinung vollkommen überein. Ich habe die Lektüre irgendwann abgebrochen, weil mir das Ganze zu langweilig war. Für mich ist es eher Krankenbericht und ich verstehe auch nicht, weshalb dieses Buch für den Deutschen Buchpreis nominiert ist. Das Thema an sich finde ich sehr spannend, nur die Umsetzung sagt mir in diesem Falle nicht zu.
Für mich ist das Ganze irgendwie zu offensichtlich, zu naheliegend, aber Geschmäcker sind eben verschieden.
Volker Wiedermann formuliert es anders: In Melles Leben stand ein großer Elefant, um den er immer drumherum geschrieben habe, ohne zu erwähnen, dass er so einen großen Raum einnehme. Daher war es an der Zeit über das eigentlich Thema, den Elefanten, zu schreiben. So kann man das natürlich auch sehen.
Ob das Ganze funktioniert hat? In gewissen Weise ja, denn Melles Buch wird von den Medien wahrgenommen. Ein Interview im Spiegel, eine Besprechung im Literarischen Quartett, die Shortlist.
Aber wird es auch vom ganz normalen Kunden / Leser / Nichtblogger / Nichtkritiker / Nichtjournalisten gekauft? Die Nachfrage nach diesem Buch war, wie auch die nach den anderen Titeln der Shortlist, bisher nicht groß, so nehme ich zumindest wahr.
Wenn “Die Welt im Rücken” übermorgen den Deutschen Buchpreis bekommen sollte, wird sich dies allerdings ändern.
Literaturen, Buchrevier und Ruth liest waren übrigens begeistert von diesem Buch.
André Kubiczek: “Skizze eines Sommers”
Christine Westermann hat dieses Buch ausgesucht, das im Sommer 1985 in der DDR spielt. Es geht um René, dessen Vater in einem Ministerium arbeitet und seinen Sohn mit tausend Mark alleine läßt. Unter der Bedingung allerdings, dass er auch ein paar Wochen bei der Oma verbringt.
Ein Buch über Mut und die Sehnsucht erwachsen zu werden, so Westermann.
Auch dieses Buch steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und für Maxim Biller ist dies der Beweis, daß selbiger vollkommener Quatsch ist. In harmloser “Fix & Foxi-Sprache” werde hier die DDR verharmlost, so Biller.
Alle sind lieb, wie Tick, Trick und Track, auch die Stasi. Hier werde die DDR mystifiziert – das Ganze sein ein Parteiprogramm in Prosa.
Volker Weidermann gibt Maxim Biller Recht. Das Buch lese sich wie Alice im Wunderland – das “Märchenland” DDR als Idylle. Die DDR werde verharmlost, eine uninteressante und läppische Erinnerung an einen Sommer, woraufhin Christine Westermann daran erinnert, dass es sich ja um Skizzen handele und es eben ums Jungsein ginge.
Maxim Biller spricht von der “Carmen-Nebel-Version” der Popliteratur. Des Weiteren stellt er sich die Frage, woher es komme, dass die heute 30/40jährigen Autoren die DDR mystifizieren, woraufhin Weidermann meint, dass das daran läge, dass sie DDR verschwunden sei, genauso wie die eigenen Kindheit.
Thomas Glavinic betont an dieser Stelle, wie schwer es ihm falle, über Kollegen zu sprechen/urteilen, gibt Biller aber Recht und meint, dass man um kurze Dialoge zu schreiben, erst einmal die Langform beherrschen müsse.
Dann sagt er noch mehr, doch niemand kann ihm folgen.
Aus der Ratlosigkeit heraus wird das nächste Buch anmoderiert.
Lust auf dieses Buch habe ich jedenfalls nach dieser Diskussion nicht bekommen. Schade.
Ruth liest, Fräulein Julia, Sounds & Books sind begeistert von diesem Titel. Zeilensprünge ist etwas skeptisch.
John Burnside: “Wie alle anderen”
Es ist Thomas Glavinic, der dieses Buch vorstellt, oder besser gesagt, versucht esvorzustellen. Burnside sei hypnotisch, ein tiefer Schriftsteller und irgendwann sei es Glavinic als Leser egal gewesen, um was es ginge.
Formulieren, um was es in diesem Buch tätsächlich geht, kann Glavinic leider nicht, auch nicht, als Biller nach dem Inhalt des Buches fragt.
Zum Glück springt an dieser Stelle Volker Weidermann ein und sagt, dass es um einen Menschen geht, der in der Psychiatrie war, nun versucht das normale Leben zu leben und feststellt, dass es das irgendwie auch nicht ist. Er braucht etwas dazwischen. Etwas zwischen Wahn und Normalität.
Biller empfindet Burnsides Sätze als Musik. Hier gäbe es die dramaturgische Verwicklung, die er bei Melle als fehlend anmerkte. Es geht darum, ob das normale Leben die Rettung für den Protagonisten sein könne. Des Weiteren hebt er die kleinen abgeschlossen Geschichten hervor, die dieses Buch tragen und wunderbar machen.
Weidermann findet Burnside genial. Das Schönste sei seine Wärme für die größten Freaks.
Biller erwähnt, dass der Protagonist seine Alternative in der Gläubigkeit finde, im Jenseits. Dieses christliche Motiv berühre ihn zwar nicht, aber das Ganze sei einfach richtig gut gemacht.
Glavinic meint, das Burnside etwas mit ihm mache und daß man Literatur in sich aufnehmen müsse. Er fährt auch fort etwas über Poesie zu sagen, doch kann man ihm leider nicht folgen.
Ich weiß nicht, eigentlich war ich sehr gespannt auf die Besprechung dieses Titels, doch das Ganze war so wirr, dass sich jetzt nicht das dringende Bedürfnis verspüre, dieses Buch zu lesen. Schade.
Ismail Kadare: “Die Dämmerung der Steppengötter”
Maxim Biller stellt dieses Buch vor und erwähnt gleich zu Beginn, dass er der Meinung sei, dass Ismail Kadare den Literaturnobelpreis bekommen solle.
Dieses Buch sei einer der großen Romane unserer Zeit.
Es gehe um einen überzeugten Kommunisten, der an einem Literaturinstitut in Moskau Ende der 50er Jahre studiert und der von seiner Überzeugung aufwacht, als Pasternak den Literaturnobelpreis nicht annehmen darf und sich all seine Schriftsteller-Kollegen am Institut gegen Pasternak aussprechen.
Dieses Buch habe ihn unendlich glücklich gemacht, so Biller. Diese zarte Konstruktion, diese poetische Sprache, diese Handlungen die ineinander fallen, wie Scharniere.
Es handele sich um eine geniale Beschreibung eines Außenseiters, die so gut sei, dass es einem egal sei, ob die betreffende Figur ein Schwein sei, oder nicht. Biller würde sich sehr freuen, wenn Kadare endlich so bekannt werden würde, wie Kundera.
Christine Westermann meint, dass sie vor der Lektüre wohl besser mit Biller telefoniert hätte. So wie er es beschreibt, würde er ihr große Lust auf das Buch machen. Demnach war sie nicht so angetan, wobei sie die Beschreibungen des Moskauer Winters und die Erzählstränge um Pasternak wirklich gut fand.
Volker Weidermann betont, dass das Thema hier das Schreiben unter einer Diktatur sei, in der alle sich selbst und die Kunst verraten. Der Protagonist sei einerseits ein Opfer und andererseits auch ein Verräter, der seinen Verrat aber erkenne.
Thomas Glavinic fügt hinzu, dass es sich um einen klassischen Roman des 20.Jahrhunderts handele, er selbst aber Kundera für wesentlich komplexer halte.
So ein Buch, wie dieses, gefalle natürlich den Literaturkritikern, denn man könne es verstehen. Burnside hingegen könne man nicht verstehen, woraufhin Biller meint, dass Burnside in allen Feuilletons sei, Kadare hingegen eben nicht von der Kritik wahrgenommen werde.
Des Weiteren gibt Glavinic zu bedenken, dass Literatur nicht als Warnruf gedacht sei und wenn wir solche Bücher bräuchten, um unsere Zeit zu verstehen, wären wir ganz schön blöd.
Volker Weidermann sagt, dass mutige Schrifsteller, die einen anderen Blick auf die Wirklichkeit werfen, schon als Bedrohung wahrgenommen werden können, siehe Pasternak, woraufhin Glavinic meint, das sei wie bei einem guten Sachbuch. Was Biller dazu veranlasst zu fragen, ob Glavinic aber schon verstanden habe, dass man, wie zum Beispiel Norman Mailer, über den Krieg schreiben könne, ohne zu sagen, dass Krieg scheiße sei.
Eben so ein Buch sei “Die Dämmerung der Steppengötter”. Es handele sich nicht um ein Belehrungsbuch, kein Sachbuch, sondern um ein Buch, bei dem man merke, dass ein einfacher Seufzer hier und da einfach nicht reiche.
Wie einer sein müsse, dem dieses Buch gefalle fragt Christine Westermann, was müsse er mögen.
“Bob Dylan, Beethoven, Kerouac und Rainald Goetz”, so Biller, wobei Thomas Glavinic meint, dass Goetz sich nicht darüber freuen würde…
Kerouac und Goetz habe ich zwar nicht gelesen, aber ich glaube nach wie vor, dass ich dieses Buch spannend finden könnte und werde es im Auge behalten.
Im Bezug auf die Bücher war diese Sendung leider nicht ergiebig. Aber das war ja auch bei den vorigen Sendungen auch schon der Fall. Das sind wir ja schon gewohnt. Leider.
Aber immerhin: Es wurde dieses Mal nicht gespoilert. Also ein Teilerfolg.
Das ist doch schonmal was. Man wird ja bescheiden.
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10 thoughts on “Das Literarische Quartett: Die Sendung vom 14.Oktober 2016 – Ein Kommentar”