Spannungsromane und Krimis, die ohne Ermittler auskommen mag ich sehr. Dieser hier hat mir besonderes Vergnügen bereitet, denn er ist sehr gemein – und raffiniert.
Yuko Moriguchi ist Lehrerin und alleinerziehende Mutter, bzw. sie war alleinerziehende Mutter, denn ihre vierjährige Tochter ist tot im Schwimmbecken der Schule aufgefunden worden.
Da Tod durch Ertrinken festgestellt wurde, wird nicht weiter ermittelt und dass Moriguchi ihre Anstellung an der Schule kündigt ist sehr verständlich. Zu viele Erinnerungen sind mit diesem Ort verbunden. So meint man.
In ihrer letzten Schulstunde läßt Moriguchi dann die Bombe platzen: Sie weiß, dass ihre Tochter nicht von alleine ins Schwimmbecken gefallen ist, sondern dass zwei ihrer Schüler, die sich im Raum befinden, am Tod des Mädchens schuld sind.
Doch zur Verwunderung aller, benennt Moriguchi diese beiden Schüler nicht und sagt auch, dass sie die Polizei nicht informieren werde. Stattdessen hat sie sich etwas sehr Perfides, aber Wirkungsvolles ausgedacht…
Mehr schreibe ich jetzt dazu nicht, denn dieser Twist ist so genial, dass ich niemandem die Überraschung nehmen möchte.
Die ganze Geschichte wird aus fünf verschiedenen Perspektiven erzählt: Aus der Sicht dreier Schüler, der Schwester eines Schülers und aus der Sicht der Lehrerin Moriguchi. Das macht die Sache sehr interessant, zumal jeder mit der Situation ganz anders umgeht.
Den einen macht diese Sache vollkommen fertig, der andere wächst daran – so unterschiedlich können die Reaktionen sein, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht.
Ein Thema, das mir während der Lektüre besonders ins Auge gestochen ist, ist das Verhältnis von Kindern zu ihren Müttern, bzw. die hohen Erwartungen der Mütter an ihre Kinder, oder auch anders herum.
In einem Fall ist es so, dass das der Sohn darunter leidet, dass seine Mutter zu viel von ihm erwartet. Sie versucht es ihm zwar nicht zu zeigen, aber der Junge merkt es daran, dass sie ihn früher für alles überschwänglich gelobt hat, weil sie hoffte, dass er irgendwann ihrem Wunschbild entsprechen würde.
Doch bald merkt sie, dass ihr Kind in keinster Art und Weise außergewöhnlich ist. Doch da sie ihn das nicht spüren lassen möchte, rahmt sie zum Beispiel die einzige Urkunde, die er je bekommen hat (einen dritten Platz in einem Schreibwettbewerb) und zeigt sie stolz allen Besuchern des Hauses. Was ihrem Sohn sehr unangenehm ist.
In der Oberschule, in der für das Kind sämtliche Auszeichungen ausbleiben, beginnt sie schließlich zu betonen, was für ein “guter Junge” er doch sei. Sie lobt ihn sozusagen herab und merkt nicht, wie schlimm das für ihren Sohn ist.
Sie hat vollkommen falsche Erwartungen an ihr Kind, hat Hoffnungen, die sich nicht erfüllen und genauso geht es auch zum Beispiel der Mutter in Celeste Ngs Roman “Was ich euch nicht erzählte”.
In jenem ist es so, dass die Mutter selbst immer besonders sein und hervorstechen wollte, besonders im naturwissenschaftlichen Bereich, doch letztendlich hat sie drei Kinder bekommen und ist nicht mehr in ihren Beruf zurückgekehrt.
Nun projiziert sie ihre Träume auf ihre Tochter und beginnt sie in allen naturwissenschaftlichen Bereichen zu fördern, wobei sie gar nicht merkt, dass die Tochter mit diesem Fachbereich überhaupt nichts anfangen kann.
In beiden Fällen sind die Mütter enttäuscht, reagieren aber jeweils anders darauf: Die eine setzt ihr Kind unbewußt unter Druck, die andere macht es klein – beide Fälle führen zur Katastrophe.
Ein weiteres Thema des Romans, das ich sehr interessant finde und das oft im Bezug auf Japan erwähnt wird, ist das der Hikikomori.
Als solche bezeichnet man junge Menschen, die sich grob gesagt einfach komplett zurückziehen, sich in ihr Zimmer einsperren und auf Kosten ihrer Eltern leben.
Von diesem Phänomen habe ich schon des Öfteren gelesen und eigentlich ist es ja auch kein Wunder, dass so manch junger Mensch gegen den Leistungsdruck der japanischen Gesellschaft rebelliert. Beziehungsweise als Student in ein Loch fällt, wenn er am Ziel der gesamten Mühen, dem Besuch der Universität, angelangt ist.
» der Tagesspiegel über die Hikikomori
In “Geständnisse” gehen zum Beispiel viele Schüler in eine “Paukschule”, eine Schule, die sie auf kommende Prüfungen vorbereitet – nach dem regulären Unterricht versteht sich.
Diese Schulen sind oft sehr teuer, aber es ist wichtig, früh die Weichen zu stellen, damit das Kind die Chance hat, auf eine Elite-Universität zu gehen. Das fängt mit der Wahl der Grundschule an, für die die Kindergartenkinder ebenfalls eine Prüfung bestehen müssen.
Ich finde diese Thematik hochspannend, möchte jetzt aber nicht zu ausufernd werden. Mehr zu diesem Thema kann man in folgenden Artikeln nachlesen:
» die FAZ über das japanische Schulsystem
» Spiegel online über den Schlafmangel bei japanischen Schülern
Das sind zwei der Themen, die in “Geständnisse” mit einfließen, denen man sich aber nicht widmen muß, um an diesem Buch diebische Freude zu haben.
Einfach lesen und genießen lautet hier die Devise und ich muß sagen, dass “Geständnisse” bisher das Highlight meiner neu erwachten Krimi-Phase ist.
Ein ungewöhnliches Thema, dazu gut geschrieben und Spannung bis zum Schluß. Was will ich mehr.
ISBN: 978-3-328-10291-5
Verlag: Penguin
Erscheinungsjahr: 2018
Übersetzung: Sabine Lohmann
Seiten: 272
Preis: 10,00 €
Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2017 bei C.Bertelsmann erschienen.
Das könnte Dir vielleicht auch gefallen:
- Amélie Nothomb: Mit Staunen und Zittern
- Jakob Arjouni: Hausaufgaben
- Celeste Ng: Was ich euch nicht erzählte
2 thoughts on “Kanae Minato: “Geständnisse””