Das Literarische Quartett: Die Sendung vom 29.April 2016 – Ein Kommentar

Das Literarische Quartett: Die Sendung vom 29.April 2016 – Ein Kommentar

Was ich am Literarischen Quartett immer sehr interessant finde, sind die Bücher, die zur Besprechung ausgewählt werden. Ich informiere mich sehr gerne über diese Titel, lese sie an und bilde mir eine erste Meinung.
Die Auswahl in dieser fünften Sendung fand ich sehr spannend, zumal ich alle Titel  sehr gerne gelesen hätte. John Irving habe ich mir ja bereits zu Gemüte geführt, aber dazu später mehr.

Nachdem ich dieses Quartett nun gesehen habe, bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher, dass ich diese Bücher lesen werde. Aber das war bisher ja bei allen Sendungen schon so, zumal das Streiten über Bücher im Vordergrund steht und nicht die Lust am Lesen hervorzurufen, was sehr schade für den Buchhandel ist.
Natürlich sind verschiedene Meinungen über Bücher sehr wichtig, allerdings muß man ja nicht unbedingt den kompletten Inhalt inklusive Ende verraten. Das fördert nicht gerade das Kaufinteresse. Aber dies ist wohl nicht der Sinn dieser Sendung. Sonst wäre sie anders aufgebaut und man hätte andere Hauptakteure ausgesucht. Aber dass ich mit der Stammbesetzung so gar nicht glücklich bin, habe ich ja schon in diversen vorherigen Texten zum Ausdruck gebracht.

Die spannendste Person ist für mich nach wie vor der Gast. Dieses Mal handelt es sich den Literaturkritiker und Literaturchef des Nachrichtenmagazins Focus Uwe Wittstock, der übrigens auch Literaturblogger ist. Ich habe seine Anwesenheit und seine Beiträge in der Runde als sehr wohltuend empfunden.

Kommen wir zu den Büchern:

Nell Zink: “Der Mauerläufer”

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Vorgestellt wird dieses Buch von Maxim Biller, dem ein einmaliges Lesen nicht ausreichte – er habe es mehrmals gelesen und könne es immer wieder lesen.

Die Hauptfigur des Buches ist eine Umweltaktivistin und Ornithologin, die in Brandenburg lebt. Eine sehr spannende Frau, so Biller, welche Männer generell für zu dumm erachtet, um das zu tun, was sie tut – und in der Tat ist sie wirklich klüger als jene.
Biller fügt hinzu, dass das Buch so gut sei, als hätte es ein Mann geschrieben…
Es gehe um die weibliche Perspektive der Freiheit, darum, dass der Mensch sich nicht in die Natur einmischen solle und dass er freier sei, als das Tier, wenn er sich für seinen eigenen Willen einsetze. Biller sagt, er habe bei der Lektüre fast geweint, was ich mir irgendwie nicht vorstellen kann, aber ich will ihm nichts unterstellen.

Maxim Biller zweifelt es an, dass “Der Mauerläufer” von Jonathan Franzen, den er übrigens nicht leiden kann, entdeckt worden ist. Dass dies dem Buch außerordentlich bei der Vermarktung geholfen habe, stehe auf einem anderen Blatt.
Die Amerikaner jedenfalls lieben dieses Buch. Warum das in Deutschland nicht der Fall sei erklärt sich Biller damit, dass Nell Zink, die selbst in Brandenburg lebt und fast perfekt Deutsch spricht, sich über deutsche Ökoaktivisten und Feministen lustig mache. So etwas wolle man hier nicht lesen. 

Frau Westermann hat ein einmaliges Lesen hingegen vollkommen gereicht und sie fügt hinzu, dass es in den Besprechungen, die sie gelesen habe immer nur um den Anfang des Buches ginge, was ihr vollkommen einleuchte, denn danach würde es schlicht und einfach vollkommen langweilig.
Direkt zu Beginn verliert die Hauptfigur bei einem Unfall ihr Kind und Volker Weidermann meint, dass alles, was danach käme, nur noch Ersatzhandlung sei. Es gehe dann nur noch um den Vogel. Den titelgebenden Mauerläufer. Er lobt dieses Buch jedoch als Mikrogramm eines Franzen-Romans und hebt Zinks erfinderische Sätze hervor. Sie stecke die Synapsen falsch zusammen und das sei sehr reizvoll.

Uwe Wittstock ergänzt, dass Nell Zink zwar ganz erstaunliche Sätze schreibe, es ihr aber leider nicht gelinge, daraus eine eine fesselnde Geschichte zu machen. Sie sei ein “Writers Writer”, also ein Schriftsteller, auf den andere Schriftsteller abfahren, weil seine Sätze so schön sind und nicht, weil die Geschichte an erster Stelle stehe. “Der Mauerläufer” sei ein Buch für fortgeschrittene Leser.

Die “Writers Wiriter” Theorie würde erklären, weshalb Maxim Biller so begeistert ist, der wiederum feststellt, dass seine drei Kollegen von Nell Zinks Werk wohl überfordert seien. Worauf Christine Westermann die Frage stellt, warum die anderen die Dummen seien und er der Gescheite, was Biller mit einem saloppen: “Keine Ahnung!” kommentiert.
Die darauf folgende Frage von Uwe Wittstock, ob man hier über Bücher, oder Biller redet, ist vollkommen berechtigt.

Ich muß sagen, dass ich vor der Besprechung Lust auf dieses Buch hatte, jetzt danach schwindet diese jedoch, denn wenn gleich drei Kritiker das Wort “langweilig” in den Mund nehmen, dann neige ich dazu, Ihnen Glauben zu schenken. Hineinlesen werde ich dennoch.

» Weitere Besprechungen von „Der Mauerläufer“ gibt es übrigens bei Buchrevier und Herzpotenzial.

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John Irving: “Straße der Wunder”

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Diesen Roman stellt Christine Westermann vor und hier stellt sich mir die Frage des Abends: Warum wählt man ein Buch zur Besprechung aus, das einem nicht wirklich gefallen hat und das man sogar zäh fand?

Frau Westermann wird mit der, wie ich finde im Kontext dieser Sendung sehr abwertenden Bezeichnung “Bücherschwärmerin” vorgestellt, doch schwärmt sie nicht von ihrer ausgewählten Lektüre. 300 Seiten habe dieser John Irving zu viel und man müsse sich das Lesevergnügen erarbeiten.

Weshalb dann diese Wahl? Waren die anderen Bücher, die sie vielleicht in petto hatte für das Quartett zu wenig anspruchsvoll, oder wollte sie auch einfach einmal zeigen, dass sie nicht immer alles großartig findet? Oder wollte sie sich an ihren Kollegen für die manchmal doch sehr überhebliche Art rächen, indem sie Ihnen die Lektüre eines nicht sonderlich spannenden Wälzers auferlegt? Alles nur reine Spekulation.

Ich selbst hatte mich ja auch sehr auf dieses Buch gefreut, es mit Begeisterung angefangen und bei Seite 500 entnervt aufgegeben. Mir war es schlichtweg zu langweilig, eine Meinung, mit der ich nicht alleine bin, wie sich schon vor dem Quartett herausstellte.

Eigentlich hatte ich erwartet, dass mir im Quartett jemand erklärt, warum er “Straße der Wunder” toll finde und so argumentiere, dass ich vielleicht mein Urteil noch einmal überdenken müsse. Das hätte ich spannend gefunden.
Aber Fehlanzeige. Vielleicht war Frau Westermann, als sie dieses Buch einreichte, ja auch erst am Anfang der Lektüre. Je nun, es ist mir ein Rätsel.

Volker Weidermanns Formulierung, dass die im Buch vorkommenden Betablocker auf den Leser übergreifen empfinde ich als sehr treffend.
Auch Maxim Biller ist der Ansicht, dass das Buch zu sehr ausfasere. Im Übrigen hätten die Figuren keine negativen Seiten (was Uwe Wittstock jedoch anders empfindet) und es handele sich bei diesem Buch um Sozialkitsch.

Frau Westermann hebt noch ein paar schöne Stellen im Buch hervor und Volker Weidermann fügt hinzu, dass er sich über dieses Buch geärgert habe, ihm aber das Ende gefalle.
Aber ganz ehrlich: das reißt es jetzt auch nicht mehr raus.

» Zum Artikel von Ursula März (die ebenfalls schon Gast im Literarischen Quartett war) in der ZEIT.

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Sasa Stanisic: “Fallensteller”

Fallensteller von Saa Stanii

Zunächst finde ich es schade, dass ein Buch besprochen wird, welches zum Ausstrahlungstermin noch nicht erschienen ist. Zudem, wenn es sich um ein Buch handelt, das alle vier Kritiker gut finden. Wenn es aufgrund der Sendung gekauft wird, dann vielleicht noch ein bis zwei, vielleicht auch drei Tage nach der Ausstrahlung, danach interessiert sich doch kein Mensch mehr dafür.
“Fallensteller” erscheint erst am 9. Mai und der Erscheinungstermin wurde, entgegen meinen Vermutungen, auch nicht vorgezogen.

Alle vier Kritiker sind sich jedenfalls einig, dass es in “Fallensteller”, bei welchem es sich um einen Band mit Erzählungen handelt, großartige Geschichten gäbe. Besonders die letzte Erzählung, in der es um einen jungen Mann in einem Start-Up Unternehmen, seine Jugend und um seinen Großvater gehe, sei hervorragend.

Uwe Wittstock meint, dass vier bis fünf Erzählungen richtig gut seien. So bezeichnet er zum Beispiel die Geschichte, in der es um einen Zauberkünstler auf einem Betriebsfest geht,als  “Künstlerroman in einer Nussschale”.
Viele der anderen Erzählungen empfinde er allerdings als Reste des Romans “Vor dem Fest”, für welchen Stanisic den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat. Wittstock wirft die Frage auf, warum man diese Nachschrift/Fortschreibung lesen solle. Da lese man doch lieber den ganzen Roman.

Weidermann hat “Vor dem Fest” bereits gelesen und findet es gerade toll, dass Figuren aus dem Roman wieder auftauchen. Frau Westermann lobt die Tatsache, dass jede Geschichte abgeschlossen sei und urteilt: “Absolut empfehlenswert”.

Wer sich selbst ein Urteil bilden möchte, der muss bis zum 9.Mai warten, oder kann sich den aktuellen Literatur-SPIEGEL kaufen, denn darin ist eine Erzählungen von Sasa Stanisic abgedruckt.

Ich habe sie bereits gelesen, fand sie gut, aber nicht überragend.

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David Grossman: “Kommt ein Pferd in eine Bar”

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Dieses Buch hat mich sehr interessiert, zumal zwei meiner Kolleginnen sehr begeistert davon erzählt haben. Vorgestellt wird es von Uwe Wittstock.

Es geht um einen Stand-Up Comedian, der einen früheren Freund (einen Richter) gebeten hat, bei einem seiner Auftritte dabei zu sein. Sein Programm beginnt zwar mit aggressiven Witzen, geht aber sehr bald in die Erzählung seiner Lebensgeschichte über.
Er berichtet unter anderem von seinem Verhältnis zu den Eltern, den Holocaust überlebt haben und schwer traumatisiert sind. Seine Mutter ist depressiv, sein Vater gefühlsunfähig.
Leider ist es so, dass in der Sendung der komplette Inhalt, als auch das Ende verraten wurden, was ich, und da muß ich Christine Westermann beipflichten, sehr schade finde. Daher erzähle ich jetzt nicht weiter, sondern belasse es bei obigen Sätzen.

Was ich nicht gedacht hätte ist, dass dieses Buch Maxim Biller so gar nicht gefallen hat. Er bezeichnet es sogar als grauenhaft, langsam und porös. Das zentrale Problem sei, dass “Kommt ein Pferd in eine Bar” komplett ideologisch wäre und Israel dämonisiert werden würde. Für jemanden, der Israel nicht kenne und Grossman lese, sähe dieses Land immer wie ein faschistischer, militaristischer Staat aus. Aha.

Volker Weidermann stellt fest, dass der Roman drei Ebenen habe, die erste Ebene (der Stand-Up Comedian) allerdings nicht funktioniere. Und endlich kann Volker Weidermann, wie in jeder Sendung, Thomas Mann ins Spiel bringen, indem er einen Vergleich zu “Mario und der Zauberer” zieht. Das kennen wir ja schon.

Christine Westermann sagt, dieses Buch sei großartig, aber dass sie ja inzwischen wüßte, dass sie eine oberflächlich Leserin sei, die sich aber nicht alle Beleidigungen merken könne und versucht damit Selbstironie ins Spiel zu bringen, was leider nicht so zündet, wie vielleicht beabsichtigt. Ich finde ja nach wie vor, dass sie nicht in diese Runde passt. Allerdings geht es mir mit Volker Weidermann und Maxim Biller genauso. Ich wäre für eine komplette Neubesetzung. Aber ich wiederhole mich.

Biller bezeichnet Grossmans Buch als “Kafka für Arme” und meint, dass es bestimmt so gewesen sei, dass der Autor dem Verlag noch ein Buch schulde und gedacht habe, ach ja, Israel, das geht immer. Biller eben. Das kennen wir ja auch schon.

Uwe Wittstock schließt mit der Bemerkung dass es bei erzählender Literatur darum ginge, das Leben eines Menschen, den man vorher nicht kenne, so auszuerzählen und zu vergegenwärtigen, dass man diesen Menschen verstehe. Und das sei David Grossmans gelungen.
Ein schönes Schlußwort. Auf die danach folgende Fußballergebnis-Bewertung am Ende hätte ich gerne verzichtet.

» Zum Nachtrag von Uwe Wittstock. Eine weitere Besprechungen gibt es bei leseschatz.

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Abschließend kann ich sagen, dass mich diese Sendung insgesamt leider nicht überzeugen konnte, aber das hatte ich ja schon befürchtet.  Die Ausgabe davor hingegen hat mir besser gefallen, was auch daran lag, dass sich nur drei Personen die Redezeit teilen mussten, da Christine Westermann fehlte.

Mein Highlight war, wie immer, der Gast. Uwe Wittstock hat mich mit seiner ruhigen Art und seine durchdachten Thesen überzeugt. Ich fand es sehr sympathisch, dass er sich in seine Ausführungen weder von Volker Weidermanns noch Maxim Billers Einwürfen hat beirren lassen, sondern konsequent weiter sprach und auch anderen nicht ins Wort fiel.

Herr Wittstock: Wollen Sie nicht übernehmen?


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3 thoughts on “Das Literarische Quartett: Die Sendung vom 29.April 2016 – Ein Kommentar
Silvia

Vielen Dank, dass du die Sendungen immer so schön zusammenfasst. Ich habe noch keine gesehen, bin bei dieser Sendung auch froh, dass ich statt dessen geschlafen habe ;))

Hauke

Moin!
Ich bedeanke mich herzlich für die nette Verlinkung zum Leseschatz!
Herzliche Grüße und viele liebe Grüße, Hauke

Kerstin Scheuer

Diese Sendung war mein erstes literarisches Quartett, dass ich gesehen habe, und ich muss zugeben, insgesamt enttäuscht gewesen zu sein. Ständig wurde gespoilert. Diskussionen wurden immer dann, wenn es gerade erst interesant wurde, abgebrochen. Hinterher fühlte ich mich außerdem wie nach einem Marathonlauf, so sehr wurde durch die einzelnen Bücher gehetzt.
Vielleicht wird es ein einmaliges Erlebnis bleiben.

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