Joachim Meyerhoff: “Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”

Joachim Meyerhoff: “Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”

Vor einem Jahr habe ich “Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war” von Joachim Meyerhoff gelesen und war hin und weg. Daher war ich jetzt etwas skeptisch, ob es dem Autor wieder gelingt, mich so zu berühren und lachen zu lassen. Nach drei sehr amüsanten Tagen kann ich sagen: Ja, es ist ihm gelungen und zwar vollauf.

Joachim will eigentlich nach der Schule Zivildienst leisten und von zu Hause ausziehen. Vom Norden Deutschlands nach München. Er phantasiert bereits von den schönen Krankenschwestern im Schwesternwohnheim, die ihn nachts aufs Zimmer locken und freut sich sehr auf diese Zeit.
Doch dann bewirbt er sich aus einer Laune heraus an der Schauspielschule in München und wird zu seiner Verblüffung auch angenommen, obwohl er nur einen einzigen Monolog bei der Aufnahmeprüfung zum Besten gegeben hat.

Zunächst wohnt Joachim bei seinen Großeltern, er denkt zwar, dies sei vorübergehend, doch er täuscht sich.
Drei Jahre lang wird er bei seinen Großeltern wohnen. Großmutter Inge war früher selbst Schauspielerin und hat Schauspielerei auch unterrichtet und zwar genau an der Schule, an welcher Joachim nun lernen darf.

Der Alltag der Großeltern sieht (bis auf den Sonntag) immer gleich aus: Bevor gefrühstückt wird gibt es um Punkt neun Uhr ein Glas Champagner.
Zum Frühstück isst man Brötchen, die mit der Brotschneidemaschine in hauchdünne Scheiben geschnitten werden (Joachims Bruder nannte diese “Scheiben” immer “Folien”) und liest die Süddeutsche, die gleich zweimal abonniert worden ist, damit sich die Großeltern gemeinsam aus dem Feuilleton vorlesen können.
Hier merkt man schon, Joachims Großeltern sind etwas speziell, aber sehr liebenswert.

Um sechs Uhr gibt es den “Sechs-Uhr-Whisky” und schon ab fünf wird auf die Uhr geschaut, wann es denn endlich soweit ist. Zum Abendessen gibt es Rotwein und so gegen elf sind die Großeltern leicht angetrunken. Im Gegensatz zu Joachim. Der ist bereits vollkommen betrunken und muß manchmal mit dem Treppenlift in den ersten Stock fahren…

Dies ist nur eine von vielen hinreißenden Anekdoten. Ich könnte endlos aufzählen, sie sind alle so köstlich – mache ich aber nicht, denn ich möchte ja das Leseerlebnis nicht schmälern.

Neben den Ereignissen (oder eher den Ritualen) im Haus der Großeltern, macht Joachim natürlich seine Schauspielausbildung und ist zuweilen sehr frustriert.
Eine der an ihn gestellten Aufgaben ist zum Beispiel: “Spielen sie eine Szene aus Effi Briest als Nilpferd”.
Dies macht ihm zu schaffen und auch weinen kann er auf der Bühne nicht. Lachen ist auch schwierig. Es kommt sogar so weit, dass die Lehrerin ihn bei einer Szene zur Wand hin lachen lässt, weil es so unecht wirke. Das ist doch deprimierend.

Göttlich hingegen sind seine Gespräche mit seinen Großeltern über seine Erlebnisse bei der Schauspielausbildung. Hier ein Beispiel:

“Wie immer verschlechterte sich mit steigendem Alkoholpegel das Gehör des Großvaters […]
Ich: “Beim Aikido leitet man die Kraft weiter. Es ist eine japanische Kampfkunst. der Lehrer ist fantastisch. Wir haben heute schon die Rolle geübt.”
Großvater: “Was für eine Rolle?”
Ich:“Die Aikidorolle!”
Großvater: “Das habe ich noch nie gehört. Von wem ist das?[…] Worum geht es denn da?”
Großmutter[…]:”Mein Gott Hermann! das ist doch keine Rolle! Es ist eine Kampfkunst!”
Mein Großvater kopfschüttelnd: “Mikado ist doch keine Kampfkunst.”

Meyerhoffs Bücher sind autobiographisch und wenn man etwas recherchiert, stellt man fest, dass es die Großmutter Inge wirklich gegeben hat und dass sie wahrhaftig Schauspielerin gewesen ist. Auch Großvater Hermann hat wirklich gelebt und aus dem mit sich stark hadernden Joachim ist ein Burgschauspieler geworden.

Ich freue mich jedenfalls sehr, dass uns Joachim Meyerhoff an seinem Leben auf diese Art und Weise teilhaben lässt: Ich hatte solch vergnügte Lesestunden mit “Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”, dass es mir ein Rätsel ist, weshalb ich “Alle Toten fliegen hoch” noch immer nicht gelesen habe.
Ich werde dieses Versäumnis so schnell wie möglich nachholen.

» zur Leseprobe*

P.S.: „Alle Toten fliegen hoch“ ist der erste Teil dieser Reihe, „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ der Zweite. Mann muss diese Bücher aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge lesen – das habe ich auch nicht und hatte keinerlei Probleme den Geschichten zu folgen.

„Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ stand 2016 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und zählte zu meinen Lieblingsromanen des Jahres 2015


ISBN:  978-3-462-05034-9
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr 2017
Preis: 12,00 €


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3 thoughts on “Joachim Meyerhoff: “Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”
Astrid

Ich lese das Buch auch gerade und kann Dir in allem nur zustimmen. Mir gefällt es auch sehr. Am Montag habe ich Joachim Meyerhoff live im Schauspielhaus in Hamburg gesehen. Er hat ca. 90 Minuten aus seinem Buch vorgelesen und obwohl ich schon alle Stellen kannte, konnte ich kaum aufhören zu lachen. Am liebsten würde ich mir nun noch das Hörbuch kaufen und noch einmal von vorne anfangen.

Friederike

Liebe Astrid,

um den Besuch dieser Lesung beneide ich Dich wirklich. Ich muß ihn unbedingt auch einmal live erleben.
Bis dahin begnüge ich mich mit diesen genialen Büchern. Alle Toten fliegen hoch habe ich ja zum Glück noch vor mir.

Viele Grüße,
Friederike

Lydia

Ihr Lieben, es ist wahr, schreiben kann er wirklich und auch wenn mich das Buch nicht so tief berührt hat, gab es durchaus sehr witzige Passagen. Ich störe mich ein wenig an der künstlichen Tiefstapelei. „Ach was war ich soo schlecht“ und heute ein grosser Burgschauspieler? Sowas ist mir immer etwas suspekt. Bescheidenheit ist sicher sympathischer als Großkotzigkeit……trotzdem hat es mich sehr gestört.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob Krankenschwestern (HELDEN des wahren Lebens, die jede Menge ernstgemeinter Anerkennung verdienen), als erotische (offensichtlich etwas unterbelichtete) Kreaturen im Schwesternheim missverstanden werden sollen. Soll lustig sein, ist aber eher arrogant und tragisch. Mich hat es eher geärgert eine großartige Berufssparte für Lacher durch den „Pseudo“Kakao zu ziehen.

Mir ist diese hochintellektuelle Gesellschaft, die meinen über der Menschheit zu schweben durchaus bekannt und ich meide sie meistens im echten Leben. Irgendwie liefen mir immer kalte Schauer über den Rücken, der minitiös geplante Alkoholkonsum der Grosseltern (natürlich trinkt man in den vornehmen Krisen Champus) brechen die eingefahrenen Abläufe des Tages wenigstens etwas auf. Ansonsten ist Routine im Alter durchaus normal, aber in diesem Falle eher traurig.
Ich wünsche Herrn Meyerhoff trotzdem weiterhin viel Erfolg als Autor und Schauspieler.
Tiefstapeln passt irgendwie nicht (fishing for compliments)

Trotzdem allen viel Spaß beim Lesen, ist ja immer Geschmackssache

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