Sally Rooney: „Gespräche mit Freunden“

Sally Rooney: „Gespräche mit Freunden“

Kaum zu glauben, dass dieses Buch ein Debütroman ist. Toll!

Als extrovertiert kann man Frances nicht bezeichnen. Sie ist 21 Jahre alt, studiert in Dublin, macht gerade ein Praktikum in einer Literaturagentur und schreibt Gedichte, die sie zusammen mit ihrer Freundin Bobbi bei Spoken-Word-Veranstaltungen aufführt.
Wobei die hinreißende, kluge und einfach schöne Bobbi die Hauptinterpretin auf der Bühne ist.
Dass Frances selbst nicht im Mittelpunkt steht, macht ihr jedoch nichts aus. Es ist okay, so, wie es ist.

Allerdings stellt sie sich oft vor, wie es wäre, wenn sie Bobbis Gesicht hätte, denn dann würden alle Menschen sie lieber mögen, als Bobbi.
Bobbi selbst ist extrem direkt und sprich das aus, was sie denkt. Zum Beispiel sagte sie einmal über Frances, dass sie “keine echte Persönlichkeit” besitze und fügte hinzu, dass Frances dies als Kompliment auffassen solle.
Je nun….

Die beiden jungen Frauen waren einmal ein Paar, doch irgendwann hat Bobbi mit Frances Schluss gemacht. Frances Bewunderung für ihre Freundin hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Sie wäre auch gerne so wortgewandt.

Als die 15 Jahre ältere Journalistin Melissa auf Bobbi und Frances zukommt, weil sie einen Artikel über das Duo veröffentlichen möchte, ist sie zunächst enttäuscht, als sie hört, dass Frances alleine die Texte schreibt.
Für sie wäre es viel interessanter gewesen, einen Entstehungsprozess mit zwei Beteiligten zu verfolgen.
Doch da ist es schon zu spät, sie hat den Artikel bereits fest zugesagt.

Nun hält sie Wort und lädt die beiden zu sich nach Hause ein. Dort kommt es auch zur Begegnung mit Melissas Ehemann Nick, einem bekannten, attraktiven und sehr zurückhaltenden Schauspieler.
Bobbi ist fest davon überzeugt, dass Melissa und er in ihrer Ehe nicht glücklich sind. Vielleicht entspringt dies reinem Wunschdenken (Melissa gesteht Frances gleich beim zweiten Aufeinandertreffen mit dem Ehepaar, dass sie sich in Melissa verliebt hat), vielleicht stimmt es aber auch.

Jedenfalls flirtet Bobbi mit Melissa, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass Nick ebenfalls am Tisch sitzt. Nick jedoch scheint dies gar nichts auszumachen.
Frances hingegen beginnt sich für Nick zu interessieren und dann wird die Sache kompliziert…

Sally Rooney schreibt in diesem Roman über vier Personen die nicht wissen, was sie wollen, viel ausprobieren, Toleranz voneinander erwarten, aber es letzten Endes nicht schaffen, diese Toleranz auch selbst zu leben.
Oder etwas von einem Menschen erwarten, von dem sie eigentlich tief im Inneren wissen, dass dieser ihnen dieses Etwas niemals geben wird.

Jeder hält einen anderen aus der Gruppe für den wichtigsten Menschen im eigenen Leben, erwartet vollkommene Offenheit und hat jedoch gleichzeitig Geheimnisse vor ihm bzw. ihr.
Nehmen wir zum Beispiel Nick, der optisch sehr begehrenswert ist, jedoch mit vielen anderen Problemen zu kämpfen hat, die er allerdings für sich behält.
Eine Affäre hatte er während seiner Ehe mit Melissa nicht, jedoch hat eben jene Ehe so einige Affären überlebt – nur war Nick nie daran beteiligt.
Sprich: Melissa ist fremdgegangen – und hat es Nick persönlich erzählt.
Ob Nick sich in diesem Fall jene oben erwähnte Offenheit gewünscht hat, steht auf einem anderen Blatt.

Aus dem anfänglichen schriftlichen Geplänkel zwischen Frances und Nick entsteht schließlich eine sexuelle Beziehung, wobei Frances zum ersten Mal mit einem Mann schläft. Dies ist der Punkt im Roman, der mir nicht wirklich glaubwürdig erscheint.
Diese Aktion passt irgendwie nicht zu Frances. Aber da dies mein einziger Kritikpunkt ist, kann ich darüber hinwegsehen.

In diesem Buch geht es vor allem um die Differenz zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung.
Allen voran ist da Frances, die sich sehr viele Gedanken macht und sich zum Beispiel fragt, warum wir bei manchen Menschen bestimmte Gesprächsthemen anschneiden und bei manchen nicht – und das obwohl wir wissen, dass beide sehr gute Zuhörer sind.
Wo genau beginnt Vertrauen? Ist die Bezeichnung “emotionslos” wirklich eine Eigenschaft? Glaubt man selbst, dass andere emotional sind, nur weil man selbst emotional ist?

Spannend sind auch Frances´ Erwartungen an ihr Zusammensein mit Nick, der ihr zum Beispiel niemals Komplimente macht, obwohl er einmal sagte, wie schön es sei, wenn er selbst Komplimente bekomme.
Er küsst Frances zum Beispiel auch nicht spontan und beim Oralverkehr müht sie sich ab, während er still daliegt und Frances sich danach fühlt, als habe sie ihn zu etwas gezwungen, was keinem von beiden Spaß gemacht habe.

Von ihm kommt nie etwas zurück, kein “Ich will Dich auch” oder etwas in dieser Art und Frances wird klar, dass er wohl nie irgendwelche beruhigende Worte hinsichtlich ihrer Beziehung äußern wird.
Möchte er vielleicht Melissa einfach eifersüchtig machen, da sie sich augenscheinlich nicht mehr wirklich für ihn interessiert?
Aber kann ihm dies überhaupt gelingen? Wir werden nicht schlau aus ihm, denn er verhält sich sehr widersprüchlich. Oder egoistisch. Je nachdem, wie man es ausdrücken möchte.

Melissa ist eine erfolgreiche, selbstbewusste Frau, die alles hat.
Nach außen hin sind Nick und sie ein Power-Paar, das die perfekte Beziehung lebt.
Das ein wunderschönes Haus hat, auf das Frances insgeheim ein bisschen neidisch ist. So möchte sie insgeheim auch gerne leben.
Äußern kann sie dies jedoch nicht, denn damit würde sie Bobbi provozieren, die auf diese Art zu leben herab blickt. Und Bobbi zu provozieren ist keine gute Idee.

Bobbi ist äußerst sprachgewandt, provoziert andere sehr gerne und treibt sie verbal in die Ecke. Verletzlichkeit ist das letzte Wort, dass Frances mit ihrer Freundin in Verbindung bringen würde.
Deshalb ist sie auch ungeheuer verblüfft, als sich herausstellt, dass Bobbi, obwohl sie behauptet nicht eifersüchtig auf Frances´Verhältnis mit Nick zu sein, doch verletzt ist.
Verletzt darüber, dass Frances Nick wichtiger zu sein scheint, als die Freundschaft mit Bobbi.
Dass es in ihrer Macht steht, der selbstbewussten Bobbi weh zu tun, hätte sie niemals für möglich gehalten.

Frances hat die Neigung dazu, ihr eigenes Licht unter den Scheffel zu stellen. Sie bewundert die anderen, die viel klüger zu sein scheinen, als sie selbst und nimmt sich vor sich weiterzubilden und irgendwann so klug zu sein, dass niemand sie mehr versteht.
Das sind die Gedanken, für die ich dieses Buch sehr liebe. Ein Buch, das durch seine Dialoge lebt, die um menschliche Beziehungen und deren vielfältige Spielarten kreisen, aber keine Lösungsansätze, bzw. “Betriebsanleitungen” für den Umgang mit anderen Menschen und bieten.

Das ist allerdings etwas, das weder dieser, noch ein anderer Roman leisten kann, denn es geht hier um um Menschen und um Gefühle.
Gefühle, die man nicht erklären kann. Jeder Mensch ist anders, jeder denkt anders und keiner kann in den anderen hineinschauen.

Was Literatur aber kann, ist genau das aufzuzeigen – und eben dies gelingt Sally Rooney in ihrem Roman.
Sie zeigt, wie kompliziert das Leben ist, verleiht den widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen, die wir in uns tragen Ausdruck und packt sie in kluge Wortgefechte, die ich sehr genossen habe.
Diese Dialoge sind es, die diesen Roman so besonders machen – diese “Gespräche mit Freunden”.

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ISBN: 978-3-630-87541-5
Verlag: Luchterhand
Erscheinungsjahr: 2019
Übersetzung: Zoë Beck
Seiten: 384
Preis: 20,00 €


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