Über unsere Wünsche und Sehnsüchte, die wir im Leben haben, über unsere Ansprüche, die wir an Menschen stellen und über die Kommunikation in den Beziehungen der heutigen Zeit ist schon viel geschrieben worden.
Aber nicht in dieser Art und Weise: Verstörend, schonungslos – und, wie ich finde, irrsinnig gut.
Von klein auf hatte Ellie eine einzige Leidenschaft: Andere zu beißen. Nichts machte sie glücklicher.
Verzweifelt versuchten ihre Eltern ihr dieses befremdliche Verhalten abzugewöhnen: Sie sollte tief Luft holen, bis zehn zählen und dergleichen mehr. Sämtliche Versuche scheiterten.
Auch ein Behlohnungssystem für jeden Tag, an dem Ellie es schaffte niemanden zu beißen, schlug fehl.
Erst als ein anderes Mädchen im Kindergarten zu ihrem Vater laut sagte: “Das ist Ellie. Keiner mag sie. Sie beißt.”, schämte sich Ellie so sehr, dass sie zwanzig Jahre lang vom Beißen Abstand nahm.
Inzwischen arbeitet Ellie in einem Büro und hängt gerne ihren Tagträumen nach. In einem von ihnen spielt ihr Kollege Thomas eine Rolle bzw. eines seiner Körperteile: Seine Wade, an die sich Ellie auf allen Vieren heranschleicht und dann fest hinein beißt.
Als Ellie sich eines Tages dabei ertappt, wie sie Listen mit der Überschrift “Warum ich meinen Kollegen nicht beißen sollte” ( 1. Es ist falsch 2. Ich könnte Ärger bekommen) anfertigt, ist klar, dass so lange unterdrücktes Verlangen stärker ist, als die Vernunft…
Zugegeben, die Thematik dieser Story ist ungewöhnlich, doch genau das macht sie so faszinierend.
Zudem schlägt Kristen Roupenian einen Tonfall an, der schlichtweg brillant ist und man gar nicht anders kann, als weiterzulesen.
Obiger Abriss der Geschichte mit dem Titel “Beißerin” ist nur ein Beispiel für den unglaublichen Einfallsreichtum der amerikanischen Schriftstellerin.
Auf ganz engem Raum entlarvt sie die Beziehungen (bzw. die Partnersuche) unserer Zeit, indem sie zum Beispiel von einem jungen Mann erzählt, dessen einzige Kontakte zur Außenwelt aus Tinder-Dates bestehen und die manchmal auch aus dem Ruder laufen.
Natürlich treibt die Autorin die Situationen auf die Spitze, aber genau das macht den Reiz dieser Stories aus.
Zimperlich sollte man bei dieser Lektüre dieser zugegebenermaßen sehr speziellen Stories jedoch nicht sein. Sex und Gewalt (bzw. Gewaltphantasien) spielen eine große Rolle.
Zum Beispiel bei Ted, der sich beim Sex vorstellt, dass sein Penis ein Messer ist, an dem sich die Frau, mit der er gerade schläft aufschlitzt. Freiwillig wohlbemerkt.
Als die titelgebende Geschichte “Cat Person” 2017 im New Yorker” erschien, wurde sie tausendfach geteilt und war der Viralhit des Jahres.
In dieser Story geht es unter anderem darum, dass man in WhatsApp Nachrichten viel hineininterpretieren kann.
Andrea Diener (FAZ) hat sich mit dieser Geschichte näher beschäftigt.
Meine Lieblingsgeschichte jedoch ist eine andere. Sie heißt “Ein netter Typ” und es geht um den bereits oben erwähnten Ted, der keine feste Beziehung möchte.
Das den jeweiligen Frauen klarzumachen ist kein Problem. Seine Trennungen verlaufen immer reibungslos. Jedenfalls bis zu seinem dreißigsten Geburtstag.
Ab diesem Zeitpunkt nehmen seine Kurzzeitfreundinnen das, was er für das “finale Trennungsgespräch” hält, nicht mehr ernst und schicken ihm eine SMS nach der anderen. In diesen Nachrichten steht, dass sie ihn vermissen, nicht verstehen, was vorgefallen sein soll und noch einmal mit ihm reden wollen.
Heute zum Beispiel sitzt Ted mit Angela im Restaurant – und Angela versteht auch nicht, weshalb Ted sich von ihr trennen möchte, bzw. bereits getrennt hat.
Jetzt hat sie sich mit diesem Typen eingelassen, der wirklich froh sein kann mit ihr, einer erfolgreichen, schönen, eleganten Immobilienmaklerin zusammenzusein, obwohl sie für ihn einige (also EINIGE) Nummern zu groß ist und jetzt will er nichts mehr von ihr wissen?!
Das kann doch nicht sein!
Tja, doch, kann es und warum das so ist bzw. wie Ted so werden konnte und welche Rolle Anna (Anna TRAVIS, nicht Anna Hogan, sondern ANNA TRAVIS) in dieser Geschichte spielt, das lest ihr lieber selbst, denn die Sache ist hochkomplex. Das kann man nicht in einem Satz zusammenfassen.
Wenn man das könnte, wäre die Geschichte auch nicht so gut. Und das ist sie.
Kristen Roupenian brennt hier ein Feuerwerk ab, das ich als Mischung aus T.C. Boyle und Siri Hustvedt mit einer (großen) Prise Sex beschreiben würde.
Irre!
Mehr davon!
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ISBN: 978-3-7466-3729-7
Verlag: Aufbau
Erscheinungsjahr: 2020
Übersetzung: Nella Beljan, Friederike Schilbach
Seiten: 288
Preis: 12,00 €
Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2018 bei Blumenbar erschienen.
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4 thoughts on “Kristen Roupenian: “Cat Person””