T. Christian Miller & Ken Armstrong: “Falschaussage – Eine wahre Geschichte”

T. Christian Miller & Ken Armstrong: “Falschaussage – Eine wahre Geschichte”

Brillant recherchiert und preisgekrönt.

Marie ist 18 Jahre alt, als sie im Jahr 2008 nachts aufwacht und spürt, dass da etwas an ihrem Hals ist. Ein Messer. Wenn sie sich ruhig verhält, wird ihr nichts geschehen, sagt der ganz in schwarz gekleidete Mann, der es an ihre Kehle hält und sie in den folgenden Stunden immer wieder vergewaltigt.
Am nächsten Tag geht Marie zur Polizei und erstattet Anzeige.

Insgesamt fünf Mal muss sie detailliert von den Vergewaltigungen berichten, denn ihre Schilderungen unterscheiden sich in kleinen Details. Bei den Polizisten kommen leise Zweifel auf.

Des Weiteren erhält die Polizei einen Anruf, dass es sein könnte, dass Marie das Ganze erfunden habe, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Der Anrufer möchte anonym bleiben.

Maries hatte bisher kein einfaches Leben. 18 Jahre lang wurde sie von Pflegefamilie zu Pflegefamilie weitergereicht.
Die Wohnung, in der sie jetzt lebt, ist ihr erstes eigenes Zuhause. Es ist ihr von einer Organisation vermittelt worden ist, die Pflegekindern den Übergang in die Selbständigkeit erleichtert.
Auch die Leiter der Organisation glauben Maries Geschichte nicht und drohen ihr, die Unterstützung wegzunehmen, falls sie ihre Aussage nicht zurücknimmt.
Marie hat Angst, das Wenige, das sie hat, zu verlieren und sagt, dass sie gelogen habe.
Es gäbe keinen Vergewaltiger und niemand in der Gegend müsse Angst haben.

Im Januar 2011 wacht die Austauschstudentin Amber nachts auf. In ihrem Zimmer steht ein ganz in schwarz gekleideter Mann. In der Hand hat er eine Pistole…

Wer jetzt glaubt, es handelt sich bei diesem Buch um einen reißerischen Text, der täuscht sich. Was hier vor uns liegt ist zum einen ein brillant recherchiert Bericht, der die Suche nach einem Serienvergewaltiger schildert.
Zum anderen erfahren wir unglaublich viel über über das Thema Vergewaltigung in der Rechtsgeschichte und über verschiedene Ermittlungstechniken und Verhörmethoden.

Zum Beispiel über die “Reid-Methode”, die 1962 in den USA entwickelt worden ist. Das Ziel dieser Methode ist, ein Geständnis zu bekommen.
Diese Verhörmethode wurde von den beiden Polizisten, die Marie verhörten, als sie ein zweites Mal zur Polizei ging angewendet. Denn Marie hatte beschlossen, ihre Aussage, dass sie gelogen habe, zu widerrufen.

Die “Reid-Methode” besteht aus drei Phasen. In der ersten Phase wird anhand von standardisierten Fragen versucht, den zu Verhörenden zu provozieren und sowohl psychische, als auch körperliche Reaktionen zu entlocken.
Diese Reaktionen werden anschließend nach einem Schema analysiert.
Ist man sich einig, dass eine Tatbeteiligung wahrscheinlich ist, wird zu Phase zwei übergegangen, der eigentlichen Vernehmung, die in neun Stufen unterteilt ist.

Eine Stufe besteht darin, dem Verdächtigen zu sagen, dass man unwiderlegbare Beweise gegen ihn habe und man ihm jetzt die Gelegenheit gebe, alles zu erklären.
In einer anderen Stufe hingegen soll man den Verdächtigen davon abhalten die Tat zu leugnen. Denn je öfter der Verdächtige laut der Reid-Methode “Ich war es nicht!” sagt, desto schwieriger wird es sein, ein Geständnis von ihm zu bekommen.
Deshalb müsse man ihn daran hindern.

In Europa wird die Reid-Methode stark kritisiert und ist in mehreren Ländern verboten, zumal sie zu einer hohen Rate falscher Geständnisse führt. In Deutschland verstößt sie gegen die Strafprozessordnung (§136a.)
(Wer mehr über die Reid-Methode wissen möchte, oder über die Alternativ-Methode PEACE, die von britischen Polizisten entwickelt worden ist, der klicke hier. )

Das zu erfahren, fand ich hochinteressant. Genauso, wie die Sache mit der DNA Datenbank des FBIs das “Combined DNA Index System” kurz CODIS.
Ich dachte ja immer (zugegebenermaßen vollkommen naiv), wenn man DNA Tatort gefunden hat, gibt man diese in diese in eine DNA-Datenbank ein und dann bekommt man ein Ergebnis ausgespuckt.
Seit der Lektüre von “Falschaussage” weiß ich, dass das so nicht funktioniert.

Die Proben, die ins System eingespeist werden dürfen, werden unter kontrollierten Bedingungen entnommen. Zum Beispiel wird einem Verdächtigen ein Abstrich vom Wangeninneren entnommen, wenn er inhaftiert wird. Diese Probe wird dann zerlegt, sodass sie wie eine Art Barcode aussieht. Dieser “Barcode” wird vom FBI aber nur akzeptiert, “wenn es genetisches Material von 13 verschiedenen Stellen – oder Loci – der betreffenden DNA enthält.”
Soweit so gut.

Das Problem besteht allerdings darin, dass das FBI nur DNA Proben zum Vergleich mit seiner Datenbank zulässt, die genetisches Material von genau diesen 13 Stellen enthalten.
Wenn eine Probe von einem Tatort genommen wird und zu Beispiel nur acht oder elf dieser Stellen (oder Loci) enthält, lehnt das FBI diese Probe ab. Sie wird nicht mit den Daten im System verglichen.

Genau das passiert auch den ermittelnden Polizistinnen und Polizisten in “Falschaussage”. Ihre Proben beinhalten nicht die geforderten 13 Stellen. Der Täter ist extrem vorsichtig.
Zum Beispiel befiehlt er seinen Opfern nach der Tat 20 Minuten lang zu duschen, um mögliche DNA-Spuren zu vernichten.

Wie die beiden Ermittlerinnen ihm dann doch auf die Spur kommen, ist hochinteressant und zeigt, wie wichtig der Austausch von Ermittlungsergebnissen, die Zusammenarbeit verschiedener Stellen und Kommunikation generell ist.
“Falschaussage” ist hochinteressantes, spannendes und leider wahres Buch, das meiner Ansicht nach vollkommen zu Recht mit dem Pulitzer-Prize ausgezeichnet worden ist.

» zur Leseprobe*


ISBN: 978-3-442-71625-8
Verlag: btb
Erscheinungsjahr: 2019
Übersetzung: Henning Dedekind
Seiten: 352
Preis: 12,00 €


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2 thoughts on “T. Christian Miller & Ken Armstrong: “Falschaussage – Eine wahre Geschichte”
Katharina

Das hört sich ja wahnsinnig spannend an!

Friederike

Ja, das ist es auch. Und hochinteressant! 🙂

Viele Grüße und bis bald,
Friederike

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