Lea-Lina Oppermann: “Was wir dachten, was wir taten”

Lea-Lina Oppermann: “Was wir dachten, was wir taten”

Kurz vor dem Einschlafen hatte ich ein Buch beendet und wollte in “Was wir dachten, was wir taten” nur einmal kurz hineinschauen. Das war schlichtweg nicht möglich, denn nach wenigen Seiten konnte ich diesen schmalen Band nicht mehr weglegen.

Als die Anweisung durch den Lautsprecher schallt, dass man doch bitte die Klassenzimmer aufgrund eines Sicherheitsproblems von innen verriegeln solle, macht sich jeder so seine Gedanken.
Ida-Sophie aber ist die Einzige, die sich traut, diese auszusprechen: “Herr Filler? Ist das der Amokalarm?”.
Keiner hätte gedacht, dass der gutaussehende, smarte, junge Lehrer jemals Angst zeigen könnte. Doch in diesem Moment sehen es alle – Filler hat richtig Bammel.
Klar, wer hätte das nicht.

Er versucht diese Tatsache zu überspielen und meint, dass es sich ja auch nur um einen Probealarm handeln könnte, aber es ist zu spät. Seine zögernde Stimme läßt die Klasse nur noch unruhiger werden.
Hinzu kommt, dass die Schüler eigentlich gerade eine Mathe-Klausur schreiben, doch daran ist im Moment nicht zu denken. Sie versuchen sogar Herrn Filler dazu zu überreden die Klausur abzubrechen, doch dieser bleibt hart und agiert pädagogisch wertvoll. So, wie es ihm beigebracht worden ist: Immer nett sein, immer höflich, stets transparent und dabei die Schüler immer so annehmen, wie sie sind.
Wenn Filler jedoch ehrlich ist, so geht ihm dieses höfliche Getue wahnsinnig auf die Nerven. Manchmal wünscht er sich einige Jahrzehnte früher geboren zu sein. Damals durften Lehrer noch…aber egal.

Was er jetzt jedenfalls braucht, ist ein Plan.
Ein älterer Kollege verglich vor einiger Zeit das Unterrichten mit einem Krieg : “Wenn man gewinnen will, dann reicht es nicht, sich eine eigene Taktik zu überlegen, nein, man muss auch die Aufstellung des Gegners studieren.”  Allerdings fügte er hinzu, dass Schüler eine wankelmütige Masse seien, die man bestechen könne.
Bestechen um zu kooperieren, das heißt im Klartext: Filler muß die einflussreichen Schüler auf seine Seite bringen, bzw. sie nicht verärgern, denn sonst könnte die ganze Stimmung kippen und seine Position könnte infrage gestellt werden.

Dann klopft es.
Stille im Raum.
“Amokläufer klopfen nicht”, meint Lasse.
Aber vielleicht doch.

Mark ringt sich als einziger durch, zu fragen wer denn vor der Tür steht.
Es ist die Stimme eines weinenden kleinen Mädchens, die antworte: Man möge ihr doch bitte aufmachen. Sie habe nicht schnell genug zu ihrem Klassenraum zurückgefunden.

Schweigen.
Was soll man machen.
Soll die Tür geöffnet werden, oder nicht.
Das ist die entscheidende Frage.

Ab dieser Stelle habe ich wie hypnotisiert gelesen. Seite um Seite. Lea-Lina Oppermann baut eine Spannung auf, die schier nicht mehr auszuhalten ist.
Des Weiteren kam ich gar nicht umhin, mich zu fragen, wie ich denn anstelle der Schüler und des Lehrers agiert hätte. Diese Frage habe ich mir zwar auch schon bei anderen Büchern gestellt, doch nie so intensiv, wie bei dieser schmalen Lektüre.
Dass die Autorin erst 19 Jahre alt ist, konnte ich zunächst gar nicht glauben.

Dieses Buch ist nicht nur wahnsinnig spannend, sondern zeigt auch, wie intensiv sich die Lea-Lina Oppermann mit dem Schülerdasein und dem Lehrerberuf in der heutigen Zeit auseinandergesetzt hat.
Sie zeichnet die unterschiedlichen Charaktere der Klasse genau und zeigt auf, dass das Coolsein nicht nur etwas ist, was von Schülern angestrebt wird, sondern auch von Lehrern. Ein Kumpel-Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern gilt als Optimalzustand. Doch ob das so wirklich funktioniert und ob dies wirklich sinnvoll bzw. richtig ist, das stellt die Autorin hier zur Debatte.
Denn was passiert, wenn die Fassade fällt? Was geschieht, wenn Coolsein einen nicht weiterbringt und wenn man nicht weiß, ob das Richtige wirklich das Richtige ist?

Von diesen Emotionen und Reaktionen, aber auch von Hoffnung und Wünschen schreibt die Autorin in knapper und prägnanter Form. 
“Was wir dachten, was wir taten” ist ein Buch, das einem eine ganze Weile im Kopf bleibt und ich würde mich nicht wundern, wenn es sehr bald zur Schullektüre werden würde.

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Ab 14 Jahren.


ISBN: 978-3-407-74963-5
Verlag: Beltz
Erscheinungsjahr: 2019
Preis: 7,95 €

Die Paperback-Ausgabe ist 2017 ebenfalls bei Beltz erschienen.


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9 thoughts on “Lea-Lina Oppermann: “Was wir dachten, was wir taten”
https://leselustbuecher.blogspot.de

Oh wow, du hast nicht zu viel versprochen. Das klingt wirklich gut. Kommt auch direkt auf die Wunschliste. Danke für den Tipp. Das Buch wäre sonst wahrscheinlich an mir vorbeigegangen.
Liebe Grüße, Julia

    Friederike

    Gerne doch :). ich wünsche Dir viel Spaß beim Lesen.

    Viele Grüße,
    Friederike

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steam

Ich habe dieses buch gelesen und ich muss sagen ich fand dieses buch garnicht so spannend ich bin selber schüler und dieses buch wird in unserer schule vorgenommen aber ich mag dieses buch irgendwie nicht´´

Kiara

Kann mir jemand sagen, wer der Amokläufer war und wie er zu den anderen steht? Oder ob er überhaupt bekannt ist?

Dream

Das Buch, was wir dachten, was wir taten ist ein absolutes Meisterwerk. Ich habe es innerhalb einer stunde gelesen, und fand es großartig. Es zeigt einem, dass man die meiste Zeit, eigentlich nur mit sich beschäftigt ist, und nicht merkt, was das mit anderen macht.
Ich habe mit dem Buch gelebt, als ich es gelesen habe. Man fühlt sich so, als wäre man mit im Klassenzimmer. Es ist absolut wert, es zu lesen.

Juli

Magst du Lesen denn generell? Bei mir war die Antwort schon immer ein Ja. Mir fällt es leicht mich in eine Welt zwischen den Seiten saugen zu lassen und die Gefühle der Charaktere nachzuempfinden. Wenn das bei dir nicht der Fall ist frag dich nach dem Lesen der Sicht der einzelnen Personen wie die dich bei deren Handeln fühlst.

Magst du die Person?
Hättest du genauso gehandelt?
Wie hättest du es gemacht?
Kannst du nachvollziehen warum der Charakter so reagiert?
Was war die eigene Reaktion?

Ich habe mich dabei ertappt, dass ich es befriedigend fand, als die Locken von Ida (?) abgeschnitten wurden und habe mich schon etwas vor mir selbst erschrocken. Ging es dir an einer Stelle vielleicht genauso? Warum?

Das Buch stellt den Lesenden sehr viele Fragen indem es ihnen den Spiegel vorhält. Und genau das ist der Grund warum es mir immer noch im Gedächtnis bleibt und ich es gerade zum dritten Mal lese.

Lass dich nicht davon abschrecken, nur weil ihr es im Unterricht behandelt. Du kannst Interpretation und das Ganze drumherum hassen ohne das Buch schlecht zu finden. Ging mir Jahre später nach der Schule mit Kafka und Kleist genauso.

Versuche das Buch für dich zu lesen. Nicht für die Note. Nur für dich. Mach dir Gedanken darüber. Dann fällt auch der Kram im Unterricht leichter.

Und zudem: Selbstreflexion ist wichtig. Dieses Buch bietet so viele Möglichkeiten dazu!

Juli

Mein vorheriger Kommentar ging an steam.
Bin mir nicht sicher, ob die Verknüpfung der Kommentare geklappt hat.

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