John von Düffel: “Klassenbuch”

John von Düffel: “Klassenbuch”

Der vielfach ausgezeichnete Autor John von Düffel nimmt sich in diesem Roman einem aktuellen Thema an: Dem Erwachsenwerden in einer digitalisierten Welt.

Neun Jugendliche läßt von Düffel in episodenhaften Kapitel zu Wort kommen, die alle in einer Klasse sind. Da ist zum Beispiel Emily, die sich in einer Mail an die Klasse über das Schulessen beschwert, Annika, die gemeinsam mit ihrem Bruder überfahrenen Tieren zu ihrer letzten Ruhestätte verhilft, Stanko, der in Deutschland geboren wurde, den es aber immer mehr nach Bosnien, der Heimat seiner Eltern zieht und Bea, die seit langer Zeit zu Hause bleibt, zumal sie einen Selbstmordversuch hinter sich hat.

Sie alle erzählen uns von ihrer aktuellen Lebenssituation, die in manchen Fällen sehr extrem ist. Nina zum Beispiel läßt sich den ganzen Tag von einer Drohne begleiten, die automatisch Bilder von ihr ins Netz stellt. Optimierte Bilder, denn Nina ist etwas voluminös. Im Netz stellt sie sich schlank und sportlich dar, sodass sie niemand je erkennen würde.
Nina ist immer alleine und bei einer Party nutzt Bea Ninas Hoffnung auf Freundschaft aus, indem sie Nina bittet Vodka ins Jugendzentrum zu schmuggeln, zumal Bea die falschen Freunde hat und immer kontrolliert wird.

In Episoden wie diesen ist John von Düffel richtig stark. Er schildert kleine Szenen glaubhaft und intensiv, und streut Bemerkungen ein, aus welchen sich ein großes Ganzes ergibt.
Frau Höppner, die Klassenlehrerin zum Beispiel ist plötzlich nicht mehr gekommen, ein anderer Lehrer hat die Klasse übernommen und nun gibt es Gerüchte, die sich so langsam aber sicher in die Köpfe der Schüler einbrennen: Sie sei unheilbar krank, geschockt, weil ihr Lebenspartner etwas mit einer Schülerin hatte, oder aber sie habe eine Abtreibung hinter sich. Alles ist möglich und über alles wird spekuliert. Verbal, als auch online.

Natürlich tragen auch verbreitete Videos dazu bei, dass manche Theorien glaubhafter wirken, als andere, aber Videos kann man manipulieren, wie zum Beispiel der Technikfreak Lenny, der die Handys von Mitschülern hackt.
Genau diese Stellen, die eigentlich das Thema des Romans sind, das Leben der Jugendlichen an der Grenze zur digitalen Welt, sind leider nicht wirklich glaubhaft gelungen. Man merkt, dass der Autor sich viel mit dieser Welt beschäftigt hat, doch leider läßt er digitale Begrifflichkeiten zu offensichtlich fallen und setzt sich so ein, dass sie übertrieben wirken. Das ist sehr schade.

Ich persönlich hätte es passender gefunden, einen ganz “normalen” Roman über das Schülerdasein in unserer heutigen Zeit zu lesen, denn dass von Düffel das kann, steht außer Frage. Das “Technik-gedroppe” hat der Autor doch gar nicht nötig.
Das Kapitel, in welchem er zum Beispiel Lis Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule beschreibt, ist schlichtweg meisterhaft und auf den Punkt formuliert. Ich habe viel schmunzeln müssen und hoffe sehr, dass ich niemals vor einer solchen Kommission stehen werde.
Für solche Stellen liebe ich dieses Buch.

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ISBN: 978-3-8321-9834-3
Verlag: Dumont
Erscheinungsjahr: 2017
Preis: 22,00 €


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6 thoughts on “John von Düffel: “Klassenbuch”
Andreas

„Houwelandt“ von John von Düffel hat mir sehr gefallen, und seither wollte ich schon immer noch etwas von ihm lesen. Deine Rezension macht Lust auf sein neues Buch, trotz der sicher berechtigten Einwände, die Du hast.

Friederike

Lieber Andreas,

„Houwelandt“ habe ich jetzt mehrfach empfohlen bekommen und muss wohl die Lektüre dringend demnächst nachholen :).
Danke für den Tipp und viel Vergnügen mit „Klassenbuch“ wünscht Dir

Friederike

Petra

Ich schließe mich der „Houwelandt“ Empfehlung uneingeschränkt an und ergänze noch „Vom Wasser“. 🙂

    Friederike

    Ist notiert!

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