Eigentlich sollte in Tschernowo keiner mehr leben. Nach dem Reaktorunglück drehen die Geigerzähler am Rad, wenn sie auch nur in die Nähe des Ortes kommen. Alles ist verstrahlt und die Insekten haben inzwischen überhand genommen, da es in der Gegend immer weniger Vögel gibt.
Aber Baba Dunja hat beschlossen zurückzukehren und an dem Ort weiter zu leben, der ihre Heimat ist.
Nach ihr sind noch mehrere Gleichgesinnte nach Tschernowo zurückgekommen. Die voluminöse Marja zum Beispiel, die früher doch so hübsch war, oder Petrow, der aus dem Krankenhaus geflohen ist und nach Tschernowo kam, um schnell und friedlich zu sterben.
Er ist ganz dünn geworden, da er nichts mehr essen möchte, um dem Krebs in seinem Körper Nahrung zu geben. Deshalb kümmert sich Baba Dunja um ihn, wie auch um die anderen Bewohner der Ortschaft.
Sie ist so etwas wie die “Gute Seele” des Dorfes und dass sie einmal Krankenschwester gewesen ist, kommt der ganzen Situation sehr zugute.
Allerdings sagt sie auch, dass ihre Arbeit sie gelehrt hat, dass Menschen immer nur das tun, was sie wollen. “Sie fragen nach Ratschlägen, aber eigentlich brauchen sie fremde Meinungen nicht. Aus jedem Satz filtern sie nur das heraus, was ihnen gefällt. Den Rest ignorieren sie.” Daher drängt sie sich keinem auf und hilft den Mitmenschen nur dann, wenn explizit danach gefragt wird.
Baba Dunja hat auch eine Tochter, Irina. Diese lebt in Deutschland, ist verheiratet und schickt Baba Dunja immer Briefe und Päckchen mit Dingen, von denen sie glaubt, dass ihre Mutter sie brauchen könne. Doch das Materielle ist für Baba Dunja nicht so wichtig, sie freut sich jedoch immer sehr über die Post und vor allem über Informationen über ihre Enkelin Laura, die sie selbst nie gesehen hat.
Das ist der Alltag in Tschernowo. Keiner hat Termine, alle haben Zeit und bis auf die Biologen in Strahlenschutzanzügen kommt niemand vorbei. Bis eines Tages ein Vater mit seiner kleinen Tochter auftaucht und die Ereignisse in Tschernowo sich von einem auf den anderen Tag drastisch ändern…
Ein neues Buch von Alina Bronsky ist für mich immer ein Ereignis. Ich mochte sie schon immer sehr gerne, aber seit sie in “Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche” (für dieses Buch war sie 2010 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises – leider hat sie ihn nicht bekommen, ich nehme einmal an, weil ihr Buch zu humoristisch war) ihren grandiosen zynischen und schwarzen Humor ausgepackt hat, bin ich ein richtiger Fan geworden.
Daher habe ich mich sehr gefreut, als ich hörte, dass sie ein neues Buch geschrieben hat und wurde nicht enttäuscht: “Baba Dunjas letzte Liebe” hat mich richtig begeistert.
Was ihr hier gelingt, ist, ihre beiden Schreibarten zu vermischen. Sie hat auf der einen Seite Geschichten geschrieben, die wunderbar komponiert sind, in denen viel Gefühl und Wahrheit liegt und in denen sie Emotionen ganz wahrhaftig beschreibt (“Scherbenpark” und “Nenn mich einfach Superheld”) und dann ist da dieser irrsinnig pointierte Humor, den sie in den “schärfsten Gerichten” auspackt.
Hier jedoch haben wir beides: Eine gefühlvolle Geschichte in die ich unbedingt weiter eintauchen wollte und Baba Dunjas sehr trockene Art und Weise die Dinge anzugehen und pragmatisch zu sehen. So sagt sie zum Beispiel, als sie sich über den Hahn ihrer Nachbarin aufregt: “Seine innere Uhr ist durcheinander, schon immer gewesen, aber ich glaube nicht, dass es mit der Strahlung zu tun hat. Man kann sie nicht für alles, was blöd zur Welt kommt, verantwortlich machen.”
So ist eben Baba Dunja und dafür, dass sie eben solche Figuren erfindet, liebe ich Alina Bronsky und freue mich sehr, dass „Baba Dunjas letzte Liebe“ in diesem Jahr auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht.
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Nina (Frau Hauptsachebunt) und Sophie von Literaturen haben „Baba Dunjas letzte Liebe“ übrigens ebenfalls gelesen.
ISBN: 978-3-462-05028-8
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr: 2017
Preis: 8,00 €
Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2015 ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
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