Lily King: “Euphoria”

Lily King: “Euphoria”

Erst war ich mir gar nicht so sicher, ob ich mich der “Euphoria”-Euphorie anschließen und dieses Buch lesen wollte, doch dann machte mich eine Kollegin auf die ersten Sätze aufmerksam: “Einer von den Mumbanyo warf ihnen noch etwas nach, als sie ablegten. Etwas Bräunliches. Es dümpelte ein Stück hinter dem Einbaum im Wasser. “Nur wieder ein toter Säugling”, sagte Fen.”
Und dann war klar: Um diese Lektüre komme ich nicht drumherum.

Darum geht es: Die Ethnologen Nel und Fen stehen kurz vor ihrer Abreise aus Neuginuea nach Australien. Eineinhalb Jahre haben sie jetzt in Neuguinea geforscht, doch sind sie mit “ihrem” Stamm der Mumbanyo, die etwas aggressiv und unzugänglich sind und zum Beispiel glauben, dass bei jedem Akt des Geschlechtsverkehrs nur ein Teil des Kindes (z.B. ein Arm, oder ein Bein) gezeugt wird und deshalb mehrere Anläufe nötig sind, um ein Kind zu zeugen, nicht so wirklich warm geworden.
Nel empfindet sogar eine gewisse Abscheu gegen die Mumbanyo, denn diese verhalten sich ihren Kindern nicht gerade nett gegenüber: Die Erstgeborenen werden generell getötet und all ihre Zwillinge genauso. Des Weiteren bekommen die Kinder keine Zuneigung. Eine der zärtlichsten Gesten ist es, die Kinder einfach in einen Korb zu stopfen und daran zu kratzen. Ahja.

Jetzt könnte man den beiden zurufen: “Sucht Euch doch einfach einen anderen Stamm!”
Aber das Problem besteht auch darin, dass ein weitere Ethnologe (der Brite Andrew Bankson) ein sehr großes Territorium für sich zu beanspruchen scheint und Nel und Fen ihm nicht in die Quere kommen möchten. Daher der Plan, sich den Aborigines in Australien zuzuwenden.

Doch dann treffen die beiden auf Andrew Bankson persönlich, der sich nicht wie erwartet verhält, denn er freut sich sehr die beiden zu sehen, zumal er in den letzten Jahren ganz alleine bei seinem Stamm gelebt hat und keinerlei Gelegenheit hatte, sich mit anderen auszutauschen. Auch ist er ein bisschen neidisch, da Nel und Fen ja einander haben und immer miteinander reden können.
Schließlich hilft er ihnen einen Stamm in Neuguinea zu finden, der interessant ist und schafft es die beiden zum Bleiben zu überreden – und das ist der Beginn einer sehr außergewöhnlichen Dreiecksgeschichte, die es wirklich gegeben zu haben scheint. Denn Lily Kings Romanfiguren basieren auf Persönlichkeiten, die wirklich gelebt haben: Auf der amerikanischen Ethnologin Margaret Mead, ihrem Ehemann Reo Fortune und dem Anthropologen Gregory Bateson.

Lily King erzählt in einem Interview: „Es war Ende 1932: Mead war mit ihrem zweiten Ehemann, Reo Fortune, in Neuguinea. Sie wollten das Land eigentlich schon verlassen und nach Australien gehen. Dann haben sie sich in letzter Minute entschieden, einen anderen Anthropologen zu besuchen, einen Bekannten von Fortune. Das war Gregory Bateson. In ihrem Tagebuch schreibt Mead, dass sie ihn traf, sich 36 Stunden mit ihm unterhielt und sich unsterblich verliebte. Also blieben sie in Neuguinea und lebten fünf Monate lang in einer verrückten Liebes-Dreiecksbeziehung.“

» Hier geht es zum vollständigen Interview mit Lily King

Was mir an diesem Roman besonders gut gefallen hat, waren die Beschreibungen der Stämme, die die Ethnologen erforscht haben. Ihre Eigenheiten, ihre Riten und Umgangsformen.
Genauso spannend fand ich die Beschreibungen der Art und Weise, wie die jeweiligen Forscher an ihre Stämme herangetreten sind und wie sie dort gelebt haben.
Nel zum Beispiel hängt karierte Vorhänge in ihre Hütte und läßt all ihr Hab und Gut hertransportieren, sodass mitten im Dschungel jetzt ein großer Sekretär steht. Das wirkt irgendwie absurd, doch ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es wirklich so gewesen sein kann. Überhaupt konnte ich mir die Welt Neuguineas wirklich gut vorstellen, das hat Lily King wunderbar gemacht.

Meiner Ansicht nach wäre die Liebesbeziehung zwischen den drei Hauptfiguren gar nicht nötig gewesen. Mir hätten die Forscher und die Stämme an sich schon vollkommen gereicht. Allerdings ist Lily King durch diese Dreiecksgeschichte überhaupt erst die Idee zum Roman gekommen, von daher kann sie gar nicht ausgeklammert werden, denn sie ist ja der Aufhänger. Wobei ich auch sagen muss, dass Lily King diese Geschichte nicht auswalzt, sondern relativ dezent einstreut und das rechne ich ihr hoch an.

Insgesamt kann ich sagen, dass zwei wunderbare Tage im Dschungel verbracht und viel über Forschung gelernt habe. Ich hatte viel Spaß mit “Euphoria” und freue mich, dass ich mich dazu entschlossen habe, dieses Buch zu lesen.

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ISBN:  978-3-423-14580-0
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2017
Übersetzung: Sabine Roth
Originaltitel: Euphoria
Preis: 10,90 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2015 bei C.H. Beck erschienen.


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6 thoughts on “Lily King: “Euphoria”
Marina Büttner

Gut, dass du mich daran erinnerst…Euphoria liegt ja auch noch hier. Im Winter ein paar Tage Tropen ist sicher gar nicht so schlecht…

    Friederike

    da hast Du recht.

Silvia

Hm. Ich habe soviel widersprüchliches über das buch gehört und kann mich immer noch nicht dafür oder dagegen entscheiden. Erst mal SUB abbauen. Dieses Dschungebuch bleibt mir aber im Hinterkopf …

    Silvia

    Mist, ganz viele Tippfehler…

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Corinna

Leider hat es mir überhaupt nicht gefallen, ich fand es total anstregend (langweilig) zu lesen und mir hat sich nichts erschlossen. Ich fand auch die Beschreibung der Stämme nicht schlüssig, so lückenhaft und ich hab auch das Ende nicht glaubhaft gefunden. Es war nach langer Zeit wieder ein Buch durch das ich mich durch gequält habe und es war Zeitverschwendung. Im Nachsatz habe ich dann erfahren, dass es sich um reine Fiktion handelt, es gibt die Stämme nicht. Sehr enttäuschend und alles andere als euphorisch.

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