Muriel Spark: “Die Blütezeit der Miss Jean Brodie”

Muriel Spark: “Die Blütezeit der Miss Jean Brodie”

Muriel Spark gilt als eine der bedeutendsten britischen Schriftstellerinnen überhaupt.
Nach der Lektüre des Romans “Die Blütezeit der Miss Jean Brodie” weiß ich auch weshalb.

An der Marcia-Blaine-Schule in Edinburgh gehört ein Hut zur Schuluniform. Das Abnehmen dieser Kopfbedeckung ist ein Verstoß gegen die Schulordnung, jedoch werden bei Schülerinnen ab der vierten Klasse “gewisse Abweichungen“ toleriert.
Es gibt sechs Mädchen, die einen besonderen Status genießen und dies demonstrieren, indem sie ihre Hüte anders (aber niemals schräg, denn diese Abweichung wird nicht toleriert) aufsetzen: Die “Brodie-Clique”.

Miss Jean Brodie ist Lehrerin an eben jener Mädchenschule und behält es sich vor, sich Schülerinnen auszusuchen, die sie in ganz eigenen Themen unterrichtet, die nicht zum amtlichen Lehrplan gehören. Was der Schulleiterin natürlich nicht passt, doch bisher ist es ihr nicht gelungen, Miss Brodie aufgrund ihrer abweichenden Lehrmethoden der Schule zu verweisen.
Auch wenn diese Angelegenheit in ihren Augen höchste Priorität besitzt.

Da kann die Direktorin noch so oft zufällig ins Klassenzimmer hineinschneien, immer sitzen die Schülerinnen mit aufgeschlagenen Büchern da und an der Tafel steht eine Mathematikaufgabe, die dem Lehrplan entspricht.
Das gehört jedoch zu Miss Brodies Taktik. Sie lässt es so aussehen, als ob sie zum Beispiel Mathematik, oder Geschichte unterrichtet, doch in Wahrheit erzählt sie ihren Schülerinnen von Mussolini, hautfreundlicher Waschcreme und ihrem eigenen Liebesleben.
So kommt es, dass die “Brodie-Clique” zwar keine Ahnung hat, wie die Hauptstadt von Finnland heißt, jedoch zum Beispiel sämtliche Grundlagen der Astrologie beherrscht.

Die sechs Schülerinnen, die in diesem Jahr von Miss Brodie ausgesucht worden sind, sind sehr unterschiedlich.
Da ist Monica, die berühmt für ihre Fähigkeit zum Kopfrechnen und ihre Wutanfälle ist. Rose ist berühmt für ihren Sexappeal und Eunice für ihre Turnkunststücke.
Sandy hingegen ist für ihre kleinen Augen berüchtigt, berühmt ist sie jedoch für ihre klangvollen Vokale.
Sandys beste Freundin ist Jenny, das hübscheste und anmutigste Mädchen der Brodie-Clique. Und schließlich ist da noch Mary, ein “mundfauler Trampel”, dem man in jeder Situation die Schuld in die Schuhe schieben kann.
Wie praktisch.

Diese sechs sind für Miss Brodie die “Creme de la Creme”, die sie gerne auch abends zum Essen einlädt um mit ihnen zum Beispiel darüber zu reden, dass eine neue Verschwörung im Anmarsch ist, mittels welcher die Schulleiterin Miss Brodies Kündigung erzwingen möchte.
Dass dies nicht gelingen wird, dessen ist Miss Brodie sich sicher.
Mit anderen Lehrern hat Miss Brodie nichts zu schaffen, ihre Vertrauten sind ihre Schülerinnen, was in der Tat sehr seltsam anmutet.

Miss Brodie widmet diesen Mädchen ihr Heiligstes: Ihre Blütezeit, von der wir noch des Öfteren hören werden, zumal man diese, laut Miss Brodie, “bis zum Äußersten auskosten” muss.
Wovon die Mädchen jedoch noch mehr fasziniert sind, als von der sagenumwobenen Blütezeit, ist der “umwerfende Gedanke” des Geschlechtsverkehrs und es macht großen Spaß zu lesen, wie sich zum Beispiel Sandy und Jenny (aufrund belauschter Gespräche und Lexikoneinträgen) diesen vorstellen.
“Das Ganze passiert blitzartig […].
Es ist Teenie passiert, als sie mit ihrem Freund in Pudocky spazieren ging.
Danach mussten sie heiraten.”

Sowieso haben diese beiden Mädchen eine blühende Phantasie und zu lesen, wie Sandy und Jenny die Geschichte von Miss Brodie und ihrem im Krieg gefallenen Liebsten Hugh fortspinnen und sich selbst die Hauptrollen geben, ist göttlich.
Diese Szenen gehören zu meinen Liebsten in diesem Roman, der 1960 erstmals veröffentlicht worden ist.

Nun könnte man meinen, es handelt sich hier um eine zauberhafte internatartige Geschichte, mit einer eigenwilligen, aber liebenswerten, fürsorglichen Lehrerin.
Doch so einfach liegt der Fall nicht, denn Miss Brodie hat ihre ganz eigenen Ansichten, die sie unter dem Deckmantel der Erziehung weitergibt.

Sie bewundert zum Beispiel Mussolini und zeigt ihren Schülerinnen viele Fotos ihres letzten Italienurlaubs, die sie schließlich an die Wand heftet und erklärt: “Und hier eine größere Truppe von Mussolinis fascisti […] sie machen fantastische Sachen, davon erzähle ich Euch später.”
Später lässt sie die Mädchen wissen, dass sie Hitlers Braunhemden als noch zuverlässiger empfindet, als Mussolinis Schwarzhemden.

Sie indoktriniert die Mädchen regelrecht und beeinflusst nicht nur ihre politischen Ansichten, sondern auch den Fortgang ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen. Wichtig ist hierbei, dass sich alle stets loyal verhalten.
Loyal zu Miss Brodie versteht sich, die dies gerne testet.
Während manche Mädchen bestehen, wird eine ihre Treue mit dem Tod bezahlen…

Von all dem erzählt uns Muriel Spark in einem solch charmanten Plauderton, dass man zunächst einfach fröhlich weiterliest – und erst viel später innehält.
Tja, auch der Leser ist vor Miss Brodies Charme nicht gefeit…

Genau dies ist die große Kunst der schottischen Schriftstellerin und vielleicht auch einer der Gründe dafür, dass “Die Blütezeit der Jean Brodie” als Klassiker des 20. Jahrhunderts gilt und 2015 von einem Gremium internationaler Literaturwissenschaftler und -kritiker zu einem der wichtigsten britischen Romane gewählt worden ist.

Dieses Buch zu lesen war mir ein großes Vergnügen. Ich freue mich Muriel Spark für mich entdeckt zu haben, die zum Glück sehr viele Werke veröffentlicht hat.
Besonders reizen mich “Mädchen mit begrenzten Möglichkeiten”, zumal mein Lieblings-Brite Evelyn Waugh sich begeistert zu diesem Titel äußerte, und “Frau Dr. Wolfs Methode”.
Aber eigentlich klingt alles, was Muriel Spark geschrieben hat gut.
Da habe ich die Qual der Wahl.

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ISBN: 978-3-257-07008-8
Verlag: Diogenes
Erscheinungsjahr: 2018 (Erstveröffentlichung in deutscher Sprache: 1962)
Übersetzung: Andrea Ott
Seiten: 240
Preis: 24,00 €


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3 thoughts on “Muriel Spark: “Die Blütezeit der Miss Jean Brodie”
Martin

Vielen Dank für die interessante Buchvorstellung. Ansonsten hätte ich zu dem Buch – zumal bei dem Cover – vermutlich nie gegriffen. Ich werde es mir (als EBook) auf jeden Fall vormerken.

    Friederike

    Dann wünsche ich viel Spaß beim Lesen, falls es dazu kommen sollte :).

    Viele Grüße,
    Friederike

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