Joe Mungo Reed: „Wir wollen nach oben“

Joe Mungo Reed: „Wir wollen nach oben“

Was ist, wenn Du für deinen Beruf brennst, diesen aber nur weiter ausüben darfst, wenn Du zu unlauteren Mitteln greifst?
Davon erzählt Joe Mungo Reed – und hat damit eines meiner Highlights des Jahres 2019 geschrieben.

Solomon und Liz sind um die 30 Jahre alt und haben seit Kurzem einen kleinen Sohn. Ihr bisheriges Leben soll sich jedoch nicht verändern. Beide sind sehr ehrgeizig und davon überzeugt, dass es ihnen gelingen wird, ihre Berufe weiterhin so auszuüben, wie bisher.
Doch schon bald müssen sie feststellen, dass das nicht funktioniert. Da sie keine fremde Nanny im Haus haben möchten, hilft Ihnen nun Liz´ Mutter, was zuweilen nicht einfach ist.

Außerdem vermisst Liz ihr Labor, in welchem sie als Genetikerin arbeitet und die DNA von Zebrafischen erforscht. Eine Arbeit, die unvorhersehbar ist, zumindest was die Erfolge anbelangt. Erfolge, die Liz braucht.
Einerseits, weil ihr sonst Fördergelder gestrichen werden, andererseits um den Durchbruch als Wissenschaftlerin zu schaffe. Jetzt ist das Kind da und macht das Erreichen dieser Ziele schwieriger.
Doch darum geht es in diesem Roman nur am Rand. Das Hauptaugenmerk liegt auf Solomons Beruf, dem Rennradsport. Ein außergewöhnliches Thema und genau das macht “Wir wollen nach oben” so interessant.

Solomon darf an der Tour de France teilnehmen, allerdings ist er nicht der Favorit des Teams. Das ist Fabrice, ein stets zum Scherzen aufgelegter Typ, der für seinen Sport brennt. Solomon ist (wie auch sein Teamkollege Tsutomo) ein “Domestik”, ein Fahrer, der Fabrice unterstützt.
Er ist dafür zuständig, Fabrice (der Spezialist für Bergrennen ist) so schnell wie möglich durch die Tour zu bringen. Er gibt ihm Windschutz, sorgt dafür, dass Fabrice das Tempo halten kann, holt Wasser und gibt ihm das Rad, wenn sein eigenes einen Platten hat. Solomons eigene Zeit, die er für die Tour benötigt, ist nicht wichtig.
Er wird nie auf dem Siegertreppchen stehen.
Viele seiner Freunde verstehen das nicht. Warum quält Solomon sich so, wenn er von vorne herein weiß, nie gewinnen wird? Tja, so ist dieser Sport nunmal.

Von Solomon erfahren wir aus erster Hand wie ein Radrennen strategisch funktioniert- und sind so quasi live dabei. Wir hören, was der Trainer Rafael, der früher selbst Rennen gefahren ist, über Funk sagt, wie er seine Fahrer motiviert – oder zusammenscheißt.
Dass ich hierbei so mitfiebern würde, hätte ich nie für möglich gehalten.

Bisher habe ich zwar ab und an Radrennen im Fernsehen angeschaut, doch wurde mir ehrlich gesagt, schnell langweilig. Selbst bei der Tour de France. Da fahren viele Männer viele Kilometer und kommen irgendwann ans Ziel. Das zu beobachten fand ich nicht sonderlich spannend. Klar, wenn sie dann kurz vor dem Ziel sind und gesprintet wird, das ist schon aufregend. Aber sonst?!
Die Rennradler fahren im Pulk, manchmal versucht einer auszubrechen und irgendwann wird er von der Gruppe wieder eingeholt. Dank “Wir wollen nach oben” weiß ich nun, dass dieser “Pulk” “Peloton” heißt – und wie spannend das Ganze ist, wenn man ein bisschen mehr Hintergrundwissen hat.

Gut, ein bisschen etwas über diesen Sport wusste ich schon vorher, zumal ich 2004 den Film “Höllentour” gesehen habe. In diesem Film begleitet der Regisseur Pepe Danquart die Radprofis Erik Zabel und Rolf Aldag bei der Tour de France 2003 und ich erinnere mich, dass Erik Zabel damals sehr charmant rübergekommen ist und einige Sprüche zum Besten gab, an die ich mich bis heute erinnere.
Die Figur des Fabrice in “Wir wollen nach oben” erinnert mich ein bisschen an ihn.

“Höllentour” hat mich jedenfalls damals so begeisterte, dass ich ihn sogar ein zweites Mal angesehen habe.
Dieser Film wurde bei Erscheinen viel kritisiert, zumal er sehr positiv über den Radsport berichtet und ein Thema komplett außen vor lässt: Das Doping.
Schon damals wurde der Profi-Rennradsport des flächendeckenden Dopings verdächtigt. Als unter anderem Erik Zabel und Rolf Aldag das systematischen Doping gestanden, distanzierte sich Danquart von seinem Film.

Auch in “Wir wollen nach oben” spielt die Thematik des Dopings eine Rolle, denn Solomon wird verklausuliert von seinem Trainer Rafael (eine Figur, die ich besonders gelungen finde) vor die Wahl gestellt entweder mitzumachen, oder das Team zu verlassen. Rafael beherrscht die Kunst, andere subtil unter Druck zu setzen perfekt.
Solomon selbst ist sehr verunsichert und möchte es eigentlich nicht.
Seine Frau Liz jedoch, sieht das anders…

Joe Mungo Reeds Kunst besteht jedoch nicht nur darin, Radrennen zu beschreiben und eine spannende Story zu liefern. Ihm ist außerdem eine Szene bzw. Wendung im Roman gelungen, die mich wirklich bewegt und sehr getroffen hat. Dies geschieht mir beim Lesen nur in Ausnahmefällen.

Das und die Tatsache, dass ich mich in die Thematik des Radsports erneut eingelesen und festgestellt habe, wie spannend bzw. absurd und verrückt dieser Sport ist (man denke da nur zum Beispiel an den Dopingskandal Fuentes, oder an Lance Armstrong, dem nachträglich wegen Dopings alle Siege der Tour de France aberkannt worden sind ….) machen diesen Roman für mich zu etwas sehr Besonderem.
Und zu einem meiner Highlights des Jahres.
Super!

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ISBN: 978-3-423-28177-5
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2019
Übersetzung: Sylvia Spatz
Seiten: 288
Preis: 22,00 €


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