Wenn ich mich recht entsinne, habe ich mit der Hilfe von Büchern schon viele Länder erkunden dürfen, im heutigen Saudi-Arabien jedoch, war ich noch nie.
Weder physisch noch gedanklich, was auch daran liegen mag, dass ich in der Gegenwartsliteratur keine Schriftsteller ausmachen konnte, die über ihr Land und die dortige Situation schreiben.
Gerade habe ich noch einmal recherchiert und bin zwar auf einige Romane/Tatsachenberichte gestoßen, die im Buchhändlerjargon als “Schleierromane” bezeichnet werden, aber auf wirkliche Literatur, die sich kritisch mit dem Königreich auseinandersetzt hingegen nicht. Das hat einen Grund: Texte, die sich mit Kritik am Königshaus befassen, werden zensiert und strafrechtlich verfolgt.
Ein aktuelles Beispiel ist Raif Badawi, ein saudischer Internet-Aktivist, der das Online Forum: “Die Saudischen Liberalen”, eine Website über Religion und Politik in Saudi Arabien, ins Leben gerufen hat.
Im Mai 2014 wurde verkündet, dass Badawi wegen „Beleidigung des Islam“ zu zehn Jahren Haft, 1000 Peitschenhieben, sowie einer Geldstrafe von etwa 194.000 € verurteilt werde.
Er wurde Im Januar 2015 erstmals öffentlich ausgepeitscht.
Im Roman “Weil wir längst woanders sind” erleben wir allerdings ein anderes Saudi-Arabien. Das Saudi-Arabien, für das sich die Schwester des Protagonisten bewußt entschieden hat.
Basils und Laylas Vater kommt aus Saudi-Arabien, ihre Mutter ist Deutsche. Die beiden haben die ersten Jahre ihrer Kindheit in Saudi-Arabien verbracht, dann zog die Familie nach Deutschland. Der Vater starb früh und die drei mussten fortan alleine klar kommen.
Basil ist inzwischen 31 Jahre alt, studiert und jobbt in einer Kellerkneipe. Leyla hat ihre als Buchhändlerin abgebrochen ist durch die Weltgeschichte gegondelt und hat ihre Familie nun kalt erwischt, denn sie hat angekündigt, einen Araber zu heiraten und nach Saudi-Arabien zu ziehen – ein Land, in dem sie die nicht Auto fahren darf und in dem es weder öffentliche Theater, Kinos oder Schauspielhäuser gibt. Des Weiteren wird Leyla fortan in der Öffentlichkeit ein bodenlanges Gewand und ein Kopftuch tragen müssen.
Warum will Layla das, wo sie doch in Deutschland alle Freiheiten hat?
Vielleicht ist es ja genau das. Die vielen Freiheiten. Die vielen Entscheidungen. Wenn man alle Möglichkeiten hat, wie soll man da entscheiden, was wirklich das Richtige ist. Vielleicht hat sie sie auch satt, diese “Generation Beziehungsunfähig”, diese Welt der optimierten Partnersuche. Vielleicht.
Basils Mutter versteht die Welt nicht mehr und weigert sich zur Hochzeit zu kommen. Basil selbst jedoch beschließt nach Jeddah zu fliegen, um Layla zu verstehen. Um Antworten zu bekommen.
Und so lernen wir es kennen, das andere Saudi-Arabien. Das Saudi-Arabien, in dem Basil gesagt wird, dass er vermißt wurde, obwohl man sich schon so lange Jahre nicht gesehen hat. Das herzliche und menschliche Saudi-Arabien.
Romane, die mich dazu anregen, mehr über ein Land, oder einen Sachverhalt herauszufinden, schätze ich sehr. “Weil wir längst woanders sind” ist so ein Roman.
Rasha Khayat öffnet uns in ihrem Buch die Augen und erweitert unseren Horizont. Ihre literarische Stimme ist klar, stark und hat mich vollkommen für sich eingenommen und ich hoffe, dass sich noch viele Leser auf diese Reise einlassen werden – eine Reise in eine unbekannte Welt.
ISBN: 978-3-8321-6409-6
Verlag: Dumont
Erscheinungsjahr: 2017
Preis: 10,00 €
Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2016 ebenfalls bei Dumont erschienen.
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