Henry James: “Eine Dame von Welt”

Henry James: “Eine Dame von Welt”

In den Werken von Henry James kann ich vollkommen versinken. Er hat mich noch nie enttäuscht – jeder seiner Romane war etwas ganz Besonderes.

Was mich an “Eine Dame von Welt” besonders gereizt hat, ist, dass diese Erzählung ein Spiegelstück zu seiner Novelle “Daisy Miller”, die ich sehr gerne gelesen habe, ist.
Daher war ich nun sehr gespannt, denn in “Daisy Miller” kommen die Amerikaner (beziehungsweise eine bestimmte Amerikanerin, nämlich Daisy Miller selbst) gar nicht gut weg. Wer ist sie nun, diese andere Dame, diese “Dame von Welt”?

Wir lernen sie zunächst eher indirekt kennen. Während eines Besuchs des Théatre-Francaise in Paris späht der Amerikaner Mr. Waterville durch sein Opernglas und entdeckt eine schöne Dame im Publikum, die seinem Landsmann und Begleiter Mr. Littlemore nicht unbekannt ist.

Er kennt sie aus seiner Zeit in San Diego und hatte bisher nichts davon vernommen, dass sie in Europa weile, was darauf deuten lässt, dass ihr Dasein von der hiesigen Gesellschaft bisher ignoriert worden ist.
Kein gutes Zeichen und auch die Tatsache, dass Littlemore die Dame, die mit Vornamen Nancy heißt, nicht mit ihrem Nachnamen anzusprechen wagt, weist nicht gerade auf ihre Ehrbarkeit hin.
Das liegt daran, dass sie schon mindestens fünf Mal verheiratet war und wieder geschieden worden ist. Da kann sich niemand sicher sein, welcher Nachname noch aktuell ist.
Damit erübrigt sich wohl auch Watervilles Frage, ob die Dame, die sich inzwischen übrigens als Mrs. Headway herausgestellt hat, ehrbar sei. Dennoch ist er von ihr fasziniert.

Allerdings ist Mrs. Headway, deren aktueller Gatte übrigens verstorben ist, nicht alleine im Theater. Sie ist in Begleitung des eher stillen Briten Sir Arthur Demesne unterwegs, der einige Jahre jünger ist als sie und ebenfalls sehr angetan von der ungewöhnlichen Art Mrs. Headways zu sein scheint.
Sie ist anders als die europäischen Damen, denn sie ist weder zurückhaltend, noch leise, sondern sehr direkt und umspielt ihre Ansichten nicht. Zum Beispiel gibt sie unumwunden auf die Frage, ob sie Voltaire lese zu, dass sie das nicht tue, sich seine gesammelten Werke jedoch gekauft habe. Wobei sich allerdings herausstellt, dass sie von den 150 Bänden gerade einmal zwei besitzt.
Dass sie ihre Wünsche sehr direkt äußert, erfährt Mr. Littlemore in einem kurz darauf folgenden Gespräch als sie sagt: “Ich möchte in die vornehme Gesellschaft eingeführt werden. Das ist mein Ziel!”.

In Amerika ist ihr genau das leider nicht gelungen. Im Umkreis ihres kleinen Heimatortes ja, aber in New York nicht. Die Männer lagen ihr stets zu Füßen, von den Damen jedoch wurde sie geschnitten.
Das möchte sie nun in Europa ändern, ihrer Vergangenheit zum Trotz. Und dafür braucht sie Mr. Littlemore, der an den richtigen Stellen ein gutes Wort über sie verliert. Besonders bei der Mutter von Arthur Demesne, die nicht wünscht, dass ihr Sohn einen solchen Umgang pflegt.

Was Mrs. Headway und Daisy Miller gemeinsam haben ist, dass beide alleinstehende Amerikanerinnen sind, die sich in Europa befinden.
Da enden allerdings die Überschneidungen auch schon, denn sie verhalten sich vollkommen gegensätzlich. Während Mrs. Headway mit ihrem Besuch in Europa ein Ziel verfolgt, nämlich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden, ist Daisy Miller die Gesellschaft und die Etikette vollkommen egal.
Sie ist zum reinen Vergnügen in Europa und schert sich überhaupt nicht darum, was andere von ihr denken. Sie schäkert mit jedem dahergelaufenen Mann und verschafft sich dadurch einen schlechten Ruf.

Mrs. Headway ist jedoch in ihrem Tun stets bemüht, dass ihr Ruf untadelig bleibt, was angesichts ihrer vielen Heiraten und Scheidungen in der Vergangenheit jedoch sehr schwierig ist.
Ob sie sich gegen sie eventuelle Schwiegermutter in spe durchsetzen kann? Man wird sehen….

Was “Eine Dame von Welt” erneut beweist ist, dass Henry James ein unglaublich feinsinniger Schriftsteller und Meister der indirekten Charakterisierung ist.
Mrs. Headway selbst kommt kaum zu Wort, wir lernen sie durch die Meinungen und Eindrücke anderer Leute dennoch aufs Beste kennen.

Ich habe ihr sehr gewünscht, dass sie in der Gesellschaft ankommt, wurde jedoch Zeuge ihrer sehr ungestümen und manchmal auch unberechtigt arroganten Art, zum Beispiel als sie sich weigert eine bestimmt Dame höheren gesellschaftlichen Ranges aufzusuchen. Diese solle doch einfach zu ihr kommen, damit die Damen in Amerika davon hören würden, von welch hohen Damen sie in Europa Besuch erhält. Als Rache sozusagen dafür, dass man sie in New York provinziell fand und ignorierte.

Ich hatte sehr ambivalente Gefühle Mrs. Headway gegenüber, denn einerseits tat sie mir Leid, andererseits dachte ich auch, dass sie sich vielleicht etwas zurückhalten und Mr. Littlemore nicht so drängen sollte, gut über sie zu sprechen und ihn so in einen Zwiespalt zu bringen.
Betrachtet man nur Mrs. Headway, so kommen die Amerikaner auch in dieser Erzählung nicht gut weg. Allerdings behandelt Henry James seine anderen amerikanischen Figuren etwas wohlwollender. Aber nur etwas, denn über Mr. Littlemore lässt er verlauten, dass dieser mit dreißig noch keine nützlichen Künste erlernt habe, es sei denn, man lasse die Gleichgültigkeit als große Kunst gelten.
Littlemores Lieblingsbeschäftigung ist das Nichtstun und das Aufhalten in Cafés. Zu Reichtum ist er eher zufällig gekommen. Er hatte einfach Glück und eine hoffnungslose Silbermine verwandelte sich in eine Goldgrube.
Er selbst hat dazu nichts beigetragen.

Lediglich der zweitrangige, vielleicht etwas naive Diplomat Waterville ist eine Art Sympathieträger, der niemals etwas Böses über Mrs. Headway verlauten lassen würde, zumal er von ihr fasziniert und sehr zugetan ist.
Aber das sind viele Männer und es sind die Damen der Gesellschaft, auf die Mrs. Headway abzielt, denn jene sind es, die hinter ihrem Rücken über sie herziehen. In Amerika, als auch in Europa. Ob es ihr gelingt, diese verstummen zu lassen? Man wird sehen.

Für mich ist diese Erzählung ein weiterer Beweis dafür, was für ein großartiger Schriftsteller Henry James ist. Jedes Buch das ich bisher zur Hand genommen habe, hat mich begeistert. “Eine Dame von Welt” macht da keine Ausnahme.

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ISBN: 978-3-351-03634-8
Erscheinungsjahr: 2016
Übersetzung: Alexander Pechmann
Seiten: 176
Verlag: Aufbau
Preis: 16,95 €


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4 thoughts on “Henry James: “Eine Dame von Welt”
Isabella Arcucci

Danke für diesen schönen Tipp! Steht nun auf meiner Liste. Als ich klein war ermahnte mich meine Mama bei jeder Gelegenheit (Schmatzen, mit vollem Mund sprechen, Nase bohren…) „Aber Du willst doch mal eine Dame von Welt werden!“ Ob ich das wirklich wollte, da war ich mir nicht so sicher (und ob ich es jetzt letztendlich geworden bin….???) Aber ich stellte mir damals die Dame von Welt immer sehr blass vor und in einem langen, schwarzen Jahrhundertwende-Kleid. Also ungefähr so wie die auf dem Buchdeckel 🙂

Friederike

Liebe Isabella,

es freut mich, dass ich Dich neugierig auf Henry James machen konnte, denn für mich ist er ein besonders faszinierender Autor und ohne meinen Kollegen Oskar hätte ich wohl nie zu einem seiner Bücher gegriffen.
Da Du ja einen besonderen Bezug zum Buch hast wünsche ich die auch eine besonders schöne Lektüre :).

Viele Grüße,
Friederike

Eva Jancak

Das Buch habe ich auch gelesen, war aber nicht so begeister, vor allem konnte ich an der Heldin nicht sehr viel Positives finden und warum ein jetzt auf einmal einen so großen Henry James Boom gibt, überall werden Bücher von ihm aufgelegt, ist mir eigentlich auch nicht so klar https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/02/21/eine-dame-von-welt/

Pingback: Sonntagsleser – März 2016 #KW10 / 11 im Lese-Leuchtturm

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