Ottessa Moshfegh: “Eileen”

Ottessa Moshfegh: “Eileen”

Es gibt Romane, die schon nach den ersten gelesenen Seiten ein Art Sog auf den Leser ausüben.
“Eileen” ist für mich ein solcher.

Eileen Dunlop ist mit sich selbst überhaupt nicht im Reinen. Sie hält sich für vollkommen unscheinbar, widerlich und abstoßend.
Aber nicht nur ihr Äußeres macht ihr zu schaffen, wobei man sagen muss, dass sie nicht hässlich ist, sondern einfach nur ganz normal.
Auch ihr Inneres ist in Wallung. Ständig ist sie wütend, zornig und aufgebracht. Allerdings versucht sie dies nicht zu zeigen. Sie hat sich eine Art Maske zugelegt, eine Miene der Gleichgültigkeit.

Diese trägt sie auch während ihrer Arbeitszeit im Jugendgefängnis Moorehead zur Schau. Sie ist Sekretärin und denkt viel darüber nach, dass die jungen Insassen sie nicht leiden bzw. unattraktiv finden könnten. Nicht einmal vergewaltigen wolle sie jemand.
Ansonsten beschäftigt sie sich damit, den auf die Besuchszeit wartenden Müttern selbst entworfene Fragebögen auszuhändigen und sich zu wundern, dass diese jene sinnfreien Fragen (“Essen sie lieber Erbsen aus der Dose oder Karotten aus der Dose”) wirklich beantworten.

Eileen hasst diese Mütter und ihre Kolleginnen (die sie als widerliche, faule und unkultivierte Schlampen bezeichnet) – eigentlich hasst sie jeden und alles. Auch den Gefängnispsychologen, der sie immer ignoriert und dem sie die Hand gibt, nachdem sie sich selbst unter den Rock gefasst hat. Ohne sich die Hände zu waschen.
Es sind die kleinen Gemeinheiten, die sie den Alltag überleben lassen.
Und ihre Schwärmerei für den Gefängniswärter Randy, den sie nach der Arbeit nach Hause verfolgt. Heimlich versteht sich.

Bei ihr Zuhause ist es nicht besser. Eher schlimmer.
Eileen lebt mit ihrem Vater zusammen, der Alkoholiker ist und seine Tochter spüren lässt, dass er sie nicht leiden kann. Er erniedrigt sie, kommandiert sie herum und manchmal, so muss Eileen zugeben, genießt sie dies sogar.

Gerne stellt sie sich vor, dass er nach ihrem Tod um sie trauert und merkt, was er an ihr hatte.
Auch würde sie ihn gerne umbringen, doch irgendwie möchte sie auch nicht, dass er stirbt. Dann wäre da ja niemand mehr in ihrem Leben.

So kommen wenigstens ab und zu Polizisten vorbei und berichten, dass der Vater mal wieder auf die Nachbarskinder geschossen hat.

Das alles und auch die Tatsache, dass das Haus, in welchem Eileen und ihr Vater leben, vollkommen verdreckt ist, könnte jetzt sehr anrührend und traurig sein. Der Leser könnte mit Eileen mitfühlen und mit ihr hoffen, dass sie es raus aus dieser Kleinstadt schafft, um ein besseres Leben zu beginnen.
Dass man dies nicht hofft, ist allerdings der Clou an diesem Roman.
Ottessa Moshfegh beschreibt diese Figur so spitzfindig, dass man mit ihr in dieser deprimierenden Situation ausharren und mehr über diese Welt erfahren möchte.

Nichts langweilt mich mehr als Protagonisten, die bedauert werden möchten. Die geradezu rufen: “Ich bin so arm dran und ein Opfer der Umstände. Ich bin liebenswert und irgendwie wird sich alles zum Guten wenden, Du musst nur an mich glauben und mit mir hoffen.”
Natürlich könnte man jetzt sagen, dass Eileen doch auch nur geliebt werden möchte.
Ja, vielleicht – aber nicht von uns Lesern. Genau dieser Schachzug macht die Geschichte so interessant und außergewöhnlich.


Geliebt werden möchte Eileen von Rebecca, die neu im Gefängnis ist und dort als Erziehungsbeauftragte arbeiten wird.
Rebecca ist schön, eloquent und gebildet. Also genau das, was Eileen nicht zu sein meint.

Daher sucht Eileen den Haken, eine Charakterschwäche die so viel Schönheit zunichte machen würde. Sie wird jedoch geblendet und findet nichts Negatives, wobei da doch so viele Abgründe wären….

Im Erschaffen einer zweiten brüchigen und durchtriebenen Frauengestalt, zeigt uns Ottessa Moshfegh ihr ganzes Können.
Leicht wäre es gewesen, Rebecca eindimensional abzuhandeln, doch genau diesen Fehler begeht die Autorin nicht und lässt den Leser vieles einfach nur erahnen: Weshalb legt Rebecca einem jungen Insassen die Hand aufs Knie und versteckt seine Akte? Was treibt sie dazu, was hat sie vor – und wozu braucht sie Eileen?


Dass Ottessa Moshfegh die Handlung ins Jahr 1964 verlegt, ist ebenfalls sehr clever, denn so kann sie uns ein Welt zeigen, in der Missstände verschwiegen werden.
Wie zum Beispiel im Jugendgefängnis, in dem alle wegsehen, wenn ein Wärter auf ein Kind einprügelt. Eine Anstalt, in der perfide bestraft wird und jeder Zugang zu allen Akten hat.

Wobei anzumerken ist, dass diese physischen und psychischen Gewalttaten eher am Rande erwähnt, oder angedeutet werden. Das in der Kombination mit einer ambivalenten Hauptfigur, macht die Geschichte extrem spannend.

2016 wurde “Eileen” mit dem Hemingway Foundation PEN Award ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Man Booker Prize. Vollkommen zu Recht, wie ich finde.
Auch die Filmrechte sind bereits verkauft und zwar an Scott Rudin, der unter anderem “Moonlight Kingdom”, “No Country for Old Men” und “Der Vorleser” produzierte.
Ich würde sagen, da ist dieser Stoff in den besten Händen.

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ISBN: 978-3-442-71944-0
Verlag: btb
Erscheinungsjahr: 2017
Übersetzung: Anke Caroline Burger
Seiten: 336
Preis: 11,00 €

Die gebundene Ausgabe ist 2017 bei Liebeskind erschienen.


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7 thoughts on “Ottessa Moshfegh: “Eileen”
Petra

Ein Titel, der mir völlig „durchgerutscht“ ist. Danke fürs aufmerksam Machen! Viele Grüße!

Friederike

Immer sehr gerne :). ich bin gespannt, was Du zu diesem Buch sagen wirst.

www.leselustbuecher.blogspot.de

Das klingt wirklich gut. Und mal nach etwas ganz anderem. Oft sind ja Protagonisten so gestaltet, dass man sich mit ihnen identifizieren kann und sie jeder mag. Eileen klingt da ganz anders. Da bin ich wirklich gespannt drauf. Wandert gleich auf die Wunschliste.
Liebe Grüße, Julia

    Friederike

    Dann wünsche ich Dir viel Spaß beim Lesen!

    Viele Grüße,
    Friederike

Pingback: Das literarische Sonntagsfrühstück: #2/2017 – Die Leserin
Moni

Sehr schöne Rezension, du hast mich total neugierig auf das Buch gemacht! 🙂

    Friederike

    Prima! Viel Spaß beim Lesen :).

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