Emily Fridlund: “Eine Geschichte der Wölfe”

Emily Fridlund: “Eine Geschichte der Wölfe”

Auf dieses Buch war ich sehr gespannt, zumal der von mir geschätzte T.C. Boyle sich sehr begeistert zeigte. Außerdem stand es auf der Shortlist des Man-Booker-Prize, was eigentlich immer ein gutes Zeichen ist.

Madelaine ist mit ihren Eltern in einer Kommune aufgewachsen, in welcher zum Beispiel auch über den Namen der Neugeborenen abgestimmt wurde. Doch diese Kommune gibt es nicht mehr – es gibt nur noch Madelaine und ihre Eltern. Wobei die 14jährige oft denkt, dass diese beiden Personen gar nicht ihre Eltern sind, zumal sie sich nicht so verhalten. Sie sind sehr eigen, um es vorsichtig auszudrücken.
Als die Kommune sich auflöste versuchte die Mutter Halt im Christentum zu finden, doch irgendwie hat das nicht so richtig funktioniert.

Ihr Haus befindet sich einige Kilometer von Loose River entfernt und wenn Madelaine den Schulbus verpasst, muss sie acht Kilometer zu Fuß gehen. Auch während der sehr langen Wintermonate, denn die Familie besitzt kein Auto.
Schließlich zieht auf der anderen Seite des Sees ein junges Paar mit einem kleinen Jungen ein und Madelaine kann sie wunderbar beobachten, da das neue Haus keine Vorhänge besitzt.

Als Madelaine Patra und ihren Sohn Paul kennenlernt und sich herausstellt, dass sie eine Art Babysitter brauchen, hängt Madelaine ihre Kellnerei an den Nagel und passt fortan auf Paul auf.
Sie macht auch die Bekanntschaft von Patras Mann Leo, der zwar ruhig ist, aber sehr bestimmt auftritt und seine ganz eigenen Ansichten hat.
Auch was die Gesundheit seines eigenes Kindes anbelangt…

Emily Fridlund siedelt ihre Geschichte in der Nähe von Duluth in Minnesota an, ein Ort, der mir bekannt vorkam, denn dort spielen auch der Film bzw. die Serie “Fargo”, in welcher es eigentlich immer schneit bzw. sehr kalt ist.
Die karge Winterlandschaft, die Emily Fridlund beschreibt, hatte ich daher schnell vor Augen.
Jedoch weiß ihre Protagonistin Madelaine diese Natur sehr zu schätzen. Sie ist viel draußen, paddelt mit dem Kanu über den See, oder geht mit den Hunden spazieren. Nunja, viel mehr bleibt einem Teenager in dieser Abgeschiedenheit auch nicht übrig.

Dass sie sich von den “Neuen” angezogen fühlt ist auch nicht verwunderlich, denn Patra und ihr Sohn bringen Abwechslung in Madelaines Leben. Wenn sie bei den beiden ist, verspürt sie so etwas, wie Glück.
Jedoch erfahren wir schon früh, dass es eine Gerichtsverhandlung geben wird, bei welcher Madelaine als Zeugin geladen ist und bei der Patra und Leo auf der Anklagebank sitzen.

“Die Geschichte der Wölfe” ist eines der Bücher, auf das ich mich in diesem Frühjahr besonders gefreut habe. Ich hatte ein ähnliches Leseerlebnis erwartet, wie bei “The Girls” von Emma Cline, eines meiner Lieblingsbücher des Jahres 2016.
In beiden Büchern geht es um ein Mädchen an der Schwelle zum Erwachsensein, das sich nichts mehr wünscht, als geliebt, bzw. gesehen zu werden und sich die falschen Freunde bzw. Bezugspersonen sucht.
Mit einer solchen Erwartungshaltung an ein Buch heranzugehen, ist immer schwierig, denn nur selten werden diese Romane dem hohen Anspruch gerecht.

Emily Fridlund schreibt sehr schöne Prosa, keine Frage, jedoch versucht sie, meiner Ansicht nach, zu viele Themen in ihrem Roman zu verarbeiten.
Da sind zum einen die Eltern, die nicht damit zurechtkommen, dass ihre Ideale und ihr Leben in der Kommune gescheitert sind.
Des Weiteren gibt es Madelaines Lehrer, der aus Californien kommt und der (vielleicht) eine Mitschülerin missbraucht hat und wegen des Besitzes von Kinderpornographie verhaftet wird.
Außerdem sind da “Die Neuen” Patra und Leo, die eine sehr seltsame Beziehung führen. Patra war Leos Studentin und ordnet sich ihrem Mann bedingungslos unter. Er gehört der Christian-Science-Kirche an, deren Mitglieder zum Beispiel daran glauben, dass Gottes Güte Krankheiten heilt.

Dieser Stoff hätte locker für drei Romane gereicht, die ich alle sehr gerne gelesen hätte. Denn wie bereits gesagt, schreiben kann Emily Fridlund.
So jedoch werden die Themen nur angerissen und es fehlt, meiner Ansicht nach, an Tiefe.
Des Weiteren ist es leider so, dass der Klappentext des Buches die Handlung vorwegnimmt und das bedauere ich sehr.
Auch hier wäre weniger mehr gewesen.

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ISBN: 978-3-8270-1367-5
Verlag: Berlin Verlag
Erscheinungsjahr: 2018
Übersetzung: Stephan Johann Kleiner
Seiten: 384
Preis: 22,00 €


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4 thoughts on “Emily Fridlund: “Eine Geschichte der Wölfe”
Buchperlenblog

Hallo! 🙂
So eine Erwartungshaltung kann glaube ich wirklich vieles an Leseerlebnis kaputt machen. Nur wie sich davor bewahren? Mir geht es da ähnlich wie dir. Übrigens fand ich The Girls auch eirklich klasse, der Stil hatte mich komplett mitgerissen 🙂 Schade, dass es bei diesem Buch nich ganz so sein sollte für dich!

Liebe Grüße!
Gabriela

    Friederike

    Liebe Gabriela,

    ja, in der Tat, eine hohe Erwartungshaltung ist für den Lesegenuss nicht gerade förderlich.
    Daher habe ich zum Beispiel lange gezögert, bevor ich „Überbitten“ https://www.diebuchbloggerin.de/deborah-feldman-ueberbitten/ von Deborah Feldmann las, zumal „Unorthodox“ https://www.diebuchbloggerin.de/deborah-feldman-unorthodox/ für mich DAS Buch schlechthin ist. Schließlich habe ich dann doch zugegriffen und bin nach wie vor hin und weg.
    Genauso ging es mir mit „Gerron“ von Charles Lewinsky. Nachdem ich „Melnitz“ https://www.diebuchbloggerin.de/charles-lewinsky-melnitz/ gelesen hatte, dachte ich, dass es unmöglich sei, so etwas zu wiederholen. Dann habe ich mich doch „überwunden“ und siehe da, es ist ihm erneut gelungen. Ein tiefes und sehr berührendes Buch.
    Manchmal werden hohe Erwartungen ganz unverhofft doch übertroffen – und das sind dann ganz besondere Bücher, die einem im Gedächtnis bleiben.

    Viele Grüße,
    Friederike

Vanessa

Liebe Friederike,

ach wie schade, das Buch hatte ich auf meinem Wunschzettel stehen, war mir aber noch unsicher und wollte ein paar Stimmen abwarten. So werde ich das Buch wohl noch ein wenig darauf stehen lassen und erst mal anderen Büchern den Vorzug geben. Vielen Dank für deine Einschätzung!

LG Vanessa

    Friederike

    Liebe Vanessa,

    ich hatte wahrscheinlich wirklich zu hohe Erwartungen. Es ist, so finde ich, ein gutes Buch, nur drängte sich für leider der Vergleich mit „The Girls“ auf und dieses Werk hat mich einfach vollkommen begeistert und überrascht.
    Mit den Büchern von Ian McEwan ging es mir ähnlich. Zuerst las ich „Solar“ und „Abbitte“ – zwei absolute Knaller. Jeden weiteren Roman, den ich von ihm las, verglich ich automatisch mit diesen beiden Büchern und keines kam für mich an diese heran.
    Was ich sehr bedauere.
    Genauso ging es mir mit William Boyd. „Ruhelos“ und „Eines Menschen Herz“ fand ich grandios und habe mich dann bei der Lektüre von „Einfache Gewitter“ gefragt, was ihn denn da geritten hat.
    Aber ich werde nicht aufgeben und weitere Werke von Boyd lesen – ich bin nämlich noch lange nicht durch :).

    Viele Grüße,
    Friederike

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