Wenn ich “Lempi” nicht eindringlich empfohlen bekommen hätte, hätte ich dieses Kleinod verpasst.
Ein großartige Entdeckung!
Viljami ist nach Finnland zurückgekehrt. Nicht alle hatten dieses Glück – viele sind im Krieg gefallen.
Aber auch Viljami hat tiefe Wunden, Wunden, die man ihm nicht ansieht, denn sie sind seelischer Natur. Doch es sind nicht die Kriegserlebnisse, die diese hervorrufen. Es ist sind Worte.
Die handgeschriebenen Zeilen von Elli, die besagen, dass Lempi gestorben ist.
Viljamis große Liebe.
Niemals hätte Viljami es für möglich gehalten, dass die freche, eigensinnige, intelligente Kaufmannstochter mit Abitur ausgerechnet ihn, den einfachen Bauern auserwählen würde. Ihn, der ihr nichts bieten konnte.
Doch eines Nachmittags, als er Einkäufe tätigte, küsste ihn Lempi nach einem kurzen Gespräch über den Ladentresen hinweg. Einfach so.
Von da an gab es nur noch sie und ihn. Und als er um ihre Hand anhielt und sie ja sagte, konnte Viljami sein Glück gar nicht fassen.
Sie zogen auf seinen Hof, weit weg von Lempis Vater und ihrer Zwillingsschwester Sisko und da Viljami wollte, dass seine Lempi sich wohl fühlt, stellte er eine Magd ein, die Lempi im Haushalt und bei der Arbeit auf dem Hof helfen sollte.
Alles funktionierte wunderbar. Elli half Lempi, wo sie konnte und die beiden verstanden sich gut. Wie zwei Freundinnen.
Dann kam der Brief. Der Brief, in welchem stand, dass Viljami in den Krieg ziehen müsse.
Während der ganzen Zeit hat Viljami sich immer und immer wieder diese wunderschönen, glücklichen Tage in Erinnerung gerufen. So hat er überlebt.
Und jetzt ist sie tot. Seine Lempi.
Zurückgelassen hat sie zwei Kinder, um die Viljami sich nun kümmern soll. Aber er kann nicht.
Obwohl er sich schon seit Tagen in der Nähe seines Hofes herumtreibt, schafft er es nicht, die letzten Schritte zu eben diesem zu gehen. Ohne Lempi kann er sich das Leben einfach nicht mehr vorstellen.
Jetzt allerdings zu denken, dass es sich bei diesem Roman um eine einzige Ode an die Liebe handelt, wäre falsch. Dieses Buch ist viel mehr.
Denn nicht nur Viljami erzählt uns von Lempi, sondern auch Lempis Schwester Sisko und Elli, die Magd.
Und Elli schildert uns eine ganz andere Version, eine ganz andere, unschöne Seite Lempis. Denn auch wenn Viljami es dachte, Elli und Lempi mochten sich keineswegs…
Diese verschiedenen Sichtweisen auf Lempi, die im Roman nicht selbst zu Wort kommt, sind hochinteressant, spannend und offenbaren uns das Wesen einer Frau, die es schafft, andere das fühlen zu lassen, was sie sie fühlen lassen möchte.
Eine Frau, die manipuliert, um sich geliebt zu fühlen – oder beneidet. Je nachdem.
Und eine große Überraschung, die gibt es auch.
Minna Rytisalo schafft es hier mit klaren, aber auch sehr zärtlichen Worten eine Stimmung zu erzeugen, der man sich nur schwer entziehen kann.
Vor dieser Lektüre habe ich vier Bücher abgebrochen. Nichts konnte mich fesseln – und dann kam “Lempi”.
Von den ersten Zeilen an war klar, dass sich dieses Buch abhebt. Es ist ein Kleinod, das so vieles vereint.
Zunächst einmal ist da die tiefe Liebesgeschichte zwischen Lempi und Viljami. Dann die aufgeladene Situation zwischen zwei Frauen, die sich nicht leiden können, aber zusammenleben müssen und schließlich der geschichtliche Rahmen, den uns die Übersetzerin Elina Kritzokat in ihrem Nachwort näherbringt.
Um sich gegen Russland verteidigen zu können, benötigte Finnland einen Partner und fand diesen im nationalsozialistischen Deutschland. Allerdings wurde Deutschland nicht offiziell als “Verbündeter” bezeichnet, sondern ganz pragmatisch als “Waffenbruder”.
Drei Jahre lang lebten über 200.000 Deutsche im finnischen Teil Lapplands. Sehr viele finnische Frauen arbeiteten bei den Deutschen als Schreibkraft und zumal die Finnen an der Front waren, gab es auch viele Beziehungen zwischen deutschen Männern und finnischen Frauen.
Nach einem drei Jahre andauernden Stellungskrieg mit Russland, musste Finnland schließlich einen Waffenstillstandsvertrag mit Moskau unterzeichnen. Natürlich waren die Bedingungen für Finnland sehr hart. Die Finnen wurden zum Beispiel gezwungen, die Wehrmacht innerhalb von zwei Wochen aus dem Land zu vertreiben. Von einem Tag auf den anderen war aus dem Waffenbruder ein Feind geworden.
Für die finnischen Frauen, die bei den Deutschen gearbeitet hatten, oder eine Beziehung mit jenen eingegangen waren, begann eine sehr harte Zeit.
Der geschichtliche Aspekt hebt diesen Roman auf eine ganz andere Ebene.
Dieses Werk vereint so viele Dimensionen. All mein Denken und Fühlen wurde während der Lektüre so intensiviert, dass ich gar nicht anders konnte, als mitzuleiden, mitzuhassen – und mich mitzuverlieben.
Was will ich mehr.
Großartig.
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ISBN: 978-3-423-14748-4
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: 2020
Übersetzung: Elina Kritzokat
Seiten: 224
Preis: 10,90 €
Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2018 bei Hanser erschienen.
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