In diesem Monat haben mich zwei Romane besonders begeistert. Beide Titel sind auf der Longlist des Deutschen Buchpreis 2024 und ohne diese Nominierung hätte ich sie wahrscheinlich niemals gelesen.
Da hätte ich wirklich etwas verpasst!
Stefanie Sargnagel: “Iowa”
Stefanie hat sich entschieden. Sie wird sich von ihrem superbequemen Sofa in Wien erheben, der Einladung eines College in den USA folgen und dort “Creative Writing” unterrichten.
Ob sie das so toll kann, weiß sie selbst nicht, aber ihre Künstler-Freundin Christiane (die ebenfalls mitkommen wird) hat gesagt: „Wenn alles nichts wird, dann spielst du Stadt-Land-Fluss mit lustigen Kategorien. Das geht immer.”
Außerdem meinte sie, Steffi solle ihrem Unterricht eine klare Struktur geben. Also einen Überblick, was in der Stunde so passiert und nicht aus heiterem Himmel sagen: “Jetzt ist der Unterricht aus! Tschüss.”
Was Stefanie natürlich trotzdem tun wird.
Das College liegt übrigens in Iowa und drum herum ist: Nichts. Also gar nichts.
Ein Auto haben sie auch nicht. Christiane ist den Tränen nah. Als auch noch der Fernsehapparat nicht funktioniert, schlägt sie die Hände über dem Kopf zusammen: “Das ist der schlimmste Tag in meinem Leben.”.
Ne, Christiane, der kommt noch.
Zum Beispiel beim Besuch einer “Haunted Barn” und beim endlosen Warten auf Steffi, die mit Hingabe Trash-Gegenstände in Krims-Krams-Läden bestaunt…und währenddessen Whatsapp-Anrufe von Christiane bekommt.
Dieses Buch hätte ich ohne seine Nominierung zum Deutschen Buchpreis 2024 niemals gelesen. Was hätte ich da verpasst!!
Stefanie Sargnagels Humor ist genau mein Ding! Super!
(Dass es “Iowa” nicht auf die Shortlist des oben genannten Preises geschafft hat, wundert mich aber nicht – dafür fand ich es viel zu lustig.)
Ruth-Marie Thomas: “Die schönste Version”
Jella hat ihrem Vater immer gesagt, er solle doch ein Hobbyzimmer aus ihrem ehemaligen Kinderzimmer machen.
Aber er hat nie etwas verändert. Ihre alten Poster hängen noch immer an den Wänden. Und sie selbst ist auch wieder da.
Der Grund für Jellas Rückkehr ist Yannick. Ihr Freund.
Aber hier handelt es sich nicht um eine Love-Story, in welcher die Protagonistin bemerkt, dass ihre Sandkastenfreundschaft ihre wahre Liebe ist und sie nun zusammen in Nostalgie schwelgen.
Yannick und sie haben zusammengelebt. Und viel gestritten. Obwohl…gestritten ist das falsche Wort. “Still gestritten” vielleicht.
Jella hat sich nie getraut, ihm zu sagen, wie sie etwas wirklich findet. Sie hat sich innerlich versteckt, immer in der Angst, etwas Falsches zu sagen. Seinen Ansprüchen nicht zu genügen. Und so etwas in ihm auszulösen.
Jetzt hat er sie gewürgt – und deshalb wohnt sie nun wieder in ihrem Kinderzimmer.
Mich hat dieser vielschichtige Roman sehr bewegt. Es geht Gewalt in der Beziehung, um Abhängigkeiten und darum, wie es ist, von einem anderen Menschen ständig abgewertet und verletzt zu werden. Einem Menschen, der sagt, dass er einen liebt.
Katie Henry: “Gideon Green – Das Leben ist nicht schwarz-weiß”
Er trägt einen Trenchcoat, was mit seiner Vorliebe für das Genre des “Film Noir” zusammenhängt.
Er hat fast alle Krimis, die in den 30er und 40er Jahren produziert wurden, gesehen – und in keinem dieser Filme geht jemand auf eine Highschool.
Warum muss er es dann?!
Aber egal, wie oft Gideon auch darum bittet, sein Vater weigert sich vehement, Gideon die Schule abbrechen zu lassen.
Was für eine Tragödie!
Außerdem möchte er, dass Gideon nicht immer in seinem Zimmer sitzt, sondern auch mal raus geht. Wenn er sich bis Dienstag keine Beschäftigung gesucht hat, wird er ihn mit in sein Restaurant nehmen, um kleine Dinge zu erledigen. Möhren schälen zum Beispiel. Oder Servietten falten.
Also Jobs ohne Menschen, denn diese missverstehen Gideon oft, zumal er Dinge wörtlich nimmt und z.B. den Sinn rhetorischer Fragen absolut nicht nachvollziehen kann. Er sagt immer das, was er wirklich denkt.
Zwischen seinen Gedanken und seinen Aussagen ist keinerlei Filter – und das kommt bei anderen des Öfteren nicht so gut an.
Per Zufall kommt Gideon an einen Job bei der Schülerzeitung und erfährt von Vorfällen in der Stadt, denen er auf den Grund gehen wird….Dieses Buch ist im letzten Jahr erschienen und ich habe es vollkommen ignoriert. Das lag sowohl am Cover als auch am Klappentext. Ein “jugendlicher Detektiv” und “Film Noir” interessierte mich überhaupt nicht.
Meine Aufmerksamkeit bekam dieser Titel, weil er in der “10-Jahre-Magellan”- Jubiläumsedition (Lieblingstitel des Verlags in sehr minimalistischer Aufmachung) als Taschenbuch erschienen ist. Genauso wie eines meiner Lieblingsbücher “Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer“.
Deshalb dachte ich: Dann lese ich doch mal rein.
Und siehe da, ich konnte es nicht mehr zur Seite legen.
Dieses Buch ist eigentlich gar “richtige” Detektivgeschichte und auch der “Film Noir” ist nur ein Aufhänger. Es geht darum, dass jeder Mensch anders ist und wie wichtig es ist, miteinander zu reden, wenn man den anderen nicht versteht, bzw. seine Aussagen/ sein Handeln nicht nachvollziehen kann.
Darum, dass es im Leben nicht nur Schwarz und Weiß ist, sondern dass es viele Töne dazwischen gibt. Und dass es wichtig ist, die Wahrheit zu sagen.
Aber dass es nicht nur auf den Inhalt der Aussage ankommt, sondern auch darum, WIE man etwas sagt.
Maja Konrad: “Holly, Herbert und die Fleischfresserpflanze”
Holly hat viele Stärken. Rechnen aber gehört nicht dazu.
Jetzt hat ihr Lehrer auch noch eine Rechenolympiade angekündigt! So ein Mist!!!!
Per Zufall (oder war es Vorsehung?!) kommt Holly in den Besitz einer fleischfressenden Pflanze – und noch zufälliger findet sie heraus, dass diese Pflanze nicht nur sprechen kann, sondern auch noch super in Mathematik ist!
Nun muss sie die Pflanze (Herrn Pula) nur noch mit ins Klassenzimmer nehmen und die Rechenolympiade ist geritzt!!
Tja…einfacher gesagt, als getan…denn auch eine fleischfressende Pflanze hat ihre schwachen Momente…
Was für eine tolle Idee! Eine vegetarische fleischfressende Pflanze, die ein Matheass ist und supergerne kocht! (Also theoretisch. Sie hat bei ihrem Vorbesitzer viele Kochbücher gelesen…an der Praxis arbeiten wir noch.)
Da muss man erstmal drauf kommen!
(Obwohl…ich erinnere mich daran, dass ich letztes Jahr mal eine fleischfressende Pflanze gezeichnet habe, die Käse isst. Und eine, die sich die Zähne putzt :). )
Ein tolles, einfallreiches Leseabenteuer ab 8 Jahren.
Jessica Lind: “Kleine Monster”
Pia und Jakob sitzen auf kleinen Stühlen in einem Klassenzimmer der Grundschule. Die Lehrerin ihres Sohns Luca möchte mit ihnen reden.
Nach ein paar Sätzen denkt Jakob, dass er irgendetwas nicht richtig verstanden hat. Luca würde sich doch nie einem Mädchen gegenüber so verhalten. Er ist ein kluges und sensibles Kind! Außerdem hat Jacob doch ganz viele Erziehungsratgeber gelesen. Das wird sich alles schnell aufklären.
Pia aber beginnt nach dem Gespräch genauer hinzuschauen. Und sie merkt, dass sie ihren Sohn nicht wirklich gut kennt. Bzw. ihn ganz anders eingeschätzt hat.
Oder vielleicht nicht wahrhaben wollte, dass Luca mehr nach ihr kommt, als ihr lieb ist…
Der Verlag hat diesen Roman als “feinsinnigen Pageturner” und “perfekte Sommerlektüre” beworben.
Nunja. Dem kann ich leider nicht zustimmen. Ein Pageturner ist für ein spannendes Buch, das ich am liebsten in einem Rutsch lesen würde.
Unter “Sommerlektüre” verstehe ich ein Buch, das (auch thematisch) etwas leichter ist und einen nicht runterzieht oder traurig macht.
In “Kleine Monster” geht es um ein extrem tragisches Erlebnis in der Kindheit der Protagonistin, das ihr ganzes Dasein nach wie vor belastet. Besonders die Beziehung zu ihrem Sohn, weil sie in ihm Dinge sieht (bzw. hineininterpretiert), die sie selbst erlebt hat bzw. an sich selbst erkennt.
Ohne Frage “ Kleine Monster” ist gut geschrieben, jedoch hatte ich mir unter diesem Titel etwas anders vorgestellt. Etwas Greifbareres. Außerdem hatte ich von diesem Roman irgendwie mehr erwartet.
Meiner Ansicht nach sind der Klappentext, sowie die Schlagworte, mit denen das Buch beworben wird, irreführend. Aber wie immer ist das Ansichtssache.
Nora Bossong: “Reichskanzlerplatz”
Hans ist in seinen Mitschüler Hellmut verliebt. So weit so gut….nein. Eben nicht.
Denn wir befinden uns in den 30er Jahren. Nichts ist gut.
Hans´ Vater hat im 1. Weltkrieg drei Finger verloren – und noch viel mehr.
Er ist enttäuscht, dass sich die neue Regierung nicht für ihn als Veteranen und Strategen interessiert und versucht dies zu verbergen. Was ihm nicht gelingt.
Bei Hans Zu Hause regiert die Schwermut.
Bei Hellmut Quandt ist dies anders: Sein vielbeschäftigter Vater hat wieder geheiratet. Magda, eine junge Frau, die gerade mal sieben Jahre älter ist als ihr Stiefsohn. Eine junge Frau, die in der Ehe nicht wirklich glücklich ist.
Hans verliebt sich in Hellmuth – und Hellmuth in Magda. Magda, die wenige Jahre darauf Joseph Goebbels heiraten wird.
Den ersten Teil des Romans fand ich schlichtweg großartig. Die Vergleiche, die Sprache: So gut! Besonders die Art und Weise in welcher die Gefühlswelt des Protagonisten beschrieben ist, fand ich toll.
Tja. Und dann kam der zweite Teil. Ich habe vollkommen den Faden verloren und irgendwann habe ich nur noch gedacht: Hätte Nora Bossong diesen Roman doch nur nach dem ersten Teil beendet.
Des Weiteren hat mich die irreführende Werbung für das Buch gestört. „Reichskanzlerplatz“ wurde vom Verlag als “intensives Porträt der Frau, die Magda Goebbels wurde” angekündigt und beworben.
Das stimmt nämlich meines Erachtens nach nicht. Die Figur der Magda bleibt total unscharf. Das, was wir über sie erfahren, sind Mutmaßungen anderer Figuren.
Schade!
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