Wer sich hinter dem Pseudonym R.R. SUL verbirgt, weiß ich nicht, doch eines ist für mich glasklar: “Das Erbe” ist ganz großes Kino.
Wolf hat von klein auf die Mondscheinkrankheit. Eine Krankheit, die es ihm nicht erlaubt, tagsüber draußen zu sein. Die Nacht ist sein Tag.
Nur zu dieser Zeit geht seine Mutter mit ihm auf den Spielplatz, damit er im Mondschein schaukeln kann. Tagsüber ist das zu gefährlich, Wolfs Haut würde in der Sonne verbrennen. Deshalb wird er von seiner Mutter immer gründlich eingecremt. Mit einer Spezialcreme, die sehr teuer ist.
Geld, das ist auch so ein Problem.
Dann kommt Bob in Wolfs Leben. Ein Mann aus England, ein Mann, der Wolf einen Helm und Handschuhe schenkt, damit er draußen spielen kann. Mit Lina zum Beispiel.
Lina, die ihn nicht auslacht, sondern als einziges Kind durch das Visier seines Helms schauen möchte. Lina, deren Gesellschaft Wolf genießt.
Bis zu dem Tag, als er kommt, der Anfang vom Ende.
Der Tag, an welchem Bob danach fragt, wer eigentlich Wolfs Diagnose gestellt hat und gegen den Willen der Mutter mit ihm in die Klinik fährt und ihn von Ärzten untersuchen läßt.
Diese bestätigen Bobs Vermutung: Wolf ist gar nicht krank. Wolf ist ganz normal.
Nun ja, ganz normal auch wieder nicht…
Wer jetzt meint, ich hätte das ganze Buch schon vorweggenommen, der irrt. Denn obige Zeilen beschreiben nur die ersten sechs Seiten dieses Romans, der viel mehr ist, als ein Roman über ein Kind dessen Mutter unter dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leidet.
Allein über dieses Syndrom (bei welchem eine Person eine Krankheit bei einer dritten Person verursacht, oder erfindet um selbst Aufmerksamkeit zu bekommen bzw. zu verlangen) könnte man einen ganzen Roman schreiben. Das wäre vielleicht auch interessant, aber nicht neu gewesen.
Für R.R. SUL jedoch ist das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom nur der Auftakt. Der Auftakt zu einem Buch, dass den Leser tief in Wolfs Seele hinabzieht, einem Menschen, der sich selbst nicht fassen kann.
Der in einem Haus sitzt und den ganzen Tag Puzzle zusammenfügt und sich selbst zu genügen scheint und mit keiner Menschenseele spricht. Ein Mensch, der sich immer seltsamer verhält.
Sein einziger Kontakt ist die Frau vom Lieferservice. Sie bringt ihm das Essen und er phantasiert über sie. Jeder Bissen, den er von den Gerichten nimmt, die sie ihm gebracht hat, macht ihn geil.
Bis er nicht mehr an sich halten kann und aus einer Laune heraus…
Jetzt bringt ihm ein anderer das Essen.
Dann steht eines Tages nicht der Lieferservice vor der Tür. Sondern Freddy, Wolfs Bruder.
Und so beginnt es.
Mehr möchte ich über dieses Buch, das so ganz anders ist, als ich es erwartet habe, nicht sagen. Bitte lasst Euch überraschen.
Von den Abgründen der Menschen, von feigen Momenten, von Einsamkeit, tiefen Gefühlen, von Schuld, von Rache und von Manipulation.
Und davon, wie es ist sein Leben lang Angst vor etwas zu haben, was vielleicht geschehen könnte. Nicht einem selbst, das wäre ja nicht so schlimm.
Sondern jemandem, den man liebt.
Dieses Buch ist eine wahre Achterbahn und ich kann nur sagen:
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ISBN: 978-3-423-28199-7
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2019
Seiten: 224
Preis: 21,00 €
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