Diese Ausgabe des Literatur-Spiegels ist anders, als die bisherigen, denn es geht nicht um aktuelle Neuerscheinungen.
Zehn Autoren wurden nach den Büchern gefragt, die ihr Leben verwandelt haben und diese Frage haben sie, auf sehr unterschiedliche Art und Weise, beantwortet. Mal lang und ausführlich (Orhan Pamuk) mal kurz, tabellarisch und knapp (Juli Zeh).
Eines haben diese Texte jedoch gemeinsam: Sie sind sehr interessant und machen Lust aufs Lesen.
Ganz abgesehen von den Büchern, die die jeweiligen Autoren erwähnen, habe ich mir auch die Bücher ins Gedächtnis gerufen, die die Autoren selbst geschrieben haben und ebenso Lust auf diese bekommen. Doppelte Inspiration sozusagen.
Eva Menasse
Die österreichische Autorin Eva Menasse lese ich sehr gerne – ihre Romane bzw. Erzählungen wie “Lässliche Todsünden”, “Vienna” und “Quasikristalle” sind mir in sehr guter Erinnerung geblieben.
Sie selbst schreibt im Literatur-Spiegel davon, wie die Welt für sie einen Sinn bekam: Mit der Lektüre von “Ein fliehendes Pferd” von Martin Walser. Danach war ihr Leben mit einem Schlag anders und sie begann damit, eine Erzählung zu schreiben – die ihr zunächst aber nicht so gelang, wie sie es sich vorgenommen hatte.
Danach las sie mit Begeisterung “Murmeljagd” von Ulrich Becher und ich erinnere mich daran, wie dieser Titel vor einiger Zeit einmal sehr gut in der Presse besprochen worden ist und die Nachfrage in der Buchhandlung dementsprechend anstieg.
Viele Kunden waren sehr begierig auf dieses Buch, schreckten dann jedoch manchmal wegen des Umfangs (knapp 700 Seiten) zurück.
Eva Menasse hingegen ging es da ganz anders: Sie geizte regelrecht mit den Seiten und gestand sich jeden Abend zunächst nur 30 zu, damit sie möglichst lange etwas von diesem Buch haben würde. Dieses Einteilen funktionierte allerdings nicht, sie mußte dann doch immer weiter lesen.
Mehr zu „Murmeljagd“ gibt es bei Sätze & Schätze.
Ein weiterer Autor, der zu Eva Menasses unvergessenen Lektüren zählt, ist Richard Yates, den ich ebenfalls sehr schätze. “Zeiten des Aufruhrs” fand ich großartig – Eva Menasse geht es genauso.
Was die englischsprachige Literatur anbelangt, so bewundert Eva Menasse dort am meisten die Frauen, wie zum Beispiel Anne Tyler (“Der leuchtend blaue Faden” hat mir übrigens sehr gut gefallen), Janet Frame und Alice Munro) da man von ihnen “unendlich viel über Möglichkeiten von Stil und Witz” lernen könne.
Orhan Pamuk
Seit ich selbst in Istanbul war, sind mir seine Romane noch präsenter und ich freue mich auf das Buch “Cevdet und seine Söhne”, welches, wie mir berichtet wurde, zu seinen meistgelesenen Romanen in der Türkei zählt.
Gerade ist es als Taschenbuch bei Fischer erschienen.In seinem Artikel im Literatur-Spiegel schreibt der Literaturnobelpreis-Träger von für ihn unvergesslichen Lesemomenten und davon, wie Bücher zu Erinnerung werden können.
Mit 23 Jahren schrieb Pamuk an seinem ersten Roman und las, dass Tolstoi, der für Pamuk ein großes Vorbild war, ein großer Verehrer Rousseaus gewesen sei. Daher beschloss Pamuk, mehr von Rousseau zu lesen und begann mit dem Buch “Bekenntnisse” – ein Werk von welchem Rousseau selbst sagt, dass es das einzige naturgetreue Abbild eines Menschen sei, das es gibt und das es je geben wird.
Pamuk las dieses Buch auf einer langen Zugfahrt, bei welcher er seinen Sitzplatz nicht ein einziges Mal verlassen hat, und sagt, dass er bei der Ankunft in Ankara ein anderer Mensch geworden sei.
Ähnlich sei es ihm bei der Lektüre von Dostojewskis “Die Dämonen” ergangen, ein Buch, in welchem Pamuk das damalige Geschehen in der Türkei wiedererkannt habe.Des Weiteren berichtet er, zu diesem Zeitpunkt schrieb er bereits vier Jahre an seinem Roman “Rot ist mein Name”, als er auf das Buch “Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten” (Robert M. Pirsig) stieß und ihm klar war, dass er nichts zu Stande bringen würde, bis er dieses Buch nicht zu Ende gelesen habe.
Das Ende vom Lied war, dass er seine Frau bat, das Buch tagsüber zu verstecken und es ihm erst am Abend wieder auszuhändigen, damit er sich jeden Abend auf 40 glückliche Minuten freuen könne.Eins noch: Orhan Pamuk ist es nicht möglich, eines der Bücher der „brillanten Patricia Highsmith“ aus der Hand zu legen, wenn er es einmal begonnen hat. Einmal angefangen fühle er sich richtig gut unterhalten. Das macht mir Orhan Pamuk irgendwie noch sympathischer, als er mir sowieso schon ist.
Joachim Meyerhoff
Joachim Meyerhoffs Texte bereiten mir immer viel Vergnügen, sei es nun in Form seiner Bücher wie “Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke”, oder in Form seiner Texte über Literatur.
In der letzten Ausgabe des Spiegels schrieb er mitreißend über “Westlich des Sunset” von Stuart O´Nan, in dem es um F.Scott Fitzgerald und seine Frau Zelda geht. In vorliegender Ausgabe schreibt er über Silvia Plath, die ihm, bis er 23 war, vollkommen unbekannt gewesen ist.
“Wie, du kennst Sylvia Plath nicht?” sagte seine damalige Freundin, die Literaturwissenschaften studierte, ungläubig. “Meine Unbildung hatte ihr die Sprache verschlagen, und sie verließ das Zimmer.” Also kaufte er sich “Die Glasglocke” und stellte fest, dass seine Freundin recht hatte, er war fasziniert.
Er konnte sich nach der Lektüre nicht vorstellen, dieses Buch nicht gekannt zu haben, in der die von Preisen überhäufte Studentin Esther Greenwood von ihrem Sommer als Volontärin einer New Yorker Modezeitschrift erzählt und versucht ihren Suizidversuch und ihre Existenzkrise in selbiger Zeit aufzuarbeiten.
Dieses Buch muß ich unbedingt lesen. Eigentlich hatte ich dies schon nach der Lektüre des Berichts von Masuko 13 vor, doch irgendwie ist dieser Titel aus meinem Blickfeld verschwunden. Danke an Joachim Meyerhoff für die Auffrischung.
Navid Kermani
Spätestens seit er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Jahr 2015 erhalten hat, dürfte der deutsch-iranische Schriftsteller einem großen Publikum bekannt sein. Preise hat er jedoch schon schon zuvor erhalten und zwar nicht nur einen.
Im Jahre 2011 stand er mit seinem Roman “Dein Name” auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.
Er hat Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft studiert, arbeitete unter anderem bei der FAZ und berichtete für den SPIEGEL im Jahr 2014 aus dem Irak.
Im Herbst 2015 war er auf dem Flüchtlingstreck zwischen der Insel Lesbos und Deutschland unterwegs und berichtet davon in einer Reportage, die unter dem Titel “Einbruch der Wirklichkeit” erschienen ist.
er interviewte Politiker, Helfer, aber vor allem Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und aus anderen Ländern zu der Frage, weshalb es sie aus ihrer Heimat fort treibe und warum sie nach Deutschland wollen.
Mehr über Navid Kermani und seinen Roman “Dein Name” gibt es bei Susanne von Lobedentag.
Eines der Werke, das Kermani schon sein Leben lang begleitet ist Marcel Prousts “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit”, das insgesamt sieben Bände umfasst.
Er sagt, dass man über den ersten Band eigentlich keine weiteren Worte verlieren müsse, denn wer mit diesem Buch nichts anfangen könne, dem sei mit moderner europäischer Literatur einfach nicht zu helfen.
Allerdings gibt er zu, nach dem ersten Band stecken geblieben zu sein und hätte er den dritten Band nicht im Urlaub gelesen, wäre es für ihn durchaus denkbar gewesen mit der Lektüre ganz aufzuhören – doch dem war zum Glück nicht so.
Man brauche etwas um sich an die Langsamkeit der Lektüre (in der der Protagonist – jetzt mal ganz knapp formuliert – aus seinem Leben und vom Vorgang des Erinnerns erzählt und unter anderem von seinem Wunsch, Schriftsteller zu werden berichtet) zu gewöhnen, daher sei der Urlaub wohl der perfekte Zeitpunkt, um mit diesem Buch zu beginnen – danach müsse man sich um weitere Buchtipps allerdings nicht mehr kümmern.
Was Navid Kermani erzählt macht neugierig auf dieses umfangreiche Werk, das in Neuübersetzung bei Reclam vorliegt und mit dem Erscheinen des siebten Bandes im Oktober 2016 abgeschlossen sein wird. Ob ich es jemals schaffen werde dieses Werk zu lesen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Juli Zeh
Juli Zeh, deren aktuellen Roman “Unterleuten” ich sehr gerne gelesen habe, geht die Aufgabenstellung etwas pragmatischer an, in dem sie keinen Text verfasst, sondern einfach kurz und knapp acht Titel aufzählt und etwas über jene schreibt.
So finden zum Beispiel die Kinderbücher von “Bille & Zottel” genauso Erwähnung, wie Thomas Manns “Buddenbrooks”, ein Buch dass Juli Zeh mit 15 Jahren gelesen hat und das daran schuld war, dass sie jahrelang nur Bücher bereits verstorbener Autoren gelesen habe.
Des Weiteren erwähnt sie Fritz Riemanns “Grundformen der Angst”, “Ada oder das Verlangen” von Vladimir Nabokov , der ihr auf ganz neue Art zeigte, was Sprache alles kann und Jonathan Franzens Roman “Freiheit”, ein Buch, das ich ebenfalls mit großer Begeisterung gelesen habe.
Sasa Stanisic
Sasa Stanisic wurde in Bosnien-Herzegowina geboren, lebt seit 1982 in Deutschland und bekam 2014 den Preis der Leipziger Buchmesse für seinen Roman “Vor dem Fest”, welchen Caterina von SchöneSeiten bereits gelesen hat.
An Sasa Stanisics Text hatte ich sehr viel Freude hatte.
Er schreibt davon, wie er aufgewachsen ist, wie er zum Lesen kam und was seinen heutigen Schreibstil beeinflusst hat. Er erzählt auch von einer Zeit in Jugoslawien, in der theoretisch alle gleichgestellt sein sollten, in der es aber auch unglaublich viele Wettbewerbe gegeben hat. Seine erste Urkunde bekam er übrigens für “Die meisten in einem Jahr aus der Stadtbücherei ausgeliehenen Bücher.”
Er berichtet davon, wie er nach der Lektüre von “Die drei Musketiere” Muskete schießen lernen wollte und nach “Der Herr der Ringe” Bogenschießen. Beides war eher weniger von Erfolg gekrönt.
Weitergelesen hat er dennoch – den “Zauberer von Oz” zum Beispiel.
Auf die Reise nach Deutschland nahm er “Der Held auf dem Rücken des Esels” von Miodrag Bulatovic mit – in Deutschland las er Kafka und war beeindruckt von Hans Falladas “Kleiner Mann, was nun?”.
Sasa Stanic schätzt aber auch die Romane von Willy Vlautin, einen Autoren, welchen ihm durch eine Reise in die USA näher gebracht worden ist.
Ganz zum Schluß erwähnt er den brillanten Humor von Wolf Haas und die “feine Erbarmungslosigkeit” von Cormac McCarthy. Zu recht.
P.S.: Game of Thrones hat ihm ebenfalls sehr zugesagt.
Feridun Zaimoglu
Von Handke, dessen Titel “Die Angst des Tormanns beim Elfmeter” ihn begeisterte („also mehr der Titel, der Inhalt war nicht so wichtig”), kam Feridun Zaimoglu zu Dürrenmatt, den ihm sein Frisör empfahl.
Das Mädchen Else verstand sich mit eben jenem Frisör zwar ausgezeichnet, doch fand sie Dürrenmatt langweilig und empfahl Zaimoglu Ingeborg Bachmann.
Wie Joachim Meyerhoff verfiel Zaimoglu ebenfalls Sylvia Plath, allerdings nicht der “Glasglocke”, sondern “Ariel” – Else war wieder schuld. Bert Brecht war nicht so sein Ding, da las er doch lieber Joseph Roth (anstatt Anna Seghers), was sein Umfeld als “ödes Zeug” abtat.
Ein Jahr lang las Zaimoglu dann die heiligen Bücher: Die Bibel, die Thora und den Koran, bevor er zu Döblin, Céline etc. wechselte.
Aber nach wie vor war er von der Lyrik angetan, sodass nach Wolf Wondratschek und Patrick Roths “Christus-Trilogie”, wobei er bei diesen Lektüren feststellte, dass “es immer noch möglich war, deutsch und gut zu schreiben”, die Gedichte von unter anderem Inger Christensen folgten. Denn Dichtung, so Zaimoglu, ist Reichtum.
Zeruya Shalev
Zeruya Shalevs Bücher wurden in insgesamt 22 Sprachen übersetzt, wobei sie ihren großen Durchbruch in Deutschland mit “Liebesleben” feierte, dem ersten Teil einer Trilogie, die die moderne Liebe zum Thema hat.
In diesem Buch geht es um eine junge Frau, die sich in einen älteren Mann verliebt und beginnt sich von ihm abhängig zu machen.
Danach folgten die Romane “Mann und Frau”, hier geht es um das Scheitern einer Ehe geht, und der dritte Teil “Späte Familie”, die ich beide noch vor mir habe. „Liebesleben“ habe ich bereits gelesen und war sehr angetan.Zeruya Shalev fiel es schwer für die vorliegende Ausgabe des Literatur-Spiegels eine Auswahl der Bücher zu treffen, die sie in ihrem Leben beeinflusst haben. Doch schließlich hat sie sich durchgerungen und für sechs Titel entschieden.
Am Anfang steht der Tanach (die “hebräische Bibel”), aus dem ihr ihr Vater immer vorgelesen hat, genauso wie aus Franz Kafkas “Die Verwandlung”.
Am ersten Abend ihres Literaturkreises wurde “Das öde Land” von T.S.Eliot gelesen, für Zeruya Shalev eine “schauererregende Lektion über kulturelle Wurzeln”.
Tolstois “Anna Karenina” las sie gleich mehrerer Male und in jeder Lebenssituation war dieses Buch für sie vollkommen anders.
Des Weiteren erwähnt Zeruya Shalev Virginia Woolfs “Die Fahrt zum Leuchtturm”, dessen “ungewöhnlichen Schreibstil” und unglaublich genaue Gemütsbewegung sie hervorhebt und in dem es um einen Familienurlaub geht, der schon bald zu einer kostbaren und traurigen Erinnerung wird.
Mehr zu diesem Roman gibt es bei Dieter Wunderlich.
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