Tana French: „Der Sucher“

Tana French: „Der Sucher“

Seit einiger Zeit spürt Cal, dass er beobachtet wird. Kein Wunder, denn sein “Nacken wurde fünfundzwanzig Jahre lang bei der Polizei von Chicago ausgebildet”.
Eigentlich hatte er gedacht, dies hinter sich gelassen zu haben. Aber es scheint wohl so zu sein: Einmal Cop, immer Cop.
Vielleicht hatten seine ehemaligen Kollegen mit diesem Spruch, den er nicht mehr hören konnte (wie so vieles mehr), doch recht.
Na ja, egal.

Wahrscheinlich sind es die Kinder aus dem Dorf, die sich den neu Zugezogenen mal genauer anschauen wollen. Die werden bald genug davon haben, denn Cals Leben ist alles andere als spannend.
Er steht auf, brät sich Frühstückseier und renoviert das kleine Häuschen, das er sich hier in Irland gekauft hat. Mehr passiert nicht. Und Cal ist sehr froh darüber.

Er hat nämlich vom Polizistendasein in der Großstadt die Schnauze gestrichen voll. Am Anfang war es ja ok, doch in den letzten Jahren sind alle nur noch wütend gewesen. Deshalb ist er sich frühzeitig pensionieren lassen. Mit achtundvierzig.

Dass er ein Ex-Cop ist, hat er in seiner neuen Heimat, einem kleinen irischen Dorf, das ab vom Schuss liegt, niemandem erzählt. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, dass man diese Information besser für sich behält.
Tja, diese Vorsichtsmaßnahme hat nur nichts gebracht. Irgendwie haben sie es herausgefunden. “Sie”, das sind zum einen sein neuer Nachbar Mart, der sehr gerne redet, die Leute im Pub – ja und derjenige, der Cal seit einiger Zeit heimlich zu beobachten scheint.
Jemand, der ein besonderes Anliegen hat….

Vor ca. zehn Jahren habe ich Tana Frenchs “Totengleich”* gelesen. Seitdem bin ich ein Fan der irischen Autorin. Zum einen, weil ihre Bücher sehr spannend und atmosphärisch sind.
Zum anderen liegt es daran, dass sie tief in die Gefühlswelt ihres Personals eintaucht und die Konflikte, mit welchen dieses zu kämpfen hat, intensiv beschreibt.

Mindestens genauso viel Wert legt Tana French auf die Beschreibungen des Milieus, aus welchem die jeweilige Person stammt, bzw. sich derzeit befindet.
Vielleicht es die Tatsache, dass ihre Figuren eine Vergangenheit, ein Leben vor ihrer Anwesenheit im Roman haben, was sie so lebensnah und wahrhaftig werden lässt.
Sie tauchen nicht nur auf und handeln.
Sie haben einen Grund, weshalb sie so sind. Einen Grund, über den Tana French uns nicht im Unklaren lässt.

Auch bei “Der Sucher” ist dies der Fall. Wir erfahren, was Cal dazu bewogen hat, bei der Polizei aufzuhören und weshalb er und seine Frau sich getrennt haben.
Von ihren Vorwürfen und weshalb er diese nicht nachvollziehen kann. Er hat sich doch um alles gekümmert. Auf seine Weise.
Doch sie sieht dies anders. Für sie bedeutet “kümmern” nicht Dinge aus dem Weg zu schaffen, sondern füreinander da zu sein. Da ticken sie wohl verschieden.
Tana French beschreibt diese Situation, diese verschiedenen Gedankenwelten sehr genau.

Sie schreibt von einem Mann, der einfach nur seine Ruhe will. Normale Dinge tun möchte, wie zum Beispiel angeln gehen und den gefangenen Fisch danach zu braten. Vor dem Haus zu sitzen, den Sonnenuntergang zu beobachten und einfach nur da zu sein.
Ein Leben zu führen, in das ihm niemand reinredet, in dem niemand etwas von ihm erwartet. Ja, ein “langweiliges Leben” eben. Ein Leben ohne Ereignisse.
Doch das funktioniert nicht.

Überall gibt es Menschen, Nachbarn und Begegnungen. Wie man es auch immer nennen mag. Mögen sie zufällig, oder geplant sein. Derjenige, der Cal hier in dieser Einöde beobachtet, hat jedenfalls einen Plan. Und er weiß, dass Cal einmal ein Cop war – dessen Hilfe er dringend benötigt.

In diesen Beschreibungen des Innenlebens ist “Der Sucher” Tana Frenchs anderen Krimis ähnlich.
Was dieses Buch von den anderen unterscheidet, ist zunächst einmal die Tatsache, dass es sich im Gegensatz zur sechsbändige Reihe über die Mordkommission in Dublin, um einen Einzelband handelt.
(Die Fälle der “Mordkommission Dublin”* sind auch in sich abgeschlossen, doch ist das Personal das Gleiche. Das Besondere ist, dass jeder Band aus der Perspektive eines anderen Mordkommissionsmitglied geschrieben ist und wir so mehr über seinen oder ihren Hintergrund erfahren. Das ist super gemacht – und sehr spannend.)

Des weiteren steht bei “Der Sucher” der Kriminalfall nicht im Vordergrund. Das Verschwinden einer Person ist hier meines Erachtens nach nur Beiwerk.
Das auf dem Cover “Roman” steht und eben nicht “Kriminalroman” kommt nicht von ungefähr.
Es ist ein ruhiges Buch, in welchem nicht viel passiert, aber gerade das hat mir so gut gefallen. Ein Buch, das durch die Atmosphäre getragen wird und mich in eine Art – ich nenne es jetzt mal – “irische Stimmung” versetzt hat.

Ich hatte Lust darauf , mit Cal herumzuwandern und die irische Natur zu genießen.
Mit ihm gemeinsam zu überlegen, ob es wirklich sinnvoll ist, sich abzuschotten, nichts mehr zuzulassen und demjenigen, der dringend Antworten braucht, diese zu verweigern.
Und das, obwohl klar ist, dass diese Person selbst keinen Zugang zu den Antworten hat.

Aber da ist doch dieses Vorhaben, das es umzusetzen gilt: Das Vorhaben, sich aus allem  rauszuhalten.
Auch wenn man so Menschen verletzt, die beginnen, eine Rolle im eigenen Leben zu spielen. Ein Leben, das man in Ruhe, alleine verbringen wollte.

Ist das wirklich so Cal? Willst Du das?
Denk doch noch einmal drüber nach…

» zur Leseprobe*


ISBN: 978-3-596-70238-1
Verlag: Fischer
Erscheinungsjahr: 2022
Übersetzung: Ulrike Wasel & Klaus Timmermann
Seiten: 496
Preis: 14,00 €

Die gebundene Ausgabe dieses Titels ist 2021 erschienen.


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