Malin Persson Giolito: “Im Traum kannst du nicht lügen”

Malin Persson Giolito: “Im Traum kannst du nicht lügen”

Eher zufällig bin ich auf dieses Buch gestoßen, das 2016 als “Bester Kriminalroman Schwedens” ausgezeichnet worden ist und zunächst habe ich mich gefragt, ob ich denn noch ein Buch über einen Amoklauf lesen möchte.
Nach zehn gelesenen Seiten war klar: Ja, das möchte ich unbedingt!

Maja sitzt im Gerichtssaal und langsam wird ihr klar, dass all die vielen Menschen nur ihretwegen hier sind. Sie ist die Hauptattraktion.
Majas Mutter hat versucht, sie als ganz normales achtzehnjähriges Mädchen zu verkleiden, das nichts Schlimmes getan hat. “Wie hübsch Du bist, meine Süße” hat sie zu ihrer Tochter gesagt.

Darüber kann Maja nur lachen, denn sie weiß, wie ihre Mutter tickt. Immer schön Komplimente erfinden, die vollkommen aufgesetzt wirken und beweisen, dass sie ihre Tochter gar nicht kennt. Aber wirklich neu ist das nicht. Das war schon immer so. Schon immer dachte Majas Mutter, dass ihre Tochter so lieb und pflegeleicht ist, weil sie eine so perfekte Erziehung genossen hat.
Zu dieser Erziehung gehörte es auch zu sagen, dass besagte Tochter doch die Jacke gut auslüften lassen sollte. Dass dies notwendig war, weil sie nach Marihuana roch, wurde einfach übersprungen. Im Laufe der Jahre ist diese konsequente Konfliktvermeidung perfektioniert worden.

Neun Monate lang hat Maja nun keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern gehabt, aber sie bezweifelt stark, dass es ihrer Mutter gelungen ist, der unangenehme Wahrheit über ihre Tochter und deren Freund Sebastian (den gutaussehenden, reichen und perfekten Sebastian), aus dem Weg zu gehen.
Das mediale Interesse ist groß, denn Maja und Sebastian haben ihre Mitschüler und ihren Lehrer erschossen.
Aber es ist nur Maja, die sich vor Gericht verantworten muss, denn Sebastian ist tot.

Romane über Amokläufe gibt es viele, wie zum Beispiel “Was wir dachten, was wir taten” von Lea-Lina Oppermann,
“19 Minuten” * von Jodi Picoult, “54 Minuten”* von Marieke Nijkamp und Nick McDonells
“Zwölf”*, von dem Harald Schmidt und Elke Heidenreich gleichermaßen angetan waren.
Dann gibt es noch einen Titel, den ich vor Jahren gelesen habe und der mich vollkommen begeistert hat, weil er sich von den oben genannten Büchern abhebt und einfach eine Spur erwachsener ist. “Wir müssen über Kevin reden”*von Lionel Shriver.

Seit diesem Roman, dessen Verfilmung mit Tilda Swinton mich übrigens sehr beeindruckt hat, ist mir kein Buch zu diesem Thema mehr begegnet, das diese ruhige aber hochspannende Tiefe hat.
Bis zur Lektüre von “Im Traum kannst du nicht lügen”.
Hier steht nicht der Amoklauf im Mittelpunkt, sondern das Leben der Protagonistin im Allgemeinen und die Gerichtsverhandlung im Besonderen.

Dass Malin Persson Giolito Anwältin ist, merkt man diesem Roman an, denn sie weiß um die Tricks und Kniffe, mit welchen sowohl die Verteidigung, als auch die Anklage arbeitet.
Einer ihrer Anwälte ist der Ansicht, dass Maja zu alt wirkt und dass dies ihre Chancen auf Strafminderung zunichte macht, während ihr Hauptverteidiger, der als Spezialist für aussichtslose Fälle gilt, sich eher bedeckt hält.
Was ihn auszeichnet ist, dass er nicht wertet und alles hinterfragt, besonders was die Arbeit der Polizei anbelangt.
Aber es ist auch eine Tatsache, dass er nicht angetreten ist, um zu gewinnen.
Denn gewinnen kann man Majas Fall nicht und das ist sowohl ihm, als auch seiner Mandantin bewusst.

Eigentlich kommt Maja die Einzelhaft im Gefängnis auch ganz gelegen, denn so muss sie mit niemandem sprechen – auch nicht mit ihren Eltern.
Abgeklärt und zynisch ist sie, unsere Protagonistin und das macht diesen Text auch so bemerkenswert.
Wir kommen gar nicht in die Verlegenheit Mitleid mit ihr zu empfinden, doch abstoßend wirkt sie ebenfalls nicht. Maja berichtet sehr neutral über ihr Leben und darüber, wie das Ganze aus dem Ruder gelaufen ist.
Dabei streift sie viele Themen, wie zum Beispiel unterschwelligen Rassismus, Integrationsschwierigkeiten, als auch die Kluft zwischen Arm und Reich.
Dass die Autorin bei dieser Bandbreite ohne erhobenen Zeigefinger auskommt, rechne ich ihr hoch an.

Wer hier allerdings einen typischer Schweden-Krimi im Stil eines Hakan Nessers, oder Henning Mankells erwartet, der wird enttäuscht sein.
Wer sich jedoch auf dieses fesselnde Buch einlässt und sich dem Flow hingibt, dem wird es abends schwerfallen, das Licht auszuschalten.
So ging es mir und ich musste an mich halten, dieses Werk nicht in einem Rutsch durchzulesen.

Tiptop!

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ISBN:  978-3-404-17963-3
Verlag: Bastei Lübbe
Erscheinungsjahr: 2019
Übersetzung: Thorsten Alms
Seiten: 461
Preis: 11,00 €

Die Paperback-Ausgabe ist 2017 bei Lübbe erschienen.


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2 thoughts on “Malin Persson Giolito: “Im Traum kannst du nicht lügen”
Elizzy

Hallo 🙂 eine tolle Rezension zu einem sehr interessanten Buch. Bis jetzt habe ich noch kein Buch über einen Amoklauf gelesen, habe aber durch diesen Beiträge einige Titel notieren können und werde mir wohl mal eines daraus raus picken und genauer anschauen!
Hab einen tollen Abend und morgen einen guten Wochenstart!

Friederike

Vielen Dank! Ich bin gespannt, welches Buch Du Dir aussuchen wirst und wünsche spannende Lesestunden.

Viele Grüße,
Friederike

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