In diesem Frühjahr sind gleich zwei Romane von Margaret Atwood erschienen und auf beide habe ich mich sehr gefreut. Nachdem ich “Das Herz kommt zuletzt” mit viel Vergnügen gelesen habe, war nun “Hexensaat” an der Reihe und siehe da, ich hatte diebische Freude an dieser Lektüre.
Felix ist künstlerischer Leiter eines kanadischen Theaterfestivals, immer mit neuen Ideen beschäftigt und hat weder Zeit noch Lust, sich mit den Sponsoren und Förderern des Festivals auseinanderzusetzen. Das überlässt er seinem Handlanger Tony.
Ein Fehler, wie sich herausstellt, denn Tony nutzt seine Kontakte, um den Festivalverantwortlichen einzuflüstern, dass Felix mit seinen absurden Ideen nicht mehr tragbar für das Theater ist. Mit Erfolg, denn schließlich überreicht er Felix die Kündigung, natürlich mit dem Hintergedanken, dessen Platz einzunehmen.
Dies trifft Felix hart, besonders da er gerade seine Version von Shakespeares “Sturm” probt, mit deren Hilfe er den Tod seiner Tochter Miranda verarbeiten möchte, die er nach einer Figur des Stückes benannt hat.
Sie starb als Kleinkind an Fieber, als er für ein Stück probte und keine Störung duldete. „Der Sturm“ wird nun nicht aufgeführt werden.
Was Felix nach seiner Entlassung antreibt, ist Rache, Rache und nochmals Rache. Leider fehlt ihm eine Idee, wie diese aussehen könnte. Doch einige Jahre später ergibt sich die lang ersehnte Möglichkeit…
“Hexensaat” ist Margaret Atwoods Beitrag zum “Hogarth Shakespeare Projekt“, bei welchem acht Autoren sich beim Schreiben eines Romans von Shakespeares Werken inspirieren lassen.
In deutscher Sprache sind bisher “Die störrische Braut” (Der Widerspenstigen Zähmung) von Anne Tyler, Jeanette Wintersons “Der weite Raum der Zeit” (Wintermärchen) ,Howard Jacobsons “Shylock” (Der Kaufmann von Venedig), Jo Nesbo Version von „Macbeth“, Edward St Aubyns “Dunbar und seine Töchter” (König Lear) und „Der Neue“ (Othello) von Tracy Chevalier erschienen.
Gillian Flynns Version von „Hamlet“ wird 2021 in englischer Sprache erscheinen.
Margaret Atwood hat sich den “Sturm” ausgesucht und jetzt stellt sich natürlich erst einmal die Frage: Muß man den “Sturm” von Shakespeare gelesen haben, oder sich zumindest vorher mit dessen Inhalt auseinandersetzen, wenn man “Hexensaat” lesen möchte?
Wir können aufatmen: Nein, muß man nicht.
Ich habe es auch nicht getan und hatte keinerlei Schwierigkeiten. Allerdings habe ich erst nach der Lektüre entdeckt, dass sich hinten im Buch eine Zusammenfassung des Sturms befindet und hätte ich dies früher bemerkt, so hätte ich sie mir bestimmt zu Gemüte geführt. Ich bin mir sicher, dass mir dieses Buch bestimmt noch mehr Spaß gemacht hätte.
Aber das hat es auch so und zwar nicht zu knapp, denn Margaret Atwood ist bezüglich Felix´Lebensweg eine geniale Idee gekommen: Felix kann sich bei seinem Theaterfestival und in dessen Umgebung zwar nicht mehr blicken lassen, doch so ganz ohne Beschäftigung geht es doch nicht. Nach einiger Zeit bewirbt er sich beim “Bildung-durch-Literatur”- Programm eines Gefängnisses. Mit Hilfe von Romanen sollen die Insassen ihre Lese- und Schreibkompetenz verbessern.
Besonders amüsant fand ich die Art und Weise, wie Felix seinen Lebenslauf für die Bewerbung zusammenschustert: Er erfindet einfach seine Arbeitsstationen und fälscht jahrzehntealte Empfehlungsschreiben, in der Hoffnung, dass sich niemand bei den unbekannten Schulen, an welchen er angeblich lehrte, erkundigt. Was auch nicht geschieht. wenn wundert´s.
Er gibt an in Rente zu sein und etwas Gemeinnütziges tun zu wollen.
Seine Ziele sind ambitioniert, denn er möchte Shakespeare mit den Insassen aufführen.
Die Art und Weise, wie Felix den Häftlingen Shakespeare schmackhaft macht und ihnen die Stücke als cool verkauft, hat mir sehr imponiert und mich zum Schmunzeln gebracht. Wie er ihnen normale Schimpfworte verbietet und sie stattdessen das Stück nach Kraftausdrücken (zum Beispiel “Dir die Gicht in den Finger!” oder “Hausnarr, du scheckiger” oder einfach nur “Mondkalb”) durchsuchen läßt, die dann offiziell verwendet werden dürfen – diese Szenen alleine sind die Lektüre wert.
Des Weiteren hat mir Margaret Atwoods ironischer Blick auf die Theaterszene sehr gut gefallen, denn es gibt so manchen kleinen Seitenhieb auf das moderne Regietheater und auf Regisseure, welchen das Publikum völlig egal ist und die jeden Buhruf als großes Lob verstehen. Das macht richtig viel Spaß.
Am kommenden Freitag wird “Hexensaat” im Literarischen Quartett besprochen und ich bin sehr gespannt, was die Damen und Herren zu diesem Buch sagen werden.
Ich jedenfalls fand es genial und mir fällt gerade auf, dass Margaret Atwood in ihren beiden neuen Büchern über ein Gefängnis schreibt. Was das wohl bedeuten mag…?!
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ISBN: 978-3-328-10336-3
Verlag: Penguin
Erscheinungsjahr: 2018
Übersetzung: Brigitte Heinrich
Seiten: 320
Preis: 12,00 €
Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2017 bei Knaus erschienen.
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