Mariana Leky: “Was man von hier aus sehen kann”

Mariana Leky: “Was man von hier aus sehen kann”

Nach zehn gelesenen Seiten war mir klar, dass dieses Buch der Hit ist. Weitere zehn Seiten später wusste ich, dass es eines meiner Lieblingsbücher des Jahres sein wird.
Nun habe ich die Lektüre beendet und kann bestätigen sagen: Genauso ist es!

Selma hat von einem Okapi geträumt. Das wäre jetzt nicht weiter erwähnenswert, wenn dies das erste Mal der Fall gewesen wäre und dieser Traum keine Konsequenzen gehabt hätte.
Doch beides ist schon einmal eingetreten: Der Traum und die Konsequenzen, denn wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt in den nächsten 24 bzw. 29 Stunden ein Bewohner des Dorfes, das übrigens keinen Bahnhof hat.

Natürlich will Selma keine Panik erzeugen und erzählt niemandem von ihrem Traum – außer ihrer Enkeltochter Luise. Und ihrer Schwägerin Elsbeth. Ja und wenn Elsbeth etwas weiß, dann weiß es auch das ganze Dorf.
Da nun alle wissen, dass ihr Leben in den nächsten 24 bzw. 29 Stunden enden könnte beginnen sie einander Wahrheiten zu sagen, die sie bisher geheim gehalten haben. Es könnten ja die letzte Möglichkeit sein, diese auszusprechen.
Nach Ablauf der 24 Stunden steht dann das halbe Dorf am Briefkasten, um die auf den letzten Drücker die geschriebenen Briefe mit Lebensbeichten wieder aus dem Briefkasten zu fischen.
Tja und dann kommt er doch, der Tod, dem alle von der Schippe gesprungen zu sein hofften. Zwar mit Verspätung, aber er kommt.

Das ist allerdings nur eine der zahlreichen Geschichten des Dorfes. Mariana Leky erzählt uns noch viele Weitere.
Wie zum Beispiel vom Optiker, der seit Jahren in Selma verliebt ist und schon sehr viele Briefe angefangen hat (
Liebe Selma, eben haben wir noch bei einem Glas Wein zusammengesessen, und Du sagtest zu Recht, dass der Mond heute ja besonders voll und schön sei. Apropos voll und schön…), um ihr dies mitzuteilen, wobei dazu gesagt werden muss, dass alle im Dorf Bescheid wissen, außer eben Selma.

Oder sie erzählt uns zum Beispiel von Luises Vater, der allen sagt, sie sollen sollen doch einmal die Welt in sich hineinlassen. Aus eben diesem Grund schenkt er seiner Mutter Selma jedes Jahre einen Bildband. Oder eben einen Hund, wobei da die Begründung anders ist.
Diesen Hund jedenfalls, diesen riesigen Hund, den würde ich sofort adoptieren. Aber er hat es ja gut dort, wo er ist. Er gehört genau dort hin.

So, höre ich jetzt viele sagen und “Was ist denn bitte so besonders an diesem Buch? Geschichten aus einem Dorf. Das kann ja so toll und außergewöhnlich nicht sein.”
Und hier muß ich entgegnen: Doch! Das kann es, denn Mariana Leky kreiert hier Figuren, die voller Witz stecken und denen man anmerkt, dass sie direkt nach ihrem Erschaffen geliebt worden sind.

Da ist zum Elsbeth, die sehr abergläubisch ist und für jede Situation einen Tipp parat hat – und damit allen etwas auf die Nerven damit geht.
Nun aber, da Selma von einem Okapi geträumt hat, wollen alle dann noch (obwohl sie ja nicht abergläubisch sind, also so gar nicht) von ihr wissen, was man denn machen könne, um sich vor dem Tod zu schützen.
Elsbeth ist es sehr unangenehm, aber gegen den Tod weiß sie wirklich kein Mittel. Aber das kann sie ja nicht zugeben, zumal sie sehr froh ist, dass sie plötzlich so viel Besuch bekommt.
Also beginnt sie zu erzählen, dass es gegen den Tod helfe, wenn man seine Stirn gegen einen Pferdekopf lehnt. Obwohl das eigentlich ja nur gegen Kopfschmerzen hilft…

Ja und den Optiker, so einen Optiker hätte ich auch gerne. Einen Optiker, der ein Schild trägt, auf dem “Mitarbeiter des Monats” steht, obwohl er der einzige Mitarbeiter des Ladens ist. Der einen Hochsitz ansägt, nur um ihn kurze Zeit später mit Alleskleber und Draht zu reparieren und der sich fragt, ob man in Japan wohl während der Meditation im Kloster verprügelt wird.
Ich könnte jetzt noch ewig weiter machen und von Marlies erzählen, die nie gut drauf ist und sich immer über Luises Buchempfehlungen beschwert, aber das mache ich jetzt nicht.
Das lest ihr am besten selbst, denn dieses Buch ist einfach eine Wohltat und ich hoffe sehr, dass dies auch die Jury des Deutschen Buchpreises so sehen wird.

Mit ihrem Roman “Die Herrenausstatterin” stand Mariana Leky bereits 2010 auf der Longlist und damals schon hat sie mich mit ihren außergewöhnlichen Ideen, ihrem feinen Gespür und ihrem geistreichen Situationswitz begeistert. “Was man von hier aus sehen kann” toppt aber die damalige Lektüre noch um so einiges – und das ist beileibe nicht einfach.
Es lange her, dass ich mich mit einem Buch so wohl gefühlt habe.
Toll!

» zur Leseprobe*


ISBN: 978-3-8321-6457-7
Verlag: Dumont
Erscheinungsjahr: 2019
Seitenanzahl: 320
Preis: 12,00 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2017 ebenfalls bei Dumont erschienen.


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23 thoughts on “Mariana Leky: “Was man von hier aus sehen kann”
holunder

Ich teile die Begeisterung für das Buch. Aber es sind 24 STUNDEN nicht Tage, in denen nach dem Okapitraum das Damoklesschwert des möglichen Ablebens über dem Dorf schwebt (alles andere wäre ja unerträglich 😉 wer weiß, was sich da sonst noch im Dorf ereignen würde…)
Liebe Grüße
Andrea

    Friederike

    Oh, vielen Dank für den Hinweis. Da habe ich mich vertan :). Ist schon geändert.
    Ja, 24 Tage wären wirklich zu lang :)…

    Viele Grüße,
    Friederike

Andrea

Ich bin überrascht. Ich fand die Leseprobe auf Vorablesen eher verworren. Da habe ich wohl doch etwas verpasst. 🙂

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Sabine

Bin auf Seite 80 …..habe mich dahingequält und finde es unerträglich. Das ist eines von den Büchern á la : der hundertjährige Analphabet der eine Reise zu Fuß zum Rosie Projekt macht.
Peinlich bemüht um Originellität , was auch diese plakativ gestelzten Metaphern und Bilder betrifft. Ein Roman von einer Erwachsenen für Erwachsene aus der Sicht eines altklugen Kindes, das niemals im Leben auf solche Vergleiche ( eine Wand aus Reue) kommen kann, über Erwachsene….. das hat selten funktioniert und wird hier zum fremdschäm Desaster. Ich hoffe, ich kann das Buch umtauschen gegen Literatur. Dieses kann ich nicht mal verschenken.

    Traudl

    Bin ich froh, mal eine andere – meiner entsprechenden – Meinung zu diesem Buch zu lesen. Ich fand es unerträglich und habe abgebrochen.

Sigrid Ehrmann

Nach 20 Seiten habe ich schon bedauert, das das Buch nur 228 Seiten hat. Wunderbar beschriebene Charaktere und Episoden machen es zu meinem Buch des Jahres (zumindest bis 18.8.)

    Friederike

    Das hast Du sehr treffend formuliert <3.

Infraredhead

Danke für diese schöne Rezension, die große Lust auf das Buch macht. Wir lesen ansonsten recht ähnliche Sachen, so dass ich mir vorstellen kann, dass das Buch auch etwas für mich ist, obwohl ich bis zum Lesen deiner Rezension dachte, dass ich das Buch nicht unbedingt lesen muss…

Falls du mal checken willst, was ich so lese und bespreche: http://www.travelwithoutmoving.de

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Mario Kosche

Ja, ganz nett. aber wenn ich schon sehe dass in den ersten Zeilen von 24. bzw. 29 Tagen die Rede ist, dann frage ich mich, wird der Text nicht nochmal gelesen oder warum steht das so da?

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Gerdy

Ich lese langsamer und langsamer, weil es so wunderbar ist, wie dieses Buch die Seele der Menschen und den Raum dazwischen erwärmt. Wer einen Menschen verloren hat und die Pracht des Lebens dadurch schwerer und zeitgleich so unglaublich schön empfinden kann. Wer Menschen liebt und ihre Eigenheiten als unerträglich und doch einzigartig liebenswert empfinden kann ist mit diesem Buch in einer wunderbar vertrauten Welt unterwegs… ich lache laut und weine leise mit diesem Buch. Ein Schatz!

Friederike

So ist es.

Conni

Ich habe es gestern zum Geburtstag bekommen und abends begonnen, es zu lesen – ich liebe es schon jetzt?

magdalene

Für mich war das ein tolles berührendes Buch, sehr empfehlenswert.

Pingback: Quicktipp | Was man von hier aus sehen kann – zum lachen, zum weinen, zum lieben – read. eat. live.
Lore

Ich habe es gelesen und bin enttäuscht. Ein hochgelobtes Buch von vielen Seiten doch ich hatte Schwierigkeiten zu Beginn wie diese Figuren zueinander stehen. Die Ich Erzählerin Luise holpert hier von einer Figur zur Anderen und es macht keine Freude dieses Buch zu Ende zu lesen.

Pingback: Herta’s Buchtipps – Burgkirchen liest
Ingrid Härtel

Ich fand das Lesen dieses Buches schwierig, langweilig und äußerst zäh und kann die allgemeine Begeisterung leider nicht teieln. Das Okapi geht völlig an mir vorbei.

Johanna

Habe das Buch als Hörbuch geschenkt bekommen. Ich finde es iinfantil, unpassende Metaphern, sperrige ,nicht humorvolle,sondern eher depressive Pseudolandeier. Das Erzählte wird nichts und niemandem gerecht, ich kann keinen Tiefgang ausmachen, etwas für romantisierende Gutmenschen. Leider fällt mir auch niemand ein,dem ich es weiterverschenken könnte. Da scheint eine Welt zwischen mir und der Schenkerin zu liegen

mariana leky erste hilfe

Excelente web… Muchas gracias, Un saludo

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