Christopher Brookmyre: “Wer andern eine Bombe baut”

Christopher Brookmyre: “Wer andern eine Bombe baut”

Hätte ich gewusst, dass Christopher Brookmyre solch einen grandiosen und tiefschwarzen Humor besitzt, hätte ich schon viel früher zu seinen Büchern gegriffen.
Ein Buch, das mit den Sätzen “Armselige Vorstadtsklaven. Notschlachten wäre noch zu nett gewesen.” beginnt, kann nur gut sein!
So ist es.

Simon hat sie satt. Die AVS (armseligen Vorstadtsklaven).
Wie sie sich Stoßstange an Stoßstange im Straßenverkehr bewegen und ihr Leben riskieren, um eine EINE STELLE weiter vorne an der Ampel zu stehen. “Das sagt viel über die Menschen am Steuer aus. Der Stau, die Fahrbahn ist ihre “einzige Chance für ein bisschen Kühnheit”.
Die einzige Gelegenheit Individualität zu zeigen und zu vergessen, dass der Typ im Auto vor einem (im größeren, schickeren Auto), einen auf viele, wesentlich bedeutendere Weisen im Leben abgehängt hat.
EINE STELLE WEITER VORN. Immerhin. Denn “Der Wagen vor einem ist die Uni, auf die man nicht gegangen ist, der Golfclub, dem man nicht beigetreten ist, die Bruderschaft zu der man nicht gehört.[…] Fahrgemeinschaft? Niemals! Der Vorstadtsklave stand lieber jeden Tag im Stau und wartete auf den kurzen Augenblick, in dem er aufs Gas treten und so tun konnte, als hätte er etwas Wichtiges zu tun…[…].”

Genau aus diesem Grund will Simon verschwinden. Er wird kein AVS werden und sich mit solch einem armseligen Leben zufrieden geben – niemals.
Alle werden denken, dass er bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen ist, doch dem ist nicht so. Simon ist zu Höherem berufen und arbeitet daran unsterblich zu werden. Er ist das, was sie später “Black Spirit” nennen werden.
Simon ist Söldner. Ein Söldner mit dem Spezialgebiet Terroranschläge.

Wer jetzt denkt, “ja, gut ein Terroristenkrimi, nichts Neues“ und mit dem Gedanken spielt, die Lektüre dieses Textes zu beenden, dem sage ich: Achtung, Du irrst!
Denn Christopher Brookmyre ist kein Lieferant für Mainstream-Krimikost. Nein er schreibt literarisch-spitzfindige Delikatessen, die vor tiefschwarzem Humor nur so strotzen. Dabei darf der Leser nicht zimperlich sein, denn wenn ich von tiefschwarz spreche, meine ich tiefschwarz.

Ein Beispiel gefällig? Bekommt ihr: Ein Topterrorist muss natürlich auch üben und es ist Simon ein persönliches Anliegen, einer Skinhead Band (“d.h. vier Arschlöcher, drei Akkorde, zwei Gitarren und ein Verzerrer”) den Garaus zu machen.
Vor einem Konzert verkleidet er sich als Roadie, der eine “Nebelmaschine” für die Show liefert, die zwar für die Band unerwartet kommt, aber herzlich begrüßt wird.
“Die offizielle Opferzahl belief sich auf fünfundzwanzig Tote, darunter lustigerweise alle vier Bandmitglieder […] Weniger schön war die Tatsache, dass die Presse quasi einmütig die Ironie der Durchführungsmethode übersah und damit auch die Pointe versaute. Eine Schlagzeile à la “Nazis bei Holocaustleugner-Benefizkonzert vergast” war wohl nicht zu viel verlangt […].”.
So viel zum Thema tiefschwarz.

Das Besondere an diesem Buch ist, dass Brookmyre darauf verzichtet Pointe an Pointe zu hängen, sondern weitaus Komplexeres abliefert. Seine Handlungsstränge sind sehr detailreich und verdammt gut recherchiert.
Da ist zum Beispiel die Figur des Raymond Ash, der bisher nach dem Credo: Komm ich heut nicht, komm ich morgen, gelebt hat. Irgendwie hat es immer funktioniert – von der Hand in den Mund.
Sein letzte Idee war eine Art “Café” zu erschaffen, in welchem Computerspieler in Ruhe Computerspielen können. Zugegeben, ganz uneigennützig war diese Idee nicht. Raymond selbst liebt Computerspiele sehr und zockt exzessiv, was ihm bei einem späteren Gefecht mit Simon und anderen Terroristen zu Gute kommt.

Dieses Leidenschaft für Computerspiele beschreibt Brookmyre sehr realitätsnah. Sein Wissen ist nicht aus der Luft gegriffen – ich habe einen Experten dazu befragt, der mir dies bestätigte. Man muss sich mit der Gaming Welt aber nicht auskennen, um die Figur des Raymond zu verstehen. Sein Hobby ist eigentlich nur Beiwerk.

Denn Raymonds Leben hat sich gewandelt: Er hat jetzt Frau und Kind. Daher hat er zum ersten Mal in seinem Leben einen seriösen Job angenommen. Auf seinen ersten Arbeitstag als Lehrer hat er sich sehr gefreut, denn sein Bedürfnis Zuhause zu sein, ist derzeit nicht sonderlich groß. Sein Kind ist ein Schreikind.
“Bis auf Sex wurde wohl über keine Facette der menschlichen Existenz so viel gelogen, wie über die Elternschaft. Es war eine gigantische, weltweite, multikulturelle, ökumenische, generationenübergreifende Lügenverschwörung […].”. Raymond überlegt sich manchmal, was wäre, wenn sie das Kind einfach zur Adoption freigäben….

Wie schon gesagt, ist die Aussicht darauf, bald zur Arbeit zu gehen, ein absoluter Lichtblick für Raymond. Ja, bis er da ist, der erste Arbeitstag – und sich herausstellte, dass die Schüler mit ihm machen, was sie wollen…. . Super.
Als Raymond auf dem Weg nach Hause einen Umweg fährt, redet er sich ein, dass er unbedingt zum Flughafen muss, weil es nur dort eine bestimmte Zeitschrift gibt. Tief im Inneren weiß er jedoch, dass wesentlich mehr hinter diesem Umweg steckt. Der Flughafen. Jetzt einfach mal wegfliegen, kein Geschrei mehr, das wär´s.
Als Raymond eben dort seinen ehemaligen Kommilitonen Simon erblickt, kann er es zunächst nicht glauben, denn Simon ist vor drei Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen…

Christopher Brookmyre führt die einzelnen Handlungsstränge gekonnt zusammen und krönt das Ganze mit einem Showdown, der sich gewaschen hat. Auch Action-Fans werden auf ihre Kosten kommen.
Allerdings handelt es sich bei “Wer andern eine Bombe baut” keinesfalls um ein Buch, das man einfach mal so runterlesen kann. Dafür steckt viel zu viel in diesem Werk, das den Leser fordert und in welchem so manche wahre Aussage steckt.

Ich habe vierzehn Tage an Brookmyres furiosem Geniestreich gelesen, zumal ich kein Wort verpassen wollte. Zum Glück hat der schottische Schriftsteller noch einige Bücher geschrieben, auf deren Lektüre ich mich sehr freue.
“Wer andern eine Bombe baut” ist definitiv eines meiner Highlights des Jahres 2018.
Ein absoluter Knaller.

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ISBN: 978-3-86971-163-8
Verlag: Galiani
Erscheinungsjahr: 2018
Übersetzung: Hannes Meyer
Seiten: 512
Preis: 16,00 €


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