Éric Vuillard: „Kongo“

Éric Vuillard: „Kongo“

Éric Vuillard hat eine ganz eigene, intensive Art, seinen Lesern Geschichte näherzubringen – und zwar so, dass sie hängenbleibt.
Der Beginn dieses schmalen Werkes ist das perfekte Beispiel:

“Die Franzosen langweilten sich, die Engländer langweilten sich, die Belgier, die Deutschen, die Portugiesen und viele andere Regierungen Europas langweilten sich zu Tode….”.
Und was macht man, wenn man sich langweilt? Genau, man sucht Zerstreuung. Im vorliegenden Fall organisiert man die “größte Schatzsuche aller Zeiten”, die Suche nach Rohstoffen.

Bismarck, ein Mann “ohne Kolonialerfahrung”, der “seinen Namen einem Heringsgericht geben sollte”, beruft sie 1884 ein, die Kongokonferenz, auf welcher die Handelsfreiheit im Kongo geregelt werden soll.
Das Abschlussdokument der Konferenz ist die Grundlage für die spätere Aufteilung Afrikas in Kolonien.

Éric Vuillard gelingt es,  das Treiben auf besagter Konferenz lebhaft zu schildern und uns nebenbei mit (scheinbar) Nebensächlichem zu füttern. Doch zumeist sind es ja genau diese Details, die sich im Gedächtnis festsetzen.
Zum Beispiel werde ich jetzt immer wissen, dass es Tische schon ausgesprochen früh in der Menschheitsgeschichte gab, doch das es sich um bewegliche Platten auf Böcken gehandelt hat. Erst in der Renaissance wurde er dann erschaffen: DER Tisch.
Was hat das jetzt mit der Kongokonferenz zu tun?
Nichts. Außer, dass dort ein Tisch steht, an dem wichtige Entscheidungen gefällt werden.

Die Konferenz findet übrigens im Palais Radziwill statt, dessen Park der Architekt Schinkel umgestaltet hat. Der Erzähler fügt hinzu, dass Schinkel ja schon viele Sachen entwarf, “aber Gott sei Dank haben die Griechen Schinkel und seinem Vorhaben eines Umbaus der Akropolis zum Königspalast […] nicht zugestimmt”. Da haben wir ja nochmal Glück gehabt.

Jedenfalls ist Bismarcks Palais gerade frisch renoviert und jetzt trudeln sie ein, die europäischen Herren.
Aber auch ein anderer Mann ist mit von der Partie und soll von seinen Kongo-Expeditionen berichten: Der Journalist und Afrikaforscher Henry Morton Stanley (den Königin Victoria übrigens gar nicht mag).
Stanley war es übrigens auch, der sich auf die Suche nach dem verschollenen Afrikaforscher und Missionar David Livingstone machte und bei dessen Auffinden die berühmten Worte “Dr. Livingstone, I presume?” aussprach.
Aber ich komme ins Plaudern.

Im Weiteren erfahren wir, dass Leopold (der König der Belgier) frustriert ist. Alle anderen konnten ihre Herrschaft ausdehnen. Nur er nicht. Er möchte aber endlich auch eine Kolonie, oder eine kleine Pazifikinsel besitzen. Irgendwas!!
Aber er ist einfach ein bisschen spät dran. Alle Länder scheinen verteilt zu sein, doch diese Konferenz öffnet ihm die Augen. Er will den Kongo. Ganz für sich allein. Koste es, was es wolle.

Von den grauenhaften Methoden, mit welchen das belgische Militär bzw. die belgische Handelsgesellschaft im Kongo vorgeht, berichtet unter anderem Joseph Conrad in seinem Werk “Herz der Finsternis”.
Und auch Éric Vuillard beschreibt sie: Die Körbe voll abgehackter Hände.

Als ich dieses Buch begann, dachte ich “108 Seiten – das hast Du schnell durch.”
Aber dem ist nicht so. Wenn man sich mit der Thematik des Kongos auskennt, vielleicht, aber dies war bei mir nicht der Fall.
Daher habe ich während des Lesens viel recherchiert (zumal Vuillard zwar bildreich berichtet, aber keine ausführlichen Hintergrundinformationen bietet), bzw. nachgelesen und bin vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen.
Da fängt man an sich zu fragen, was König Leopold (mit dem ich mich bisher noch nie befasst hatte) eigentlich so gemacht hat, kommt auf die Reisen des Forschers Henry Morton Stanley und landet zwangsläufig bei Daniel Livingston, dem Afrikaforscher und Missionar der zwei Jahre lang als verschollen galt.
Und das ist nur ein Beispiel.

Ich hätte ewig weiter recherchieren können, zumal ich die Thematik hochinteressant finde und ich mich nicht vor allzu langer Zeit während der Lektüre des Titels “Expeditionen eines englischen Gentleman” von Evelyn Waugh bereits mit der Geschichte Afrikas befasst habe.
Auch habe ich überlegt, ob ich David Van Reybroucks Buch “Kongo – Eine Geschichte”, das Spiegel Online als “Jahrhundertbuch” bezeichnet und das noch immer ungelesen im Regal steht, zur Hand nehme.
Nach dem Lesen dieses Werkes würde ich die Zusammenhänge bestimmt noch klarer sehen.
Allerdings ist dieses Buch sehr umfangreich, daher habe ich die Lektüre dann doch noch einmal verschoben und mich mit Vuillard, der es versteht den Leser mit sehr trockenen Einschüben zu unterhalten, und meiner Internetrecherche begnügt.
Aber irgendwann ist Reybroucks “Kongo” fällig, zumal mich die Thematik brennend interessiert.

Für sein Werk “Die Tagesordnung”, das sich mit Hitlers Weg zur Macht befasst, ist Éric Vuillard mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet worden. Mich hat dieses Buch vollkommen begeistert, es ist eines meiner Highlights des Jahres 2018.

“Kongo” ist von der Struktur her ähnlich, bildreich, spannend und sehr gut geschrieben.
Allerdings muss ich sagen, dass “Die Tagesordnung” für mich bisschen intensiver war.
Mit diesem Buch hat Vuillard die Messlatte aber auch extrem hoch gelegt.

Für einfach so mal Zwischendurch ist “Kongo” bestimmt nichts. Wer sich allerdings für Geschichte interessiert und nicht davor zurückscheut parallel zur Lektüre zu recherchieren, für den wird dieser schmale Band eine ungeheure Bereicherung sein.
Wie für mich.

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ISBN: 978-3-95757-678-1
Verlag: Matthes & Seitz
Erscheinungsjahr: 2018
Übersetzung: Nicola Denis
Seiten: 108
Preis: 10,00 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2015 ebenfalls bei Matthes & Seitz erschienen.


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4 thoughts on “Éric Vuillard: „Kongo“
Sabine Vogel

Toll, Danke für die Rezension. Und unbedingt Reybroucks “Kongo” lesen, das ist eine unfassbar spannende Reportage über unfassbare Geschichten.

    Friederike

    Vielen Dank. Reybrouck liegt schon parat :).

    Viele Grüße,
    Friederike

Jakub

Vuilliard war mir mit der melancholischen „Traurigkeit der Erde“ aufgefallen, doch mit „Tagesordnung“ und nun „Kongo“ verstand ich ihn erst richtig – wichtig war es, Joseph Conrad zu erwähnen, der mir als Jozef Korzeniowski auf den ersten, das Kapitel Leopold und Kongo behandelnden Seiten von Patrick Marhams „Schlangentanz: Reisen zu den Ursprüngen des Nuklearzeitalters“ in Vuillard’scher Art nahe gebracht wurde. Mit David Van Reybroucks werde ich den Kreis wohl erst richtig zu schließen vermögen. Danke für den Tipp.

    Friederike

    Sehr gerne. Dann werde ich wohl die „Traurigkeit der Erde“ nachholen müssen!
    Vielen Dank für den Hinweis.

    Viele Grüße,
    Friederike

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