Louise O’Neill: „Du wolltest es doch“

Louise O’Neill: „Du wolltest es doch“

Ein Buch das unter die Haut geht und meines Erachtens nach zu Recht preisgekrönt worden ist.

Emma ist wunderschön – und das weiß sie auch. Sie ist beliebt und genießt es, dass alle sich nach ihr umdrehen, wenn sie die Straße entlang geht.
Das darf sie sich aber nicht anmerken lassen.
Alle sollen denken, wie wie toll es doch ist, dass Emma trotz ihres Aussehens kein bisschen arrogant ist. Deshalb muss Emma immer besonders nett und höflich zu ihren Mitschülerinnen sein.
Das ist ganz schön anstrengend.

Sie lebt mit ihren Eltern in einer Sozialbausiedlung und weiß, wie abfällig über diese Wohngegend gesprochen wird. Es gab schon Situationen, in welchen in Emmas Beisein über die Menschen, die dort wohnen gelästert wurde. Und die Beteiligten wussten, dass Emma eben dort Zuhause ist…

Aber Emma darf sich ihre Wut über diese Seitenhiebe nicht anmerken lassen.
Wenn sie einmal neidisch auf andere ist, darf sie das auch auf keinen Fall laut sagen. Sie würde nur zu hören bekommen, dass sie doch zufrieden sein soll. Für schöne Menschen ist das Leben doch viel leichter.
Für diese Leichtigkeit jedoch fehlt Emma allerdings eine Sache: Geld.

Cool zu bleiben, wenn ihre Freundin Ali erzählt, dass ihr Vater ihr (einfach so!) den teuren Schminkkoffer geschenkt hat, den Emma sich auch sehnlichst wünscht, fällt ihr sehr schwer.
Aber ihr bleibt nichts anderes übrig. Was sie sonst zu hören bekäme wissen wir ja..

Alis Familie ist sehr wohlhabend und Alis Mutter (die selbst ab und an als Model arbeitet) hat auch einmal durchblicken lassen, dass Emma optisch als ihre Tochter durchgehen könnte.
Ein Kompliment, über das sich Emma sehr gefreut hat – und von dem Ali auf keinen Fall erfahren darf.
Alis Mutter würde Emma gerne Kleider kaufen, da sie in allem (im Gegensatz zu Ali) so hübsch aussieht, aber Emma ist klar, dass sie dieses Angebot nicht annehmen darf.

Zwar gibt sie sich alle Mühe cool zu tun und nichts an sich heranzulassen, aber manche Bemerkungen kränken Emma sehr.
Zum Beispiel als sie hört, wie Junge aus ihrer Schule sagt: “Emma O´Donovan ist echt heiß, aber sie ist scheißlangweilig.” Oder wie ihr ein Mädchen an den Kopf wirft, Emma sei doch nur mit ihr befreundet, weil sie neben ihr noch schöner aussehe.
Aber viel schlimmer ist es, als eine Fotografin in Emmas Beisein zu ihrer Freundin Jamie sagt, das sie Model werden könnte – und zu Emma nicht.

Ihre Schönheit ist alles, was Emma hat. Das Einzige, worauf sie stolz ist. Das muss sie sich manchmal selbst in in Erinnerung rufen. Zum Beispiel indem sie sich selbst beweist, dass alle Jungs auf sie stehen. Und dass sie jeden haben kann, den sie möchte.
Dabei scheut sie sich nicht, ausgerechnet den Jungen auszusuchen, in den ihre Freundin schon seit Jahren verknallt ist. Emma würde niemals etwas mit ihm anfangen, aber einfach mal testen, ob sie Chancen hätte, das kann sie ja….oder?!

Dann kommt der Abend an welchem Emma auf einer Party ein Kleid mit einem extrem tiefen Ausschnitt trägt, sich total betrinkt, Tabletten einwirft und mit mehreren Jungs aufs Zimmer geht.
Am nächsten Morgen wacht sie frierend vor ihrer eigenen Haustüre auf. Ihr Kleid ist zerrissen.
Erinnern kann sie sich an nichts.

Doch alle anderen wissen längst Bescheid. Denn jemand hat unter dem Namen “Easy Emma” einen Facebook Account angelegt – und Fotos der letzten Nacht veröffentlicht.
Fotos, auf denen Emma nackt zu sehen ist.
Fotos, die schon hunderte Likes haben…

Für Emma ist die Existenz dieser Bilder eine Katastrophe, aber noch schlimmer sind die Kommentare, die darunter stehen. “Manche verdienen es einfach, angepisst zu werden.” ist nur einer davon.
Hinzu kommt, dass niemand in der Schule etwas mit Emma zu tun haben möchte, alle tuscheln und sehr viele sind der Meinung, dass Emma an dieser Sache selbst schuld ist. Musste sie sich denn immer so aufreizend kleiden…???
Auch ihren Eltern ist die Sache extrem unangenehm.
Zudem ist Emma schon 18 und da sie sich weigerte sich in besagter Nacht ärztlich untersuchen zu lassen, existieren keine Beweise für eine Vergewaltigung.
Dass der Sohn des Arztes, der für die Untersuchung zuständig gewesen ist, ebenfalls in besagtem Zimmer auf der Party war, ist auch etwas, was anscheinend niemand hören bzw. glauben will…

Der Fall zieht schließlich immer weitere Kreise. Emma landet in den Trends bei Twitter und bald gibt es den Hashtag “ #ichglaubedemmädchenausballinatoom “ unter dem jeder, aber wirklich auch jeder meint, seine Meinung kundtun zu müssen.
Und das ist erst der Anfang…

Das Besondere an diesem Buch ist, dass Louise O´Neill mit ihrer Protagonistin Emma keine Figur geschaffen hat, die der Leser zu 100% mag. Emma ist weder reizend, noch liebenswert, noch wahnsinnig sympathisch.
Genau das finde ich so gut an diesem Roman, denn im Bereich des Jugendbuchs sind Figuren wie Emma sehr selten anzutreffen.
Natürlich gibt es Highschool-Zicken, gemeine und durchtriebene Mitschüler und dergleichen mehr, aber oft wandeln sie sich eben im Laufe des Romans, oder es handelt sich um Stereotypen.

Bei Emma passiert weder das eine, noch das andere.
Sie ist eine Figur, die von Anfang an polarisiert. Man mag sie nicht wirklich, findet sie arrogant und schwierig (auch wenn sie sich alle Mühe gibt, genauso eben nicht rüber zu kommen).
Angesichts dessen was ihr passiert und was ihr an Hass entgegenschlägt, wird man dann ganz still und klein und beginnt wirklich mit ihr zu fühlen.
Das ist großartig gemacht.

So einen Charakter im Jugendbuch zu entwickeln, das muss man sich erst einmal trauen. In diesem Fall ist es sehr gelungen. “Du wolltest es doch auch” avancierte in Irland zum Bestseller und wurde vielfach ausgezeichnet. Meiner Meinung nach vollkommen zu Recht.

Das andere, das ich so gut an diesem Buch finde, ist die Tatsache, dass Louise O´Neill bis zum Ende realistisch bleibt.
Im Nachwort schreibt sie, dass viele Leser mit diesem Schluss unzufrieden waren, doch ihr ging es beim Schreiben dieses Textes nicht darum, ein versöhnliches Ende zu schaffen, sondern ein Echtes.
Davor ziehe ich den Hut.

Ab 16 Jahren.

» zur Leseprobe (Affiliate Link)


ISBN: 978-3-551-31893-0
Verlag: Carlsen
Erscheinungsjahr: 2020
Seiten: 368
Preis: 8,99 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2018 bei Carlsen erschienen.


Das könnte Dir auch gefallen:

One thought on “Louise O’Neill: „Du wolltest es doch“
Nanni

Hallo,

das Buch fand ich auch richtig gut geschrieben. Habe zum ET an einer Blogtour dazu teilgenommen und wirklich auch einige negative Stimmen zur Geschichte gehört. Es ist erschreckend wie hart wir Menschen manchmal miteinander ins Gericht gehen. So gibt es nicht nur Figuren im Buch, die sagen „ist sie ja selbst Schuld“ oder „hat sie verdient“, sondern auch Leserinnen und Leser. What?? Wo ist euer Mitgefühl?

Liebe Grüße,
Nanni

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Archive