Jakob Ejersbo: “Liberty”

Jakob Ejersbo: “Liberty”

Ich erinnere mich, wie ich mir 2011 in der Mittagspause die Neuerscheinungen anschaute, einfach nur mal in “Liberty” reinblättern wollte und plötzlich wie elektrisiert war.
Fünf Tage lang konnte ich mich von der Lektüre nicht losreißen und dachte nach 200 gelesenen Seiten: “Nur noch 660 Seiten. Was mache ich bloß danach?”. Das passiert mir sehr selten.

Es geht um Christian, der mit seinen Eltern im Jahre 1980 nach Tansania zieht – aus beruflichen Gründen, denn die Eltern sind Entwicklungshelfer.
Dass Afrika ganz anders ist, als Dänemark, merkt Christian sehr schnell, denn das neue Haus befindet sich in einer Siedlung, welche durch eine Mauer geschützt wird und in der nur Weiße leben. Man bleibt unter sich und zunächst macht diese Situation Christian sehr einsam. Dass sich seine Eltern ständig streiten hilft auch nicht wirklich weiter und als seine Schwester bei einem Unfall ums Leben kommt, eskaliert die Lage.

Der afrikanische Marcus ist in Christians Alter, allerdings ist er viel abgebrühter als jener.
Das muß er auch sein, denn das Leben außerhalb der “Weißen-Siedlung” ist ungleich härter. Viele Dinge sind zu beachten, wenn man überleben möchte: Wen muß man kennen und wen mit was bestechen, um zum Beispiel die Erlaubnis zu bekommen einen Verkaufsstand zu eröffnen – Korruption gehört zum Alltag. Hinzu kommt, dass die Familienverhältnisse, aus welchen Marcus kommt, ebenfalls sehr problematisch sind. Das zumindest haben Christian und Marcus gemeinsam.

Nach und nach lernen sich Christian und Marcus kennen, zumal dieser unter anderem als Laufbursche in der “Weißen-Siedlung” arbeitet und so manches vom dortigen Leben mitbekommt.
Wer eine Affäre mit wem hat, zum Beispiel – und eine Affäre hat dort so mancher, denn das Leben in der Siedlung ist (besonders für die Frauen, von welchen viele nicht arbeiten und zu Hause die Zeit tot schlagen müssen) nicht gerade abwechslungsreich.

Der Kontrast zwischen dem vermeintlich privilegierten Leben in der Siedlung und der harten afrikanischen Realität ist Jakob Ejersbos großes Thema, wobei es ihm bestimmt geholfen hat, dass er, wie Christian, in Tansania und Dänemark aufgewachsen ist.
Er hat eine sehr direkte Art zu schreiben und die Dinge auf den Punkt zu bringen.
“Liberty” hat Power, Drive und man sollte nicht zu zimperlich sein, denn in diesem Roman spielen die sexuellen Beziehungen zwischen den einzelnen Personen eine nicht unerhebliche Rolle. Da werden sehr plastische Szenen nicht ausgespart. Das gehört einfach dazu.

In Dänemark war dieses Buch bei Erscheinen DAS literarische Ereignis des Jahres. Leider konnte Jakob Ejersbo diesen Erfolg nicht miterleben, denn er starb vor der Veröffentlichung. Posthum wurde ihm der “Großen Preis des Dänischen Rundfunks” verliehen.
Hinterlassen hat er  neben “Liberty” noch weitere Bücher, die zusammen die Afrika-Trilogie bilden.
Es handelt sich um die Titel “Exil” und “Revolution”. Wobei vielleicht erwähnt werden sollte, dass es sich hierbei nicht um Folgebände handelt, in welchen die Geschichte aus “Liberty” weiter geht. Es sind vielmehr voneinander unabhängige Geschichten, die allerdings im gleichen Kosmos spielen.

In “Exil” begleiten wir Christians Mitschülerin Samantha, die es ebenfalls in Afrika nicht leicht hat. Besonders die Tatsache, dass ihre alkoholabhängige Mutter einfach so nach England zurückgereist ist und Samantha mit ihrem Vater, einem ehemaligen Elite-Soldaten, der Waffen schmuggelt und extrem unzuverlässig ist, alleine gelassen hat.
“Revolution” hingegen ist kein Roman, sondern besteht aus Erzählungen, die im Afrika-Kosmos von Christian, Marcus und Samantha spielen.

Bei “Liberty” ist mir etwas passiert, was bei mir nur sehr selten der Fall ist: Ich wollte sofort alle drei Bücher hintereinander lesen, was zum damaligen Zeitpunkt allerdings nicht möglich war, denn “Exil” und “Revolution”waren noch gar nicht erschienen. Das war wirklich kaum auszuhalten, denn ich wollte mehr von dieser Welt erfahren. Jedes Buch, das ich danach angefangen habe erschien mir so belanglos.
Hätte Jakob Ejersbo noch gelebt, hätte ich ihm sofort einen Brief geschrieben, um meine Begeisterung auszudrücken. Dieses Bedürfnis hatte ich bisher noch nie verspürt.

In Deutschland ist Jakob Ejersbo noch nicht wirklich bekannt und ich hoffe sehr, dass sich dies mit der gerade erschienen Taschenbuch-Ausgabe von “Liberty” ändern wird.
Nach der Lektüre war ich im absoluten Afrika-Fieber und wollte mehr wissen über diesen Kontinent. Daher habe ich viele Titel angefangen, die in diesem Land spielen und ebenso viele wieder enttäuscht zur Seite gelegt.
Keines der Bücher kam gegen den Sog der Afrika-Trilogie an. Ejersbo schreibt einfach anders: Cool und vielleicht auch etwas ruppig, aber genau das macht es aus: Das Ejersbo-Feeling.

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ISBN: 978-3-442-71335-6
Verlag: btb
Erscheinungsjahr: 2016
Seiten: 864
Preis: 11,99 €


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4 thoughts on “Jakob Ejersbo: “Liberty”
Juliana

Du verstehst es wirklich einen neugierig zu machen! Wird gedanklich gleich mal notiert!

Liebe Grüße
Juliana 🙂

Friederike

Liebe Juliana,

oh, da freue ich mich – es ist wirklich eines meiner Lieblingsbücher :).

Viele Grüße,
Friederike

Christine

Hallo,
Vielen Dank für den Tipp, werde ich gleich mal lesen!
Ich finde die Bücher von Deon Meyer sind auch sehr gute Afrika Bücher (in dem Fall Südafrika) , hast du da schon mal eins gelesen?
Liebe Grüße,
Christine

Friederike

Liebe Christine,

ja, Deon Meyer habe ich auch schon gelesen. Besonders „Weißer Schatten“ fand ich sehr spannend.
Ich bin jedenfalls sehr gespannt, was Du zu „Liberty“ sagen wirst.

Viele Grüße,
Friederike

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